Über 200 Mal war Rainer Schauer schon in Bad Kissingen. Nicht als Kurgast, sondern als Busfahrer. Er sitzt am Steuer des Berlin-Linien-Busses der Deutschen Bahn - immer wieder sonntags. Auch diesen Sonntag rollt der Bus um 9.30 Uhr an, hält vor dem Bahnhof. Seit 1976 fährt Schauer den "Frankenland-Express".
"Früher, da sind wir auch donnerstags/freitags gefahren," sagt Rainer Schauer. Doch mit der Gesundheitsreform ist die Zahl der Fahrgäste schlagartig kleiner geworden. "Vor 20 Jahren, da sind wir noch mit dem Doppeldecker gefahren, da sind alleine in Bad Kissingen 30 Leute ausgestiegen." Inzwischen steigen allenfalls bis zu fünf Leute aus und ein.
Eine von ihnen ist heute Sabine Hopp. Sie ist zum zweiten Mal in Bad Kissingen. Das erste Mal mit der Bahn, "das war ein Chaos," sagt sie. Der Bus sei bequem, das Personal höflich und die Fahrt über den Frankenwald traumhaft.
Auch Bad Kissingen hat ihr sofort gefallen. "Ich bin schon in vielen Kurorten gewesen, das ist der Ort, wo ich gedacht habe nischt wie hin." Die Berliner OP-Schwester spielt mit dem Gedanken, sich hier sesshaft zu machen, sucht einen Job. Sogar die Saale-Zeitung kennt sie schon.
Vorerst allerdings nur wegen der Stellenanzeigen.
Busfahrer Rainer Schauer hat mit seinen Gästen etwas andere Erfahrungen gemacht. Seine Fahrgäste, ausnahmslos Privatgäste, sagen, das Bad Kissingen nachgelassen habe. Noch vor 20 Jahren sei es eine elegante Stadt gewesen: "Bad Kissingen war ein Kurort, der in Berlin bekannt war, jetzt fahren die Leute nach Bad Füssing."
Dafür sind die Busse auf der Kissinger Linie luxuriöser geworden. Es gibt eine Toilette und eine kleine Küche, unterwegs wird ein Imbiss gereicht. "Das ist wie im Flugzeug," versichert Schauer.
Und es gibt eine Bord-Begleiterin, die sich um die Fahrgäste kümmert. Heute ist das Marion Herrscher. Auch sie bedauert, dass die Fahrgastzahlen abgenommen haben.
"Dafür haben wir ein sehr nettes Publikum, wir sind wie eine große Familie."
Angst vor der Grenze Zügiger geht die Fahrt heutzutage auch voran. Seit der Wende sind die Grenzaufenthalte weggefallen. "Früher hatten die Fahrgäste oft eine Heiden-Schiss vor der Kontrolle," erinnert sich Rainer Schauer. Doch für den Busfahrer war die Fahrt über die Grenze Gewohnheit. Er hat seine Fahrgäste stets schon vor der Abfahrt beruhigen können.
Jeder Fahrgast musste bei Antritt der Fahrt seinen Ausweis abgeben, die Namen der Mitfahrer standen auf einer Liste, und die genügte den Grenzern. "Wir sind ja nur durchgefahren," sagt Schauer, "der Zoll hat uns gar nicht durchsucht. Je eine Dreiviertelstunde dauerte der Grenzaufenthalt bei der Ein- und bei der Ausreise.
Das war im Transit-Abkommen festgelegt.
Allerdings haben Schauer und seine Kollegen die DDR-Grenzer auch bei Laune gehalten. Zu Ostern und Weihnachten haben sie immer edle Kugelschreiber und Krawattennadeln dabeigehabt, schön vorsichtig unter die Unterlagen für die Grenzer geklemmt.
Der Hauptmann hat geholfen Einmal gab es aber doch Probleme. Als Freunde aus Berlin den Prinz von Hohenzollern in Bad Kissingen besuchen wollten, hatte eine Gräfin keinen gültigen Pass dabei. Die DDR-Grenzer wollten die Dame nicht durchlassen. "Aber ich habe einen Hauptmann der Grenztruppen gekannt," erinnert sich Schauer. Der stammte aus Potsdam, er aus Schlachtensee. "Wir sind zusammen in die Schule gegangen. Als die Mauer gebaut wurde war der plötzlich im Osten, ich im Westen." Dank der Hilfe des Hauptmanns durfte die Gräfin durchreisen, nachdem sie 40 Mark gezahlt hatte.
"Keiner hat gewusst, dass wir uns gekannt haben," sagt Schauer rückblickend über seine Bekanntschaft mit dem Grenzoffizier. Ein kleines deutsch/deutsches Histörchen.
Ohne Umsteigen ans Ziel Doch das ist Geschichte. Als Sigmund Lang dieser Tage nach Berlin fuhr, gab es längst keine Grenze mehr. Er schwärmt von der direkten Verbindung: "Bus, Fahrer und Begleiterin sind hundertprozentig, und pünktlich war der Bus auch." Er hat den Bus gewählt, weil er sich das Umsteigen ersparen wollte. In Bad Kissingen kommt der Koffer rein, in Berlin raus. "Mein Junior lebt unten, ich werde wohl noch öfter mit dem Bus nach Berlin fahren."
48 Plätze hat der Bus auf der Bad Kissinger Linie. Inzwischen mehr als genug.
Denn nach dem letzten Zwischenhalt, unter anderem in Bad Bocklet, werden gerade mal zwischen 15 und 35 Personen im Bus sitzen: "Im Winter sind es weniger, im Sommer mehr", sagt "Stewardess" Marion Herrscher. Sie hofft ebenso wie Rainer Schauer, dass die Bahn die Linie angesichts der sinkenden Fahrgastzahlen nicht einstellt.
Und auch Rainer Schauer will trotz seiner 67 Jahre noch ein bisschen fahren. Alle fünf Jahre muss er als Busfahrer zur Medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU). Erst in zwei Jahren ist es wieder so weit. So lange will er mindestens durchhalten, wenn die Gesundheit mitspielt.
Die Zeiger der Bahnhofsuhr rücken auf 10.25 Uhr. Schauer schließt die Türen, der Bus fährt ab. Um 18.15 Uhr heißt es dann: Berlin, alles aussteigen. Bis zum nächsten Sonntag.