Baugenossenschaften machten es möglich, dass viele Heimatvertriebene in Bamberg nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft bleiben konnten.
Wer ist hier geblieben, wer ist weitergezogen - und wohin? Verlässliche Zahlen gibt es, 70 Jahre später, nicht. Abertausende waren es, die 1945 und '46 nach Bamberg kamen. Für die meisten war die Domstadt eine Zwischenstation, die der "Erstaufnahme".
Wer damals zur Generation der Großeltern zählte, lebt nicht mehr. Wer Schulkind war, ist heute in den späten Siebzigern oder den Achtzigern. Die Zahl der Vertriebenen, die in Bamberg geblieben sind, wird, altersbedingt, immer kleiner. "Alt werden in Franken" heißt es für sie, fern der Heimat in Schlesien, Ostpreußen, dem Sudetenland und anderen Gebieten.
Unterkunft im baufälligen Haus
Dazu kommen die, die das gleiche Schicksal hatten, aber erst später in Bamberg landeten. So wie Franz Kubin. Neun Jahre alt war er bei der Ausweisung aus Mähren. Mit Mutter, Großeltern und den zwei Geschwistern kam er in ein Dorf im Landkreis Offenbach. Der herzkranke Vater war mangels ärztlicher Versorgung unterwegs gestorben.
Er und seine Familie waren in einem seit Jahren leer stehenden, baufälligen Bauernhaus untergebracht, sechs Personen in einem Raum, sechs Jahre lang. "Wir hatten keine andere Wahl, als uns aus diesen Verhältnissen heraus ein eigenes, selbstbestimmtes Leben aufzubauen", erinnert er sich.
"Mein Bruder musste Autoschlosser lernen, obwohl das überhaupt nicht sein Interessengebiet war. Meine Schwester wurde an der Kunstschule abgewiesen, weil sie weder eine richtige Wohnung vorweisen noch eine Zusage machen konnte, ob und wie ihre Ausbildung finanzierbar ist. Sie hat dann eine Lehre als Schneiderin gemacht. Ich hatte Glück und wurde von einem katholischen Geistlichen gefördert, konnte aufs Gymnasium und konnte studieren."
Als junger, in Frankfurt beschäftigter Gymnasiallehrer hat Franz Kubin in Würzburg bei einem Bundestreffen der Ackermann-Gemeinde seine spätere Frau kennengelernt und ist mit der Heirat nach Bamberg gekommen. 29 Jahre hat er dann am Dientzenhofer-Gymnasium unterrichtet.
Lange bevor die Landsmannschaften der Vertriebenen gegründet werden konnten, gab es in Bamberg (seit 1946) die Ackermann-Gemeinde, ein Verband innerhalb der katholischen Kirche. Sie ist nach Bistümern gegliedert.
Die Ausrichtung der Verbände und Organisationen, die denen, die von Flucht und Vertreibung betroffen waren, halfen, Fuß zu fassen, war (und ist) unterschiedlich.
Großer Anteil an Katholiken
Die meisten katholischen Neuankömmlinge in Franken stammten aus dem Sudetenland, das vor der Vertreibung zu 90 Prozent katholisch war. In der Bistumsstadt Bamberg soll deshalb hier exemplarisch das Wirken eines kirchlich ausgerichteten Zusammenschlusses beleuchtet werden. Allein in der Erzdiözese Bamberg wuchs die Zahl der Katholiken (knapp eine halbe Million) bis August 1946 um rund 230 000, so Franz Kubin.
Zwischen dem 25. Februar und dem 28. Oktober hätten 39 520 Sudetendeutsche Erstaufnahme in Bamberg gefunden. Von dort seien sie auf die Stadt, den Landkreis und andere Gebiete verteilt worden. In der Stadt seien rund 3200 geblieben.
Die Ackermann-Gemeinde sah ihre Aufgabe darin, sich dafür einzusetzen, dass ein Bewusstsein für die Flüchtlingsnot entsteht und die Bereitschaft geweckt wird, der Not abzuhelfen. Dazu gehörten Appelle an die Ordinariate und die Caritas, mit Lebensmitteln zu helfen und und eine seelsorgliche Betreuung in den Lagern einzurichten. Pfarreien werden aufgerufen zu Solidarität und Gerechtigkeit und brüderlichem Umgang mit den Hilfesuchenden.
