Die Lüge von der Wahrheit: Der Bamberger Linguist Martin Haase zerlegt die Sprache der Populisten

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Martin Haase. Foto: Barbara Herbst
Martin Haase. Foto: Barbara Herbst

Sie reden von Wahrheit, und verdrehen sie: So schaffen es Rechtspopulisten mit Mitteln der Sprache, dass ihre Positionen akzeptabel erscheinen.

Rechtspopulisten sagen gerne Dinge wie "Politiker belügen das Volk." Dass sie selbst Politiker sind, verschweigen sie dabei gern und tun stattdessen, als ginge es ihnen um Volkes Willen. Aber wer ist das Volk? Klar: "Wir sind das Volk!" Wir? Wir alle? Faktisch müssten zumindest alle Staatsangehörigen einbezogen werden. Postfaktisch betrachtet ist das anders: Wenn Rechtspopulisten über "das Volk" reden, meinen sie damit nicht die Ausländer, nicht die "Gutmenschen", die Homosexuellen, die Andersdenkenden. Sie meinen sich selbst. "Und wenn man genau hinhört", sagt der Bamberger Sprachwissenschaftler Martin Haase, "versteht man, was solche Leute meinen, wenn sie mehr Demokratie, mehr Volksherrschaft, fordern. Das bedeutet schlicht: Wir wollen herrschen!"


Populisten in Europa: von Frankreich über Italien nach Deutschland

Martin Haase ist Romanistik-Professor an der Universität Bamberg und hat vor etwa zehn Jahren begonnen, die Rhetorik französischer Politiker zu analysieren. Ihm war aufgefallen, dass sich die Politikersprache mit Nicolas Sarkozy grundlegend verändert hatte. Was vorher traditionell hochsprachlich, fast literarisch, formuliert war, kam nun in beiläufigem, fast umgangssprachlichem Ton daher. "Natürlich war das auch sehr inszeniert, sehr durchgeplant - aber es klingt spontan." Haase beschäftigte sich damit, wie Silvio Berlusconi Fußballmetaphern nutzte, um die Menschen für sich einzunehmen. Und so kam er zum Populistensprech in Deutschland: Seit etwa zwei Jahren befasst er sich mit der Sprache von Pegida, AfD und allgemein dem rechtspopulistischen Spektrum in Deutschland.


Laut Google-Trends ist da kein Trend: die Lüge vom verbotenen Wort

Wenn Frauke Petry (AfD) fordert, ein Begriff wie "völkisch" als Adjektiv des Wortes "Volk" müsse nun doch endlich wieder verwendet werden können, erklärt Haase: "Dieses Wort war nie benutzbar!" Der Begriff meinte schon bei seiner Entstehung Ende des 18. Jahrhunderts ausschließlich "das Deutsche" im Sinne der Abstammung. Ende des 19. Jahrhunderts wurde "völkisch" zum Gegenbegriff zu "jüdisch". Ein neutraler Begriff , der für alle Nationen verwendet werden konnte, war es nie.
Aber das Wort hat ohnehin keiner vermisst: Haase ist ein Vertreter der Internetkultur, ein führendes Mitglied im Chaos Computer Club und der Piratenpartei, und er hat die Google-Trends nach "völkisch" durchforstet. Es kommt aktuell nur im Zusammenhang mit Frauke Petry vor. Das ist eines der Beispiele, wie mit vermeintlichen Tabus kokettiert wird, mit Problemen, die es gar nicht gibt, denn das Wort braucht niemand. "Termini werden im Deutschen nicht durch Adjektive gebildet", sagt Haase. "Sondern durch Komposition." So eine Wortzusammensetzung wäre beispielsweise Volksvertreter. Oder Volksverräter.


Volksvertreter als Volksverräter

"Interessant ist, dass in der rechten Szene speziell Angela Merkel als Volksverräterin bezeichnet wird. Die korrekte Anschuldigung wäre eigentlich Landesverrat, aber wieder wird ein Begriff verwendet, der eigentlich '45 ausrangiert wurde. Volksverrat war nur im Naziregime eine Straftat. In eine moderne Gesellschaft passt das nicht." Es ist kein Zufall, wenn Rechtspopulisten die Sprache der Nazis bis hin zu wörtlichen Formulierungen aus Goebbels-Reden übernehmen. Immer wieder geht es darum, dass nicht irgendeine Elite bestimmen soll, sondern das Volk. Das klingt, als werde gegen die Mehrheit regiert. Die Wahrheit ist aber, dass unsere Demokratie darauf beruht, dass Verantwortung delegiert wird. "Die Mehrheit muss man nicht schützen. Demokratie bedeutet Minderheitenschutz." Aber "Wir sind das Volk" ist zur Parole gegen Minderheiten geworden. "Das sieht ja auch keine wechselnden Machtverhältnisse vor."
Der Bamberger Sprachwissenschaftler sagt, Politik sei oft ein Kampf um die Wörter. "Das ist nicht auf die rechte Szene beschränkt. Es folgt der einfachen Strategie, seine Gegner negativ zu bezeichnen und das, was man selbst tut, positiv." Als Beispiel nennt er die Diskussion darüber, ob im Arbeitsrecht verschiedene Tarife nebeneinander möglich sein sollen: Je nach Interessenlage wurde mit den Begriffen Tarifpluralismus oder Tarifkonkurrenz hantiert.


