Deichschutz geht vor Baumschutz

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Der Spaziergang auf dem sogenannten Dammweg ist im Sommer dank zahlreicher Schatten spendender Bäume sehr angenehm. Doch diese sollen bis spätestens 2019 verschwunden sein. Foto: Heike Beudert
Der Spaziergang auf dem sogenannten Dammweg ist im Sommer dank zahlreicher Schatten spendender Bäume sehr angenehm. Doch diese sollen bis spätestens 2019 verschwunden sein. Foto: Heike Beudert
Im Jahr 1969 erreichte das Hochwasser sogar die Klosterkirche. Die Münnerstädter, die nicht direkt davon betroffen waren, schauten staunend auf die Seenplatte, die sich vor ihren Augen in der Manggasse auftat. Damals gab es keinen Hochwasserdeich. Foto: Stadtarchiv
Im Jahr 1969 erreichte das Hochwasser sogar die Klosterkirche. Die Münnerstädter, die nicht direkt davon betroffen waren, schauten staunend auf die Seenplatte, die sich vor ihren Augen in der Manggasse auftat. Damals gab es keinen Hochwasserdeich. Foto: Stadtarchiv
 
Münnerstadt ohne Hochwasserfreilegung im Jahr 1969. Foto: Stadtarchiv
Münnerstadt ohne Hochwasserfreilegung im Jahr 1969. Foto: Stadtarchiv
 
So ist der Münnerstädter Deich aufgebaut: Illustration: Micho Haller
So ist der Münnerstädter Deich aufgebaut: Illustration: Micho Haller
 
Münnerstadt ohne Hochwasserfreilegung im Jahr 1969. Foto: Stadtarchiv
Münnerstadt ohne Hochwasserfreilegung im Jahr 1969. Foto: Stadtarchiv
 
Münnerstadt ohne Hochwasserfreilegung im Jahr 1969. Foto: Stadtarchiv
Münnerstadt ohne Hochwasserfreilegung im Jahr 1969. Foto: Stadtarchiv
 
Münnerstadt ohne Hochwasserfreilegung im Jahr 1969. Foto: Stadtarchiv
Münnerstadt ohne Hochwasserfreilegung im Jahr 1969. Foto: Stadtarchiv
 
Fast bis zur Brust hätte Matthias Nöth das Wasser gereicht , wäre er beim 1880er oder 1969er Hochwasser im Schlosshof gewesen. Foto: Heike Beudert
Fast bis zur Brust hätte Matthias Nöth das Wasser gereicht , wäre er beim 1880er oder 1969er Hochwasser im Schlosshof gewesen. Foto: Heike Beudert
 

Dass der sogenannte Dammweg entlang der Lauer ein technisches Bauwerk gegen den Hochwasserschutz ist, geriet fast in Vergessenheit.

1969 hat das letzte große Hochwasser Münnerstadt heimgesucht. Damals war die untere Altstadt von den Wassermassen eingeschlossen. In den Folgejahren wurde auf der Lauerseite der Stadt ein Hochwasserschutz errichtet, der bis heute als Hochwasserdeich seine Funktion erfüllt. Die Anlage, in Münnerstadt nur Damm genannt, dient heute aber nicht nur dem Hochwasserschutz, sondern hat sich als stadtnaher Grüngürtel etabliert. So wurde das Bauwerk auch mit Bäumen bepflanzt. Jetzt aber sollen diese aus Gründen des Deichschutzes entfernt werden. Als das im Winter bekannt wurde, hat es Proteste aus der Bevölkerung gegeben. Die Fällung wurde ausgesetzt. Diese Schonzeit soll im Herbst ablaufen. Auf die Aktion will die Stadt besser vorbereiten als im Frühjahr. Ein öffentlicher runder Tisch am 1. Juli soll über die Hintergründe der anvisierten Baumfällarbeiten informieren (10 Uhr, Rathaus).
Als im Januar bekannt wurde, dass die Bäume fallen sollen, wurden aus Protest gestrickte Schals um die Bäume gebunden. Diese sind teilweise verschwunden oder durch Wind und Wetter verblasst. Es ist Ruhe eingekehrt, doch diese könnte trügerisch sein. Deshalb hat die Stadt Münnerstadt diesen Runden Tisch organisiert. Der Stadtrat, aber auch interessierte Bürger, erhalten zu diesem Termin vom staatlichen Wasserwirtschaftsamt Informationen, weshalb die Bäume stören.


Münnerstadt kein Einzelfall

Münnerstadt steht mit diesem Problem nicht alleine da. Landauf, landab finden sich im Internet Berichte darüber, dass Bäume auf Deichen gefällt werden sollen. Regensburg, Passau, Bremen - um nur drei Städte zu nennen. Bäume auf Hochwasserdeichen - da scheinen sich die Fachleute einig zu sein, können die Stabilität eines Deiches vermindern. Der Mittelweserverband ist ein Deichverband in Niedersachsen. Auf seiner Homepage hat dieser ein "Kleines Deich-ABC" veröffentlicht. "Erfahrungsgemäß haben Bäume am Deich nichts zu suchen", ist im Deich-ABC nachzulesen.
Auch Rainer Suckau, der Geschäftsführer des Bremer Deichverbands am linken Weserufer, hat ein ähnliches Problem wie die Stadt Münnerstadt. Zur Deichverbesserung müssen im Bereich seines Weserabschnittes zahlreiche Bäume gefällt werden, alte Platanen mitten im Stadtgebiet. Auch hier ist die Betroffenheit groß. "So was gefällt niemandem", sagt er. Aber es könne nicht so bleiben. "Bäume haben auf Deichen nichts zu suchen", stellt Suckau zudem fest. Weshalb sie trotzdem dort stehen? Er weiß nicht, weshalb die Vorfahren diese Bäume gepflanzt haben. Ähnlich ist es in Münnerstadt.Auch hier wurden die Bäume vor rund vier Jahrzehnten gepflanzt, vermutlich fürs Ortsbild. An Deichschutz hat wohl niemand gedacht.


