Einreise als Spätaussiedler abgelehnt
"Ich stehe zu meiner Meinung und werde sie auch weiter sagen", sagt Alexej Schwarz kämpferisch. Denn er habe ja genau deshalb in Deutschland politisches Asyl beantragt, um seine Oppositionsarbeit gegen die russische Regierung von hier aus fortzusetzen. Dass es so viele Putin-Sympathisanten unter Spätaussiedlern gibt, entsetzt den jungen Regime-Kritiker. Seine Erklärung: "Viele Russlanddeutsche schauen hier nur das staatliche russische Fernsehen und identifizieren sich nicht mit Deutschland." Diese Leute sollte man seiner Meinung nach zur Verantwortung ziehen.
Eigentlich hatte Alexej Schwarz bei seiner Flucht aus Russland sein Einreiserecht als Spätaussiedler geltend machen wollen. Er hat deutsche Vorfahren. Die Großeltern des Vaters lebten einst in Volyn im Nordwesten der Ukraine an der Grenze zu Belarus. Nach dem Krieg wurden sie nach Sibirien verbannt. Dort sind die Eltern von Alexej Schwarz aufgewachsen, dort ist auch er geboren und dort hat er bis zu seinem 17. Lebensjahr gelebt.
Der von der Familie beim Grenzdurchgangslager Friedland gestellte Antrag auf Einreise als Spätaussiedler sei aber abgelehnt worden, weil die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland dagegen interveniert habe, sagt Alexej Schwarz. Das war für ihn wie ein Schlag ins Gesicht. "Ich bin Deutscher, Deutschland ist meine historische Heimat." Über die deutsche Botschaft in Kiew habe die Familie dann Visa als politische Flüchtlinge erhalten.
Alexej Schwarz spricht noch nicht so gut Deutsch, deshalb übersetzt Dolmetscherin Kornelia Schistka-Streck simultan das Gespräch. Die Lebensgeschichte des erst 25-Jährigen klingt wie ein Thriller.
Als er mit 17 Jahren zum Physik-Studium an die Universität nach Kurgan ging, einer 300.000-Einwohner-Stadt im südwestlichen Sibirien, kam er zum ersten Mal mit der Korruption in seinem Heimatland in Berührung. Er sollte für eine wissenschaftliche Arbeit eine Staatsprämie erhalten, aber nur unter der Bedingung, dass er die Hälfte des Preisgeldes an die Hochschulorganisatoren abgibt. Weil er sich geweigert habe, sei er nicht als Preisträger nominiert worden. Noch schlimmer: Es wurde ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet. Der Vorwurf: Er habe sich mit Schmiergeld den Preis erkaufen wollen. "Das war für mich unfassbar, ich empfand es als ungerecht", sagt Schwarz.
Seinen Mut zum Widerstand weckte im Laufe des Studiums sein 80-jähriger Professor. Er habe ihn auf Nawalny aufmerksam gemacht, den er bis dahin gar nicht kannte. Der russische Oppositionspolitiker organisierte damals erste Demos gegen Korruption, darunter auch eine in Kurgan. Obwohl er Angst hatte, ging Alexej Schwarz hin und war von da an Nawalny-Fan.
Wie gefährlich Kritik an den Herrschenden in Russland ist, erlebte der junge Mann Ende November 2017. Als er Nawalny-Aufkleber an eine Bushaltestelle anbrachte, wurde er von acht Polizisten festgenommen und in einem Auto mit abgedunkelten Scheiben fortgebracht. Auf der Polizeiwache habe man ihn zusammengeschlagen, erkennungsdienstlich behandelt und wegen "Störung der Nachtruhe" zur Zahlung von 1000 Rubel verurteilt, erzählt er.
