Unser Mitarbeiter Harald Rieger hat den Viertelfinal-Krimi bei der EM in Bamberg aus einer ganz neuen Perspektive verfolgt.
Wie haben die Bamberger das jetzt schon legendäre Spiel Deutschland gegen Italien erlebt? Wir haben uns auf der Fanmeile, aber auch in einem italienischen Restaurant umgeschaut und die Stimmung rund um das EM-Viertelfinale eingefangen, das Fußballgeschichte schreibt.
Manchmal hat man es als Reporter nicht leicht - zumindest dann nicht, wenn sich die deutsche und italienische Nationalmannschaft in einer Meisterschaft als Kontrahenten gegenüberstehen. So kann ich mich noch lebhaft an das letzte EM-Halbfinale 2012 erinnern, als mal wieder Deutschland gegen Italien verlor und ich jubelnde Italiener und traurige Deutsche vor die Kamera nehmen musste.
Nicht, dass hier jemand etwas falsch versteht: Ich liebe meine italienischen Freunde, bin ein Fan von Pizza und Spaghetti. Nur halt eben für kurze Zeit mal nicht, wenn es um die wichtigen Dinge geht, um den Fußball.
Deutsche wohl unter sich
Und da man bekanntlich die Hoffnung nicht aufgeben soll, ziehe ich vor dem EM-Viertelfinalspiel guter Zuversicht los, um am Ende vielleicht doch einmal jubelnde Deutsche einzufangen können. Als erste Station suche ich die Fanmeile am Maxplatz auf, im Glauben, hier deutsche und italienische Fans traut verent zu finden. Fehlanzeige!
Augenscheinlich ist kein einziger italienischer Fan unter den rund 2000 Besuchern. Zumindest keiner, der sich mit italienischer Fahne und blauem Trikot outet. Einzig der Pizzabäcker hält die Stellung der "Gli Azzurri", wohl wissend, wie er selbst betont, bei diesem Spiel nur verlieren zu können.
Die Italiener außer sich
Also, wieso es diesmal nicht einfach mal wagen, direkt in die Höhle der Löwen zu gehen und als Wolf im Schafspelz sozusagen in einem italienischem Restaurant mit den deutschen Nationalspielern mitfiebern. Daher die zweite Station des Abends: das "Ristorante Tivoli". Doch als ich die Gaststätte betrete, traue ich kaum meinen Augen und Ohren. Kein Fernseher, kein Radio, und weit und breit keine bangenden italienischen Fans. Die Chefin des Hauses, bestätigt, was ich gesehen habe. Das "Tivoli" ist Fußballfreie Zone. Wirklich das gesamte Ristorante? Natürlich nicht, ein Blick in die Küche zeigt ein ganz anderes Bild. Obwohl hier hektisches Treiben herrscht, Pizzateig belegt, Pasta zubereitet und Salate garniert werden, aus dem Augenwinkel schafft es das Küchenteam doch immer wieder, auf den Fernseher zu linsen, der dort an der Wand hängt.
Auch Antonio Scalia, der Lebensgefährte der Chefin, und Ghanni Epfani, der Allrounder des Teams, stehen in der Ecke und schauen gespannt auf den Bildschirm. Inzwischen läuft die zweite Halbzeit, und Epfani ist sich sicher: die Italiener schießen in der 52 Minute das 1:0. Antonio Scalia hingegen sieht es gelassen und betont: "Egal, wer gewinnt. Wir waren dabei!"
Als dann in der 65. Minute das Tor für Deutschland fällt, jubeln eigentlich nur zwei Menschen in der Küche. Die Chefin des Hauses, Renate Rumpler, eine gebürtige Deutsche, und ich. Der Koch schimpft auf Italienisch vor sich hin, und Antonio Scalia versucht tapfer zu lächeln. Aber seine Augen blicken schon etwas traurig. "Das war´s. Hier fällt kein Tor mehr. Deutschland kommt weiter", ist er sich sicher. Und seinen Koch warnt er: "Lass jetzt bloß nicht vor Frust die Pizza anbrennen".
Zumindest bis zur 78. Minute soll der Italiener Recht behalten. Doch dann fällt das Elfmetertor für Italien, und die Küchencrew strahlt wieder. Was danach kommt, ist ein Krimi pur. Die Nachspielzeit läuft, die Gäste sind gegangen, und die Gaststätte ist dunkel.
Der letzte macht das Licht aus
Nur die Küche ist noch hell beleuchtet und alle starren gebannt auf den Bildschirm. Beim Elfmeterschießen kann keiner mehr hinschauen. Mal jubeln die Italiener, wenn die Deutschen verschießen, mal die Chefin und ich, wenn die Italiener nicht treffen. Und kurz nach Mitternacht die Gewissheit: Diesmal darf ich jubelnde deutsche Fans fotografieren. Ich verlasse die Küche, bedanke mich für die Gastfreundschaft (es war ein Erlebnis: Fußball in der italienischen Küche) und lasse eine strahlende Chefin und ein paar traurige Italiener zurück. Auf der Fanmeile und in der Innenstand jubeln die Fans, und in der Langen Straße rollt zum ersten Malt der deutsche Autokorso durch.
Erstaunt bin ich allerdings, als um 0.30 Uhr ein Fan per Handy die Nationalhymne anspielt. Sofort stimmen 100 Fans ein und singen kräftig mit. Eine halbe Stunde später kehrt Ruhe in der Innenstadt ein,und ich mach mich mit meinen deutschen Jubelbildern auf den Heimweg.