Ein "König Lear" zum Dechiffrieren

2 Min
Die diabolischen Töchter Goneril (Nadine Panjas, li.) und Regan (Sybille Kreß) mit ihrem Vater Lear (Eckhart Neuberg). Foto: Thomas Bachmann
Die diabolischen Töchter Goneril (Nadine Panjas, li.) und Regan (Sybille Kreß) mit ihrem Vater Lear (Eckhart Neuberg). Foto: Thomas Bachmann
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Walter Weyers wuchtet mit Shakespeares Tragödie einen schweren Brocken auf die Bühne des E.T.A.-Hoffmann-Theaters. Ein Brocken, der für den Zuschauer nicht leicht zu verdauen ist.

Es ist gut und verdienstvoll, in Zeiten rasender Boulevardisierung dem Trend zur Verflachung, zum Amüsement bis zum Tode einen Monolithen der Ernsthaftigkeit entgegenzusetzen. Walter Weyers hat das mit seiner Inszenierung von Shakespeares "König Lear" am E.T.A.-Hoffmann-Theater getan. Die Frage ist, ob er nicht des Guten zuviel getan hat.

Freilich ist der "Lear" auch kein Komödienstoff, auch wenn es Umdeutungen dieser Art gegeben hat - aus dem Shakespeare'schen Monstrum sind eben Interpretations-Funken jedweder Couleur herauszuschlagen. Dennoch bleibt dieses Renaissance-Stück eines der radikalsten der Dramenliteratur: Es decouvriert Moralsysteme; man könnte es nihilistisch nennen: Es gibt keinen Gott, keinen Sinn und keine Hoffnung. Der Mensch ist des Menschen Wolf, am Ende sind alle tot, die "Guten" wie die "Bösen" - eines der Verdienste dieser Bamberger Inszenierung ist, die Ambivalenz solcher Bewertungen herauszuarbeiten -, es bleibt nur die nackte, gequälte Kreatur, bar aller Macht und feudaler Statussymbole.

Nackt sind auch immer wieder die Figuren dieses schrecklichen Spiels. Der zum Irren mutierende Edgar (beeindruckend Ensemble-Neuzugang Matthias Tuzar) schüttet sich braune Brühe über den Leib, ein wahnsinnig gewordener Lear (Eckhart Neuberg) mit strähnig gewordenem Haar und der Narrenkappe auf dem Kopf wird von seinem verkleideten Getreuen Kent (Florian Walter) durch eine Welt geschoben, die aus den Fugen geraten ist. Jens Hübner hat ein kluges Bühnenbild entworfen mit weißen Stühlen, die "innen" repräsentieren; wenn sich die Wände heben, fällt der Blick auf eine kahle, angedeutete Heidelandschaft.

Wer sich je die Mühe gemacht hat, das Stück etwa in der Übersetzung von Baudissin zu lesen, wird die Entscheidung Weyers' begrüßen, die Version von Friedrich Gundolf zu verwenden, zu kürzen, Szenen umzustellen. Naturgemäß erfordert es einige Aufmerksamkeit, dem Text zu folgen - was das angeht, ist der Zuschauer nicht überfordert. Der Zustand der Überforderung könnte sich jedoch einstellen bei der Fülle der Sinnesreize, die auf ihn einprasseln. Fast durchgehend wird die Handlung begleitet von Musik (Anna Schlegel). Es ist eine wunderbare meditativ-melancholische Musik mit Orgel und Chören, manchmal an Endsechziger-Psychedelia erinnernd. Doch auch wenn sie die Regie nicht illustrierend einsetzen möchte, nimmt man sie doch als Soundtrack wahr; sie transponiert das Geschehen auf der Bühne auf eine unwirkliche Ebene, legt fast mystische Obertöne über die Handlung.

Der man durchaus folgen kann. Wir erleben, wie ein verblendeter Lear sein Reich unter die Töchter Goneril (Nadine Panjas) und Regan (Sybille Kreß) aufteilt und Cordelia (Ulrike Schlegel) sowie Kent verstößt, wir sehen als ähnlich handelnden und charakterlich doch wieder ganz anderen Vater Gloster (den Volker J. Ringe als zermürbten, schwachen Alten gibt) Opfer der Intrigen seines illegitimen Sohns Edmund (Felix Pielmeier) werden. Lears Gang vor die Hunde, der vereitelte Selbstmord Glosters, schließlich Krieg, Tod, alle tot - das ist schon schlüssig dargestellt.


Rotzig mit Punk-Attitüde

An den Darstellern lässt sich auch nicht kritteln. Besonders der junge Felix Pielmeier gibt seinen Edmund derart rotzig mit Punk-Attitüde, dass es eine Freude ist (wenn "Freude" in diesem Zusammenhang auch eine eher fragwürdige Zuschreibung ist). Der Narr Patrick L. Schmitz' ist ein trauriger Clown, Neuberg läuft mit seinem Lear im zweiten Teil zu großer Form auf. Nadine Panjas und Sybille Kreß können bösartig wie auch verwundbar agieren, ihre Figuren sind Täterinnen und Opfer zugleich. Es schwingen in diesem Stück ja immer vergiftete Familienbeziehungen mit (Lear: "Du dienst mir, und ich will dich lieben"), Krise und Zerfall einer patriarchalischen Ordnung, letzten Endes Hinweise auf inzestuöse Bindungen, wenn Lear und Cordelia am Ende gemeinsam im Bett liegen. Fast unendliche Assoziationen und Interpretationsmöglichkeiten tun sich auf. Die Frage ist nur, ob diese Inszenierung nicht zu viel will, nicht überambitioniert und überladen ist. Keine historisierenden Kostüme, gut, aber was bedeuten die Uniformen und Lederwämser?

Eine richtige Kanone aus dem Zweiten Weltkrieg wird auf der Bühne herumgeschoben, als Symbol für den Militarismus der "Lear"-Zeit? Übertitel und dann noch eine Frauenstimme aus dem Off, die uns mit u.a. Foucault- und, natürlich, Judith-Butler-Zitaten noch zusätzlichen Stoff zur Hirngymnastik gibt. Viel Reiz zum Dechiffrieren. Schwere Kost, die da in gut drei Stunden gereicht wird. Aber man kann sich nicht immer nur an der Salattheke bedienen.

Diese Kritik bezieht sich auf die "Preview" am 19. Oktober.

Weitere Vorstellungen am 23./24., 26./27., 30./31. Oktober; 1.-3., 9./10. November. Karten unter Tel. 0951/873030, E-Mail: kasse.theater@stadt.bamberg.de. Dauer ca. 210 Minuten inkl. Pause.