Diese Woche beginnen die Abschlussprüfungen an der Kliegl-Schule. Alle Schüler haben bereits ihren Ausbildungsvertrag in der Tasche.
Seit 15 Jahren gibt es die zweizügige Praxisklasse an der Anton-Kliegl-Mittelschule, die einzige ihrer Art im Landkreis, gefördert durch den Europäischen Sozialfonds (ESF), das staatliche Schulamt sowie Stadt und Landkreis Bad Kissingen. Dieses Schulprojekt ist eine Chance für jene Hauptschüler, deren Begabung eher im Praktischen und Handwerklichen liegt als im Erlernen theoretischer Lehrinhalte.
In dieser Woche machen wieder acht Schüler ihre fünftägige Abschlussprüfung. Alle haben bereits ihren Ausbildungsvertrag für einen Handwerksberuf in der Tasche. Für das nächste Schuljahr sind deshalb wieder Nachrückerplätze frei.
"Unsere Praxisklasse ist wesentlich stärker auf die Berufsfindung ausgerichtet", erklärt Klassenleiter André Prechtl den Unterschied zu den Regelklassen. Ab dem achten Schuljahr dürfen Schüler in die Praxisklasse wechseln, manche kommen auch erst ab dem neunten Schuljahr hinzu. Prechtl: "Zu wechseln ist allein die Entscheidung der Schüler und ihrer Eltern, keinesfalls die Entscheidung der Schule." Lehrer können allenfalls eine Empfehlung aussprechen, wenn sie im Regelunterricht Schwächen oder Motivationsverlust beim Schüler feststellen.
"Die richtige Entscheidung"
Bei Stephan Cailloux (17) war es seine Mutter, die auf die Idee mit der Praxisklasse kam. Sie hatte gerade einen Zeitungsbericht über deren Chancen gelesen. Nach Gesprächen mit Lehrern und Sohn, wechselte Stephan. Nach zwei Jahren Praxisklasse bestand er seinen Mittelschulabschluss mit der Gesamtnote 1,6. Bald hat er sein erstes Lehrjahr zum Kfz-Mechatroniker hinter sich. "Die Entscheidung war perfekt. Anders kann man das gar nicht beschreiben", sagt er heute und meint sowohl die Entscheidung für die Praxisklasse als auch für seine Berufswahl.
Pro Jahr machen die maximal 15 Schüler der Praxisklasse fünf Praktika von 14 Tagen, dazwischen wöchentlich einen Praxistag. Stephan hatte in seinen zwei Jahren auch Praktika als Anlagenmechaniker und Zimmerer gemacht. Das Praktikum in einer Kfz-Werkstatt hat ihn dann in seinem Berufswunsch bestätigt, zumal ihm von der Firma ein Ausbildungsplatz in Aussicht gestellt wurde.
"Für Ausbildungsbetriebe sind die praktische Begabung, das Engagement, das Durchhaltevermögen und die Belastbarkeit entscheidender als Schulnoten", hat Sozialpädagogin Hilda Wischnewski von der Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi) bei ihrer engen Zusammenarbeit mit Ausbildungsbetrieben im Landkreis erfahren. Sie unterstützt die Praxisschüler nicht nur bei Problemen aller Art im normalen Schulalltag, sondern gezielt während der Betriebspraktika, bei der Berufsberatung, bei der Suche eines Ausbildungsplatzes, beim Schreiben der Bewerbung und sogar nach Beginn der Ausbildung in der persönlichen Nachbetreuung. "Bei allem ist jedoch die Unterstützung durch die Eltern unverzichtbar."
Streit im Elternhaus hatte es in jungen Jahren oft bei Julia Sauer (17) gegeben. Schlechte Schulnoten waren der Grund. "Ich hatte einfach keine Lust mehr." Erst der Wechsel in die Praxisklasse veränderte ihr Leben. "Es war die richtige Entscheidung." Nach zwei Schuljahren schloss sie mit 2,3 ab und ist heute im zweiten Lehrjahr zur Raumausstatterin.
Heute ist Julia eine fröhliche, temparentvolle junge Dame voller Zufriedenheit. "Früher war sie zurückhaltend, hat kaum mit uns geredet", ist auch Stanislav aufgefallen. Stanislav Nuschdin (17) kam erst vor fünf Jahren aus Kirgisistan und sprach nur Russisch. Mühsam musste er Deutsch lernen und brauchte über ein Jahr, um die Lehrer zu verstehen. Außerdem war der Unterricht in seiner Heimat ganz anders gewesen. Kein Wunder also, dass er es im Regelunterricht schwer hatte.
Sein damaliger Lehrer schlug ihm den Wechsel in die Praxisklasse vor. Stanislav nutzte seine Chance. "Wo ich früher nur einen Sechser hatte, bekam ich jetzt eine Drei oder Vier."
Doch zwei Jahre Praxisklasse reichten ihm noch nicht zur Prüfung. "Aber er hat uns gezeigt, dass er sich anstrengt", nennt Prechtl den Grund, weshalb Stanislav noch ein drittes Jahr anhängen durfte. Jetzt steht er vor der Prüfung und ist sicher, dass er sie bestehen wird. Seinen Ausbildungsplatz ab September zum Anlagenmechaniker SHK hat er auch schon.
"Der Erfolg beim praktischen Arbeiten in den Berufspraktika, das Entdecken ihrer Stärken geben den Schülerinnen und Schülern unserer Praxisklasse neuen Mut und Hoffnung auf einen Arbeitsplatz", betont Klassenleiter Prechtl. "Dieses Ziel vor Augen lässt auch die Motivation zum theoretischen Lernen wieder ansteigen."