Wie eine große Familie

3 Min
Eine gemeinsame Runde Kicker - Hamza und Hussein spielen gegen die Heimleiter Dimitri Antonov und Hannes Schnabel (v. r. n. l.) in der Jugendhilfe Campus. Foto: Angelika Despang
Eine gemeinsame Runde Kicker - Hamza und Hussein spielen gegen die Heimleiter Dimitri Antonov und Hannes Schnabel (v. r. n. l.) in der Jugendhilfe Campus.    Foto: Angelika Despang

Die Jugendhilfe Campus in Bad Kissingen gibt unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen ein Zuhause. Über die Arbeit der Betreuer zwischen Heimweh, Bürokratie und Küche putzen.

Wenn Dimitri Antonov im Supermarkt mit "Papa!" gerufen wird, weiß er, dass es schon mal einer seiner Jungs aus der Wohngruppe der Jugendhilfe Campus sein kann. Zum Beispiel Hussein, der mit 14 Jahren allein aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist und jetzt an die Anton-Kliegl-Mittelschule geht: "Er hat ein gutes Herz. Ich kann bei Sorgen immer zu ihm gehen", sagt Hussein lächelnd.

400 Jugendliche begleitet

Dimitri Antonov hat zusammen mit Hannes Schnabel die Heimleitung der Jugendhilfe Campus in der Schurzstraße Bad Kissingen inne. 2015, auf der Höhe der Flüchtlingskrise, wurde die Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) eröffnet. Seitdem hat das zehnköpfige Team bereits um die 400 Jugendliche in ein selbstständiges Leben begleitet.

Sorgen oder kein Bock?

Wenn der Arbeitstag um 7:30Uhr beginnen, hat der Nachtdienst die Jugendlichen bereits zwei-, dreimal geweckt: "- wie es so bei Jugendlichen ist. Dann wird vielleicht schnell was Essbares zum Frühstück eingeworfen und dann geht"s zur Schule. Wir Betreuer müssen dann allenfalls den Herd oder das Licht ausmachen", sagt Hannes Schnabel schmunzelnd. Die Jugendlichen - alles Jungen im Alter von 15 bis 18 Jahre - leben in Wohneinheiten von vier bis fünf Personen zusammen und sind selbst fürs Einkaufen, Kochen und Putzen zuständig.

"Wenn alle in die Schule gehen, ist es ein guter Tag. Meistens hat einer Bauch- oder Kopfweh und dann ist die Frage: kann er nicht oder will er nicht?" Dann ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn nicht selten war die Nacht des Jugendlichen schlaflos, weil er sich Sorgen um die Familie in der Heimat macht. Besondere Nervosität herrscht, wenn Verwandte nach Geld fragen, um die Schulden bei den Schleusern zu begleichen.

Herzlicher Kontakt zu Betreuern

Selten werden die Betreuer nachts gerufen: "Im Allgemeinen sind die Jugendlichen nicht so kriegstraumatisiert, wie man meinen könnte. Sie haben wenig Angst nachts und sind robust", denn diese Einrichtung sei für Jugendliche ohne größere psychische Probleme, so Schnabel. Bei Heimweh hilft der teils intensive Austausch mit den Eltern oder mit Landsleuten und der herzliche Kontakt zu den Betreuern. "Wir sind wie eine große Familie", sagt Papa Dimitri und nimmt den einen oder anderen auch mal in den Arm.

Auch Männer putzen

Die Erziehung ist in diesem Alter bereits größtenteils gelaufen: "Das muss man realistisch betrachten und die Jungs so nehmen, wie sie sind", sagt Antonov, "sie sind nicht perfekt, aber sie putzen und sie kaufen selbst ein und das, obwohl Mama das alles zu Hause gemacht hat." Da kann es sein, dass im Kühlschrank leere Milchtüten stehen, aber wenn der Pädagoge selbst mit anpackt und vorlebt, dass in Deutschland auch Männer putzen, fühlen sich die Teenager an der Ehre gepackt und wollen ihre Betreuer nicht allein arbeiten lassen. Sollte sich doch einer drücken, gibt es das Geld, das am Ende der Woche immer ausbezahlt wird, in Form von Einkaufsgutscheinen - was nicht sehr beliebt ist.

"Es ist nicht so, dass die Jugendlichen nicht erzogen sind, wenn sie herkommen. Die wenigsten nutzen ihre Freiheiten voll aus, an Alkohol haben die meisten aufgrund der Religion kein Interesse und die verschiedenen Nationalitäten kommen gut miteinander klar", erklärt Hannes Schnabel. Dabei ist der pädagogische Auftrag nicht ganz einfach: einerseits sollen die Jugendlichen ihre kulturelle Identität nicht vergessen, andererseits sich an die deutsche Kultur anpassen. "Da kann es sein, dass die kurdische Flagge an der Wand hängt und das Leberkäs Brötchen auf dem Teller liegt", lacht Schnabel.

Neben der Bürokratie und nicht geklärten Zuständigkeiten von Ämtern stellt der leergefegte Wohnungsmarkt die Betreuer vor Herausforderungen. Wenn die jungen Männer volljährig sind, verlassen sie die Jugendhilfe, sind aber häufig noch nicht mit der Schule fertig: "Bisher haben wir immer noch eine Wohnung gefunden, doch jetzt mit dem Ukrainekrieg ist das fast unmöglich", sorgt sich Antonov, "doch wir können die Jugendlichen ja nicht einfach auf die Straße setzen."

Zwei Klassen Migranten

Oft bemerken die Pädagogen Vorbehalte gegenüber dunkelhäutigen, jungen Männern bei potenziellen Vermietern: "Wenn wir für ukrainische Teenager, die blond und blauäugig sind, eine Wohnung suchen, ist das deutlich leichter", stellt Schnabel klar. Er sieht die Gefahr einer Spaltung von Migrantengruppen, da ukrainische Flüchtlinge sehr schnell sehr viel mehr bekämen als andere, "obwohl andere schon länger in dieser Situation sind. Damit tun wir dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland keinen Gefallen", findet der Sozialpädagoge.

Es sei eine schöne Arbeit, sagen beide Heimleiter, "ohne Herz geht gar nichts. Wenn dann ein ehemaliger Jugendlicher in Maler-Klamotten vorbeikommt, uns von seinem Haus erzählt und eine Einladung zur Hochzeit in die Hand drückt, dann weiß ich, dass er auf festen Beinen steht und integriert ist."