Franz Kubin hat es in seiner Jugend in dem hessischen Dorf ganz anders erlebt. "Dort hat der Pfarrer gesagt, dass die Bürger den Kontakt zu den Flüchtlingen meiden sollten, mit der Begründung, wenn dies gute Menschen seien, dann hätte man sie aus ihrer Heimat nicht ausgewiesen."
Aufrufe zur Hilfe seien gleichermaßen auch an kommunale und staatliche Stellen gegangen.
Hilfe für die Psyche
Die Ackermann-Gemeinde sei damals aber auch eine Institution gewesen, die sich um die Psyche der heimatlos Gewordenen kümmerten, sagt der heute 79-Jährige, der seit 1974 in Bamberg den Vorsitz führt. "Es galt, im Blick zu haben, was für diese Menschen tröstlich war. Dazu gehörten Gottesdienste, Marienandachten, Heimatabende, aber auch die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte."
Vermittelt wurden aber auch Informationen über Wohnungs- und Arbeitssuche, Sozialversicherung, Renten, Pensionen, über Gesetze und Fördermöglichkeiten, die Eröffnung von Handwerksbetrieben und Einzelhandelsgeschäften, die Zulassung von Ärzten und Rechtsanwälten, aber auch über die Möglichkeit, in die USA auszuwandern.
Emil Krämling, Diözesansekretär für Flüchtlingsfragen und Motor der Bewegung in Bamberg, arbeitete aber auch in der St.-Josefs-Stiftung mit.
Diese, im Oktober 1948 gegründet, stellte auch in Bamberg in der Nachkriegszeit Wohnraum insbesondere für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Ausgebombte zur Verfügung. In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens entstanden 4663 Wohnungen (Mietwohnungen und Eigentum), informiert Anna Geßlein, zuständig für die Unternehmenskommunikation der Stiftung.
50 Quadratmeter ohne Bad
Die durchschnittliche Größe einer Mietwohnung habe in den Jahren zwischen 1949 und 1951 bei 50 Quadratmetern (ohne Bad) gelegen. 1955 dann bei 60 Quadratmetern (hier gab es dann Badezimmer). Im September 1949 nahm die Baugenossenschaft der Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten (heute: Baugenossenschaft für den Stadt- und Landkreis Bamberg) ihre Tätigkeit auf.
Rund 1000 Wohnungen errichtete sie in den ersten zehn Jahren. Die ersten Häuser wurden in der Amalien- und Ottostraße hochgezogen (105 Wohnungen), es folgten Heinrichdamm, Claviusstraße und Sodenstraße (138), Mittelbachstraße, Spinnseyer (138), Hauptsmoorstraße (rund 80), Hegelstraße, Heidelsteig (138), Äußere Nürnberger Straße (138), Marienplatz (40), Kunigundendamm (35), Lichtenhaidestraße (100), Adalbert-Stifter-Straße und Sudetenstraße (100).
90 Pfennig pro Quadratmeter
"Mit diesen Wohnungen wurde versucht, die Auffanglager leer zu machen", erläutert Baugenossenschafts-Geschäftsführer Günther Straub. Der (geförderte) Miet-Wohnraum war erschwinglich. "Im Dezember 1953 beispielsweise kostete die Netto-Kaltmiete in der Mittelbachstraße 90 Pfennig pro Quadratmeter."
Ackermann-Gemeinde : Die Ackermann-Gemeinde ist eine Gemeinschaft in der katholischen Kirche, die sich seit 1946 einsetzt für die Versöhnung und Gestaltung der Nachbarschaft mit der Tschechoslowakei (jetzt Tschechien und Slowakei). Sie leitet ihren Namen her vom Werk des Johannes von Saaz "Der Ackermann aus Böhmen" (um 1400). Ihr Ziel war, in kleinen Aktionsgruppen auf Pfarrei oder Kreisebene tätig zu werden und kein Flüchtlingsverband neben anderen Flüchtlingsverbänden zu sein.