Der Vorfall war prägend für den damals 21-Jährigen. "Da war mir klar geworden, wenn die Staatsmacht so reagiert, darf ich nicht zurückschrecken." Alexej Schwarz wollte von nun an aktiv in Nawalnys Team mitarbeiten und stellte sich an die Spitze seiner Anti-Korruptions-Stiftung in Kurgan. 2018 überwachte er als Wahlbeobachter die Präsidentschaftswahlen, die Amtsinhaber Putin mit 76 Prozent gewann. "Es gab etliche Verstöße gegen die Wahlordnung", erzählt Schwarz. In seinem Bezirk habe er beobachtet, dass Wähler in Bussen von Wahllokal zu Wahllokal gefahren wurden, damit sie mehrfach ihre Stimme abgeben konnten. Teilweise seien Wähler von einer zweiten Person in die Wahlkabine begleitet worden und zur entsprechenden Stimmabgabe gezwungen worden.
Büro wurde gestürmt
Weil er alles dokumentierte und veröffentlichte, stand der junge Oppositionskämpfer von da an unter verschärfter Beobachtung der Polizei. "Einmal stürmten 20 Leute mit Maschinengewehr unser Büro." Alle Unterlagen seien beschlagnahmt worden, auch seine Bankkarte und sein Reisepass. Eine neue Geldkarte konnte er danach nicht mehr beantragen, "angeblich weil ich 7,5 Millionen Rubel Schulden hatte". Der Vorfall sei in Russland durch die Presse gegangen.
Alexej Schwarz ließ sich nicht unterkriegen, setzte seine Oppositionsarbeit unbeirrt fort. In Kurgan kämpfte er auch gegen den gefährlichen Uran-Abbau und legte sich mit Russlands Atomgiganten Rosatom an. Hier deckte er manipulierte Volksabstimmungen auf. Die Polizei habe ihn ständig verfolgt. "Unser Büro wurde sogar beschossen und das Schlüsselloch zugeklebt", sagt er.
Am Tag des Giftanschlags auf Nawalny, am 20. August 2020, stand Alexej Schwarz vor Gericht und wurde wegen "Teilnahme an einer verbotenen Veranstaltung" zum Arbeitsdienst verurteilt. Der nächste Prozess folgte auf dem Fuß. Diesmal wurde er dem Wehrkommando vorgeführt. "Man wollte mich in die Armee stecken, obwohl ich nicht diensttauglich bin." Die Atteste hatte man vernichtet.
Als im Januar 2021 Nawalny nach seiner Behandlung in der Berliner Charité nach Moskau zurückkehrte und verhaftet wurde, spitzte sich auch für Alexej Schwarz die Lage zu. Er hatte inzwischen korrupte Mitarbeiter der Verwaltungsleitung von Kurgan entlarvt.
Zwei Tage nach Veröffentlichung seiner Recherchen wurde er verhaftet. Passanten filmten die Szene und posteten das Video in Sozialen Netzwerken. Es zeigt, wie zwei Männer in Zivil Alexej Schwarz aus einem Gebäude schleifen und in ein Auto zwängen. Die Aufnahme geht um die Welt. Sein Name steht in allen großen westlichen Zeitungen. Im Schnellverfahren gab's das Urteil: 30 Tage Gefängnisstrafe. Zwei Tage vor dem Freilassungstermin folgte ein weiterer Prozess per Skype mit einer neuerlichen Verurteilung zu weiteren 30 Tagen Haft. Das wiederholte sich immer wieder. Und Schwarz war klar: Man wollte ihn für immer wegsperren. Aus dem Gefängnis heraus machte er seiner Freundin einen Heiratsantrag. Als er kurzzeitig auf freiem Fuß war, gelang ihnen die Flucht.
Alexej Schwarz führt seinen "Kampf gegen Putin" nun in Schweinfurt fort und protestiert seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine offen gegen Putins Krieg. Dass er sich damit auch hierzulande Feinde macht, hat ihn geschockt, hält ihn aber nicht auf. "Ich habe in Russland in Kauf genommen, dass man mich umbringen kann, dann werde ich hier erst recht politisch weiterarbeiten", sagt er. Das sei seine Lebensart, "das ist meine Mission". Irene Spiegel