Kompositionen mit "Pluralismus" und andere "verbogene" Wörter

Populisten lieben solche Wortzusammensetzungen. Haase nennt es das "Verbiegen" von Wörtern. "Da weiß man erst mal gar nicht, was gemeint ist. So wie bei Ethnopluralismus. Pluralismus klingt ja ganz toll. Aber was ist gemeint? Das ist ein Kampfbegriff, der sagt, ja, es soll verschiedene Ethnien geben, und die sollen bleiben, wo sie ,hingehören': irgendwo in Afrika."
Ähnliche Kompositionen sind Gutmenschenfaschismus, Genderwahn, Meinungsdiktatur, Lügenpresse: allesamt Begriffe, die benutzt werden, um ein Feindbild aufzubauen. Rechtspopulismus hat als Inhalt die Angst, er verkauft eine vermeintlich schreckliche Wahrheit, stellt sich als als Tabubruch, als Systemkritik dar. In Wirklichkeit sind aber so genannte Gutmenschen alles andere als faschistisch. Gender Mainstreaming ist nur ein Ansatz, der Frauen mit Mitteln der Sprache in der Gesellschaft sichtbarer machen will, weil sie weniger wahrgenommen werden. Niemand muss das tun, niemand muss es gut finden - es gibt dabei ein paar hässliche Wörter, aber keinen Zwang oder Wahn. Und vor allem gibt es keine Meinungsdiktatur. Einzig diejenigen, die brüllen, sie seien das Volk, reklamieren für sich, dass nur sie für die richtige Sicht der Dinge stehen.


Wahrheit und Lüge

Und was die "Wahrheit über die Flüchtlinge" betrifft: Wahr ist, dass es keine Geheimnisse gibt. Über Kriminalität, Chauvinismus und Verwaltungsprobleme wurde schon so viel gesagt und geschrieben, dass dabei fast in Vergessenheit gerät, worum es geht: um Menschen, die Schutz brauchen. "Wenn immer wieder von der ,Flüchtlingskrise' geredet wird, ist das nicht so ein krasser Begriff wie ,Flüchtlingstsunami' oder ,Flüchtlingswelle'. Trotzdem entmenschlicht es eine Minderheit. Über solche Formulierungen schleichen sich die Denkweisen der Rechtspopulisten ins Denken ein."
Angst, Verunsicherung und Unzufriedenheit sind die Trümpfe der Rechten. "Mit Angst werden einfache Gewissheiten konstruiert: Es muss was weg, dann ist angeblich alles gut", sagt Haase. In Deutschland läuft es hinaus auf: "Flüchtlinge weg! Alles gut!" In Großbritannien war es: "EU weg! Alles gut!!!" Doch jetzt zeigt die Wahlniederlage der Brexit-Verantwortlichen von Ukip, dass die Engländer erkannt haben, dass die einfachen Gewissheiten eben oft nicht stimmen.


Fake News und alternative Fakten - nichts als Lügen

Alternative Fakten also? Könnte man sagen. Aber wenn es heißt, wir leben im Zeitalter des Postfaktischen, meint das nichts anderes als: Heute wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Fake News? Sind natürlich keine News, sondern noch ein neues Wort für Lüge, für Propaganda. Es sind gerade diejenigen, die eine "Meinungsdiktatur" kritisieren, die von unserer echten Meinungsfreiheit am meisten profitieren. Denn hier darf alles gesagt werden. Sogar das, was nicht stimmt. Zu tun, als werde die Wahrheit unterdrückt, ist vielleicht die größte Lüge im Zeitalter des Postfaktischen.

Zur Person
Martin Haase hat den Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft in Bamberg inne und beschäftigt sich unter anderem als Blogger auf www.neusprech.org mit sprachlicher Verschleierung und politischer PR. Dazu ist das Buch "Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine' bis ,zeitnah'" erschienen (Fischer Taschenbuch, 9,99 Euro). Der 54-Jährige betreibt außerdem die Seite www.martinhaase.de.

Lesen Sie außerdem hier, was der Politikwissenschaftler Andreas Püttmannüber die Rolle von Kirche, Familie und Konservativen im Populismus sagt.