Nach dem Spritzmittel-Unfall bei Wiesengiech scheint sich das Gewässer auf natürliche Weise erholen zu können. Allerdings wird das dauern.
Sechs Tage nach dem Giftunfall vom 18. Mai haben Mitarbeiter der Fischereifachberatung des Bezirks den Leitenbach nach Fischen abgesucht. Das ernüchternde Ergebnis: Auf einer Länge von gut sieben Kilometer zwischen Wiesengiech und Gundelsheim konnten sie keinen einzigen lebenden Fisch finden, berichtet Kay Kuhlen von der Fischereiberatung.
Doch die gute Nachricht: Der Leitenbach ist nicht tot. Zumindest nicht ganz, wie zunächst befürchtet wurde. Einige Fische entdeckten Kuhlen und Kollegen weit unterhalb von Gundelsheim, kurz vor dem Durchlass unter der B 4, andere fanden sie am Oberlauf und in den Bächen, die in den Leitenbach münden. Und in Gundelsheim selbst waren, vier Wochen nachdem bei Wiesengiech 1000 Liter eines Spritzmittel-Cocktails in den Bach gelangten, wieder Fische zu beobachten. Gut drei Kilometer weiter oben, in Drosendorf war aber keiner zu entdecken.
Doch Hoffnung besteht auch für den totgeglaubten Abschnitt. Biologen des Wasserwirtschaftsamtes (WWA) haben ebenfalls wenige Tage nachdem hunderte, wenn nicht tausende Fische verendeten, das Gewässer an mehreren Stellen beobachtet. Die Stichproben an einer Stelle oberhalb und vier Stellen unterhalb des Unglücksortes ergaben, dass es zumindest bei den Kleinstlebewesen am und im Leitenbach keine markanten Veränderungen gegeben hat.
Kleinlebewesen kartiert
"Bei der Artenzusammensetzung wurden keine Ausfälle festgestellt" berichtet Hans-Joachim Rost, der für Bamberg zuständige Abteilungsleiter des WWA Kronach. Kleinlebewesen wie Eintagsfliegen, Asseln, Bachflohkrebse oder Egel seien unterhalb der Einleitungsstelle des Spritzmittelcocktails ebenso häufig vorgefunden worden wie an der Kontrollstelle oberhalb von Wiesengiech. Allerdings handle es sich dabei um "eher robuste als sensible Arten", führt Rost aus. Das ergebe sich aus der relativ hohen Vorbelastung des Gewässers, das durch Einträge aus der Landwirtschaft und aus Kläranlagen sehr nährstoffreich sei.
Aus gewässerbiologischer Sicht könne man den Leitenbach also nicht als tot bezeichnen. Das Nahrungsspektrum für Fische sei das gleiche wie zuvor. Bis sich die Fischpopulation durch natürliche Zuwanderung aber wieder vollständig erholen könne, würde nach den Erfahrungen der Wasserwirtschaft "eher Jahre als Monate dauern", so Rost. Dieser Einschätzung schließt sich auch Kuhlen an, der den Leitenbach als sehr gutes, artenreiches Fischgewässer kennt.
Um die Wiederbesiedlung des Leitenbachs mit Fischen zu beschleunigen, wäre jedenfalls ein Neubesatz mit Jungfischen hilfreich, sind sich alle Beteiligten einig. Doch das kostet Geld. Und den Pächtern der Fischrechte, die dies in der Vergangenheit schon getan haben, ist durch das Fischsterben ja bereits ein Schaden entstanden. Mit der Bitte um ein entsprechendes Gutachten haben sie sich bereits an die Fischereifachberatung gewandt. Es wird wohl darauf ankommen, ob die Versicherung des Verursachers dafür aufkommt, vermutet Rost.
Kein Sicherheitsstreifen in Bayern
Dem Landwirt, dessen Spritzmittelbehälter unmittelbar am Leitenbach leckgeschlagen war, bescheinigt der WWA-Abteilungsleiter - ebenso wie Wasserschutzpolizei und Katastrophenschutz, korrekt und vor allem schnell auf das Unglück reagiert zu haben. Was die Experten von Wasserwirtschaft und Fischerei dennoch generell beklagen, ist die Tatsache, dass es in Bayern - im Gegensatz zu anderen Bundesländern - keine gesetzlichen Mindestabstände zu Gewässern beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gibt.
So gilt in vielen Ländern ein Sicherheitsabstand von fünf Meter, der eingehalten werden muss. Zudem gilt - auch in Bayern - Paragraph 12, Absatz 2 des Planzenschutzgesetzes, wonach Pflanzenschutzmittel "nicht in oder unmittelbar an oberirdischen Gewässern" angewandt werden dürfen.
Dass eine Pufferzone Sinn macht, ergibt ein Blick auf die Sicherheitsdatenblätter von Pflanzenschutzmitteln, die zwar zugelassen und kontrolliert, aber nicht ohne Risiko sind. So waren die zwei Hauptwirkstoffe in dem Spritzmittelcocktail, der in den Leitenbach gelangte, ein Fungizid gegen Pilzkrankheiten an Getreidehalmen, -blättern und -ähren sowie ein Wachstumsregler zur Halmfestigung. Sie gelten als "sehr giftig" beziehungsweise "schädlich" für Wasserorganismen. Beide können "in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben". Das WWA will laut Rost in diesen Tagen das Wasser des Leitenbachs noch auf eventuelle Rückstände der Pflanzenschutzmittel untersuchen lassen.