Musikalisch bleiben Fragezeichen

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Das Kammerorchester Bad Kissingen spielte Mozarts Requiem. Foto: Christian Dijkstal
Das Kammerorchester Bad Kissingen spielte Mozarts Requiem. Foto:  Christian Dijkstal
 
 
 

Jörg Wöltche und das Kammerorchester Bad Kissingen spielten Mozarts Requiem. Doch die Lichtenthal-Version taugt nicht für kleines Streichorchester.

Christian Dijkstal "Tiefendimension der Ewigkeit": So war das kirchenmusikalische Konzert überschrieben, zu dem Kantor Jörg Wöltche und das Kammerorchester Bad Kissingen in die Erlöserkirche eingeladen hatten. Es wollte anregen, sich am Abend des Ewigkeitssonntags - dem letzten Sonntag im Kirchenjahr, an dem die evangelischen Christen im Gottesdienst der Verstorbenen gedenken - mit den Themen Tod und Ewigkeit auseinanderzusetzen.
Ein sinnvolles Angebot, das von einer stattlichen Anzahl von Konzertbesuchern wahrgenommen wurde. Das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart war Schwerpunkt des Abends; dessen Aufführung stellte Kantor Wöltche drei Choralbearbeitungen für Orgel voran, die thematisch auf die Totenmesse hinleiteten.
Ein interessanter Gedanke war, dem Requiem unmittelbar Johann Sebastian Bachs Orgelchoral "Vor deinen Thron tret ich hiermit" vorangehen zu lassen, dessen Reinschrift nach der zweiten Choralzeile abbricht und die Komposition als Fragment erscheinen lässt.
Wie bei Mozarts nicht eigenhändig fertig gestelltem Requiem ranken sich auch hier Legenden um das Werk, die dessen unvollendeten Zustand dem nahenden Tod seines Schöpfers zuschreiben, der beiden gleichsam "die Feder aus der Hand" nahm.
Dass Mozarts Requiem nach seinem Tod doch noch vollendet wurde und heute zu dessen beliebtesten Kompositionen zählt, ist im Wesentlichen seinen Schülern Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayer zu verdanken, die das, was an Aufzeichnungen vorhanden war, im Auftrag von Mozarts Witwe ordneten und zu Ende führten. Ein wichtiger Punkt dieser Arbeiten ist die Instrumentierung. Und obwohl die Ausführung in Teilen (nicht ganz zu Unrecht) kritisiert wird, trägt sie doch ganz entscheidend zur Wirkung der Komposition bei; hierbei spielen gerade die Bläser eine wichtige Rolle.
Wöltche hatte sich entschlossen, das Mozart-Requiem in einer Fassung für Streichquartett aufzuführen, die der Mozart-Verehrer Peter Lichtenthal in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erarbeitete. Er sei, sagte Wöltche vor Konzertbeginn, "außerordentlich fasziniert von der Quartettfassung" gewesen, als sie ihm vor zwei Jahren begegnete.

Faszinierendes Stück

Es ist begreiflich, ein faszinierendes Stück Musik aufführen zu wollen. Nicht so recht nachvollziehbar ist die Art, in der das hier geschehen ist. Denn nicht ein Quartett spielte am Sonntagabend die Lichtenthal-Version, sondern ein kleines Streichorchester. Und dafür taugt die Transkription tatsächlich nicht. Das Ergebnis ist unbefriedigend, weil man weder das volle Orchester noch die echte kammermusikalische Reduktion hat, sondern ein Zwischending, das sich mühsam mit all der Behelfsmäßigkeit herumquält, die eine auf vier Instrumente verteilte Bearbeitung haben kann. Zum Kennenlernen der musikalischen Essenz mag sie geeignet sein; sie mag auch ihren Reiz als Kammermusikvariante für Liebhaber haben. Als aufgeblähter Chor- und Orchesterersatz taugt sie nicht; da enttäuscht sie, ist nicht Fisch und nicht Fleisch.
Die vier Stimmen eines so angelegten Streichquartettsatzes auf die Spieler eines Laienorchesters, die sich abmühen und ihr Bestes geben, zu verteilen, ist auch ihnen gegenüber unfair. Das Ergebnis muss enttäuschen. Man hört die Vielzahl der Streichinstrumente, aber die klangliche Fülle fehlt. Ein "Dies irae" kommt auf diese Weise sehr harmlos daher; eine Viola, die das "Tuba-mirum-Thema" spielt, ist einfach keine Posaune; im "Confutatis" kann der Klang nur mager wirken. Es mag sein, dass der (bei Lichtenthal nicht vorkommende) Kontrabass, dessen Spieler krankheitsbedingt ausfiel, daran ein wenig geändert hätte. Nichts geändert hätte er an der kompositorischen Struktur. Nichts geändert hätte er auch daran, dass in der Streichquartettversion alle Linien empfindlich offen liegen und jede Ungenauigkeit deutlich hörbar wird. Und bei so eindrucksvoller Streicherbesetzung fehlen dann eben doch die Bläser: Selten klingt eine leere Quinte so behelfsmäßig leer, wie am Ende dieses Requiems.

Das bleibt im Gedächtnis

Es gab durchaus schöne Stellen in dieser Aufführung. Feine Ausarbeitungen im "Confutatis" und besonders das anrührend klagend gestaltete "Lacrimosa" bleiben im Gedächtnis. Auch die Bewältigung der recht schwierigen Fugen verdient wirklich Respekt. Beim Anliegen, sich auf hörend-meditierende Weise dem Thema des Ewigkeitssonntags zu nähern, mag das Konzert in der mit zahlreichen Kerzen stimmungsvoll erleuchteten Kirche vielen Besuchern geholfen haben. Manchen mag es getröstet oder zu innerer Einkehr bewegt haben. Damit hat es spirituell erreicht, was die Einladenden wollten. Musikalisch bleiben Fragezeichen.