Gernach zergeht auf der Zunge

2 Min
Landleben pur: Gernach Fotos: Günter Flegel
Landleben pur: Gernach Fotos: Günter Flegel
Alle Wege führen zu nichts, dafür kann der Blick weit schweifen: Mein Dartpfeil trifft eine Wegkreuzung mit Maschinenhalle.
Alle Wege führen zu nichts, dafür kann der Blick weit schweifen: Mein Dartpfeil trifft eine Wegkreuzung mit Maschinenhalle.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

In Gernach im Landkreis Schweinfurt gibt es längst kein Wirtshaus mehr. Interessante Menschen trifft man am Geldautomaten.

Wie viele andere Dörfer in dieser Gegend hatte auch Gernach bis vor gut einem Jahr einen unfehlbaren Wegweiser: immer auf die Dampfwolke des Kernkraftwerks in Grafenrheinfeld zu und dann irgendwo mal links oder rechts abbiegen ...
Dieses Alleinstellungsmerkmal sind die Heidenfelder, die Unterspiesheimer, Kolitzheimer und Gernacher mit der Abschaltung losgeworden. Orientieren kann man sich aber immer noch an dem Energie-Riesen: Er sitzt wie die Spinne in einem Netz aus Stromleitungen, die sich durch die Flur ziehen.


Vier Wege, kein Mensch

Schade, dass mein Pfeil keinen Hochspannungsmast getroffen hat. Mit dem Thema kenne ich mich aus. Stattdessen ist der Treff-Punkt eine Maschinenhalle in der Flur, exakt auf der Kreuzung von vier Flurwegen am Ortsrand von Gernach. Die vier Wege führen zu den Rüben, zum Mais, zum Weizen und zum Spargel.
Auf jeden Fall führen sie erst mal zu keiner Geschichte, weil weit und breit kein Mensch zu sehen ist.
Ein Landwirt, der im Traktor vorbei fahren will, lässt sich vom fragenden Gesicht aufhalten. "Kam'mer helfn?"


"Bin nicht von hier"

Nein, mit spannenden Geschichten aus Gernach kann er nicht aufwarten. "Da gibt's nix", sagt er. "Außerdem bin ich gar nedd von hier." Er fährt nur nach Gernach, weil er zum Geldautomaten muss. Spontan entscheidet sich der Reporter für die voll klimatisierte Mitfahrgelegenheit auf dem Dieselross.
Ein Glücksgriff. Der Geldautomat entpuppt sich als heimlicher Marktplatz von Gernach. Hier treffen wir Hermann Laarz, dem das Haus mit dem Bankschalter gehört. Er stellt Alfred Glos vor, "der hier in Gernach alles weiß und jeden kennt".
Hinzu gesellt sich Robert Lutsch, der mit dem Fahrrad aus Würzburg kommt und von den beiden anderen gehänselt wird, weil er seit einiger Zeit ein E-Bike fährt. Lutsch wischt sich demonstrativ den Schweiß von der Stirn und weist auf die Akkuanzeige: "Kein einziges Mal hab ich den Motor gebraucht."
Im Handumdrehen ist ein munteres Gespräch im Gang, nur leider erspäht der suchende Blick keinen Biergarten. Das wär's jetzt an diesem schwülheißen Sommertag. Gernach geht's wie vielen Dörfern in Franken, erzählt das Trio.


Der Beweis per Smartphone

Es gibt schon lange keinen Laden mehr, keinen Bäcker, keinen Metzger, und auch die Kneipe ist zu; bewirtschaftet ist nur noch das Sportheim bei den Veranstaltungen der Vereine. Und die sind rührig, betont das Dreiergespann stolz: In Gernach ist was los.
Was zu beweisen ist: Robert Lutsch, der E-Biker, zieht sein Smartphone aus der Tasche und ruft den Veranstaltungskalender ab: Rund 30 Termine sind es in diesem Jahr, eine ganze Menge für die knapp 600 Dorfbewohner, die erst kürzlich den Dorflauf mit mehr als 200 Teilnehmern gestemmt haben.
"Es geht was zam", sagt Alfred Glos (nicht verwandt oder verschwägert mit Ex-CSU-Minister Michael Glos aus Unterfranken); es geht was, obwohl auch Gernach unter dem Aderlass leidet: Viele junge Leute zieht es auf der Suche nach gut bezahlten Jobs in die Ferne, sie kehren der fränkischen Heimat den Rücken.


Ade, Franken!

"Wenn sie erst einmal auf eine höhere Schule gegangen sind oder studieren, dann sind sie weg und kommen nicht mehr zurück", beschreibt Alfred Glos die Entwicklung, die Gernach wie viele andere Dörfer in Franken vergreisen lässt.
Klar, Jobs gibt es vor allem im nahen Schweinfurt, in der Industrie und in den Behörden der Kugellagerstadt, vor Ort weniger. Aber die Jobs, die es gibt, sind im wahrsten Sinn des Wortes Delikatessen: In Gernach gibt es zwei Spargelbauern, mehrere Landwirte mit Schweinen und Milchvieh, einen Hof, der damit wirbt, dass seinen Hühnern und Enten und Gänsen noch genug Zeit zum Wachsen gegönnt wird .... Fünf Euro für das Kilo glückliches Hähnchen aus Franken - muss man da wirklich noch im Supermarkt tiefgekühltes Geflügel aus der Mastfabrik kaufen?


Wie im Schlaraffenland

Im Schlaraffenland Gernach fehlt eigentlich nur ein großer Hofladen: Hier gibt es Erdbeeren frisch vom Feld und Obst von der Wiese, Fischweiher, einen Schnapsbrenner, dessen Whisky sogar Fachleute überzeugt, und es gibt, kein Wunder, eine Eiergasse ...
Auf der Heimfahrt, immer den Stromleitungen nach, die in der Sonne glänzen, schaue ich gar nicht mehr nach den nicht vorhandenen Dampfwolken. Dafür dampft der Kopf, und Kohldampf habe ich auch ...

Im vierten Teil unserer Serie lesen Sie am kommenden Donnerstag, was Matthias Litzlfelder in Kalteneggolffsfeld in der Fränkischen Schweiz entdeckt hat.