Baumfrei bis 2019

Schlimme Hochwässer in Bayern in den vergangenen Jahren haben dafür gesorgt, dass die Wasserwirtschaft sensibel geworden ist und dem Deichschutz nun eine größere Rolle beimisst. Bereits seit 2009 steht das Wasserwirtschaftsamt mit der Stadt in Kontakt, damit Zug um Zug der Überbewuchs entfernt wird. 2011 sind die ersten Bäume gefällt worden. Ziel 2009 war, die Bäume an der Deichkrone bis 2019 freizustellen. Dieses Ziel gilt für das Wasserwirtschaftsamt weiterhin.


Bislang gemäßigte Hochwasser

Geplant ist die Hochwasserfreilegung in Münnerstadt wie eigentlich überall für ein 100-jähriges Hochwasser. Bislang ist das Bauwerk nach Angaben von Martin Rottenberger (Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen) von diesem Szenario verschont geblieben. Den höchsten Stand der vergangenen 28 Jahre erreichte die Lauer im Jahr 2003 mit einer Höhe von 391 Zentimetern. Wenige Meter neben der Lauerbrücke gibt es einen Pegelmesser. Daran lässt sich nachvollziehen, wie hoch das Wasser 2003 am Deich stand. Es war weit entfernt von einem 100-jährigen Hochwasser, hatte aber das Deich-Bauwerk erreicht, das die nördliche Altstadt vor einer Überflutung schützte.


Lehmschicht wird undicht

Nur die Älteren wissen in Münnerstadt noch, mit welcher Wucht das Hochwasser ohne den Deich die Stadt treffen konnte. Vielleicht gebe es deshalb den Widerstand gegen das Baumfällen, ist eine Vermutung von Martin Rottenberger. Er verweist darauf, dass Deichpflege in enger Absprache mit dem Naturschutz erfolgt. Beim Hochwasserschutz gilt Objekt- und Menschenschutz vor Naturschutz. Das hatte bereits im Winter auch die Untere Naturschutzbehörde am Landratsamt bestätigt.
Martin Rottenberger erläutert, dass Kronen- und Wurzelgröße bei Bäumen ungefähr identisch seien. Anhand dieses Vergleichs sei abzuschätzen, wie tief die Bäume bereits in den Aufbau eingedrungen sind. Die feinen Wurzeln würden die abdichtende Schicht des Deiches durchdringen und auf Dauer seine Schutzfunktion vermindern. Deshalb ist ein baumfreier Dammweg in Münnerstadt das Ziel. Ist das erreicht, müsse der Bereich regelmäßig gemäht werden, um eine feste Grasnarbe zu erhalten, erklärt Martin Rottenberger. Noch besser sei eine Schafbeweidung, weiß Rainer Suckau vom Deichverband am linken Weserufer. Aber auch dort wird der Deich nur gemäht, weil die Stadtlage die Schafbeweidung nicht möglich macht.
12 000 Euro soll die Baumfällung in Münnerstadt kosten. Nicht enthalten ist darin die Summe, die für das Ausgraben des Wurzelwerkes und der nötigen Deich-Instandsetzung anfällt, bestätigt der städtische Bauamtsleiter Simon Glückert auf Anfrage. Wie diese Kosten zu Buche schlagen werden, lässt sich derzeit schwer abschätzen.
Martin Rottenberger hofft, dass sich die Verwurzelung in Grenzen hält und nur punktuell an den Wurzellöchern nachgebessert werden muss. Je länger die Bäume aber stehen, desto größer würde der Sanierungsaufwand.


Das sagt der Experte

"Grundsätzlich haben Bäume, egal welchen Alters, im Deich nichts zu suchen", das betont der Hochwasserschutz-Experte Prof. Dr. Holger Schüttrumpf (Aachen) auf Anfrage dieser Zeitung. Deiche seien technische Bauwerke, die ausschließlich dem Schutz der betroffenen Bevölkerung hinter dem Deich dienen. Der Fachmann bestätigt damit auch die Argumente des Bad Kissinger Wasserwirtschaftsamtes.
Bei starkem Wind könne es zum Umfallen der Bäume kommen. So sei es vor zwei Jahren am Rhein passiert. Dadurch würden offene Wunden im Deich entstehen, erklärt Holger Schüttrumpf. Er weist zudem darauf hin, dass Wurzeln im Deich ein Problem sind. Sie könnten dort vermodern und stellen dann unerwünschte Strömungswege dar. Werde ein Deich durch umgefallene Bäume oder durch Wurzelwerk geschwächt, so könne es bei einem Hochwasser zum Versagen des Deiches und gegebenenfalls zu einem Deichbruch kommen.


Reparaturen werden nötig

Auf Anfrage erklärt der Aachener Hochschulprofessor, dass eine Entfernung des Bewuchses nicht möglich ist, ohne dabei den Deich zu schädigen. Dieser müsse an dieser Stelle repariert und wieder in einen sicheren Zustand versetzt werden.
Prof. Holger Schüttrumpf ist ausgewiesener Experte in Sachen Hochwasserschutz. Er lehrt an der Rheinisch-westfälischen Technischen Hochschule in Aachen (RWTH) und ist dort Leiter des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft. Zu seinen Forschungsgebieten gehören unter anderem Hochwasserschutz und Hochwasserrisikomanagement. Schüttrumpf ist zudem Präsident des Bundesverbandes der Umweltingenieure, einem Zusammenschluss von Ingenieuren aus dem Bereich Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Kulturbau.