Mit dieser Einladung hatte er sich selber wohl das schönste Geburtstagsgeschenk gemacht: Der Fränkische Sängerbund, der in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert, erhielt Besuch vom Studentenchor der Universität Peking.
Die jungen Leute, allesamt Studenten, jedoch keiner Musikstudent, reisten sechs Tage lang mit dem Präsidenten des Fränkischen Sängerbundes, Peter Jacobi, durch Franken, besichtigten Firmen und historische Städte, und sangen am einen oder anderen Ort Konzerte.
Am Sonntagabend, einen Tag vor ihrer Rückreise, machten sie Station in Bad Kissingen. Hier gaben sie, gemeinsam mit dem Männerchor des Landkreises Bad Kissingen, ein Konzert in der Wandelhalle.
Jacobi hatte sich, durch eine private Chinareise angeregt, den Besuch eines chinesischen Chors zum Jubiläumsjahr gewünscht. Ein Glücksfall. Ein großes Glück war die Erfüllung dieses Wunsches auch für das Publikum, denn was die chinesischen Gäste an musikalischen Geschenken mitbrachten, was sie an Eindrücken hinterließen, in welch perfekter und zugleich begeisternder Weise sie sangen, lässt sich in Worten kaum beschreiben.
Wer sich
unter einem "Studentenchor", dessen Repertoire über traditionelle chinesische Volkslieder und klassische Chorliteratur bis hin zu zeitgenössischen Sätzen reicht, einen Chor vorstellte, der ein wenig Folklore mitbringt, vielleicht ein bisschen Schubert mit exotischem Touch zum besten gibt, und ein wenig Chormusik des 20. Jahrhunderts ganz solide beherrschen würde, der hatte sich verschätzt.
Was der Chor unter Leitung der Professorin Hou Xijin an Literatur sang, hatte mit simpler Folklore so wenig gemein. Die Bearbeitungen der Volkslieder aus verschiedenen Provinzen Chinas sind harmonisch hoch kompliziert, in ihren Strukturen meist vielschichtig und in der Regel rhythmisch kompliziert. Außerdem stellen die Sätze, wohl alle entstanden im 20. Jahrhundert, auch enorme stimmliche Ansprüche an die Ausführenden. Der Stil der Kompositionen ist unterschiedlich; allerdings muten alle sehr westlich inspiriert an.
Etwas, was der mit chinesischer Chormusik nicht vertraute Hörer als "typisch chinesisch" ausmachen könnte, fehlt gänzlich.
Explosion von Klängen Man hört einige Elemente der europäischen Chormusik der 1920er Jahre heraus, nimmt Einflüsse der experimentierfreudigen Zeit der 60er und 70er Jahre wahr und könnte doch nichts eindeutig einem bestimmten Vorbild zuordnen. Viele Namen von Komponisten, die in markantem Stil für Chor geschrieben haben, tauchen im Gedächtnis auf. Der Eindruck war faszinierend: Ein Kaleidoskop und zuweilen eine Explosion von Klängen, Farben, Ausdrucksmöglichkeiten. Die reichten vom leichten, weichen Gesang über aufregende Glissandi, dazu kontrastierend staccatomäßiges Rufen bis zum nasalen Schnattern reichten.
So deuteten, zur großen Freude der Hörer, die Damen des Chores die Bearbeitung eines kasachischen Volkslieds aus der Provinz Xinjiang mit dem Titel "Die Schwalbe" aus. Ein Stück, dessen Worte man wirklich nicht verstehen muss, weil die Musik spricht. Das übrigens war ein Manko des Konzertes: Übersetzungen der chinesischen Texte gab es nicht; es ließen die Informationen über die Komponisten zu wünschen übrig. Angesichts der weit überdurchschnittlichen Leistung des Chores mag man das verzeihen.
Pure Perfektion Die Perfektion nämlich, mit der die 14 Damen und 16 Herren (auswendig) sangen, stellte so ziemlich alles in den Schatten, was man landläufig in unseren Konzertsälen hört. Auch mancher professionelle Chor darf vor dieser Leistung den Hut ziehen.
Bereits beim ersten Stück des Männerchores der Studenten fiel die sagenhaft saubere Intonation auf, dazu das Fließende in der Musik und die enorme Geschmeidigkeit. Wunderbar vollkommen unangestrengte Tenorstimmen waren da zu hören, die mühelos und farbenreich bis in große Höhen hinauf agierten. Bei den Damen waren entsprechend die Soprane extrem beweglich, die Stimmen füllig und doch leicht. Wenn der Chor gemischt sang, fiel die vollkommen einheitliche Farbe auf. Die Palette reichte von weich und süß bis kantig und kristallin-schroff.
Als ein Höhepunkt im Programm muss das "Tenebrae factae sunt" des japanischen Komponisten Ko Matsushita herausgehoben werden, der erst kürzlich diese Karfreitagsszene für den Pekinger Chor vertont hat. Ein Satz mit steter Unruhe, sehr intensiv gesungen, wechselhaft im Charakter und den geforderten Techniken.
Vom Pianogesang über ein mächtiges Fortissiomo bis zum Rufen der Jesusworte "In manus tuas commendo" wandelt sich der Ausdruck, bevor das Stück versöhnlich, aufgelöst in einem weich verklingenden Dur-Akkord endet. Erstaunlich war, wie begierig das Publikum die ungewohnten Klänge in sich aufnahm und auf sich wirken ließ.
Solider Männerchor Vertrauter war, was der Landkreis-Männerchor unter Leitung von Elmar Brehm vorbereitet hatte: gewohnt solide aufgeführte, beliebte Männerchorliteratur, die von der Humoreske bis zur nicht ganz anspruchslosen Schubert-Bearbeitung reichte, die mit Engagement gesungen war und die Hörer erfreute. Doch war der Beitrag in diesem Fall eher ein Gastspiel im "eigenen" Haus.
Ein direkter Vergleich verbietet sich ohnehin: Der Studentenchor probt zweimal wöchentlich, seine Mitglieder sind erheblich jünger, die Anforderungen sind vollkommen anders. Ein Freundschaftssingen war diese musikalische Begegnung, sie war herzlich, ausgesprochen ereignisreich und von großem Erfolg gekrönt.