"Sie können auch miteinander quatschen, wenn Sie wollen. Es macht nichts!" Na, das Jahr fängt ja gut an, wenn ein Dirigent am Neujahrsnachmittag in Bad Kissingen sein Publikum im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal mit so lakonisch daher gesagten Worten bedenkt.
Mangelte es an Disziplin? Sollte man in sich gehen, reumütig den Blick zu den Schuhspitzen wenden und fürderhin, in Ehrfurcht erstarrt, schweigend auf dem Sitz verharren?
Nein, Lior Shambadal meinte das, was er da sprach, ausnahmsweise wirklich ernst. Ansonsten erzählte er in seiner charmanten Moderation viel amüsanten Unsinn - ganz, wie man es von ihm beim Neujahrskonzert mit den Berliner Symphonikern gewohnt ist.
Das Volk spricht Die Aussage steht im Zusammenhang mit einem Stück, das "Feria de Manizales" überschrieben, harmonisch oft aufreizend schräg ist und von José María Asins stammt. Und darin spricht das Volk, wie der Maestro wissen ließ. Diesen Part übernehmen für gewöhnlich nur die ausübenden Musiker, die gerade -paradox genug- ein "Tacet" in den Noten haben. Aber warum sollte nicht auch einmal das Auditorium mitmachen, zumal ein so großes?
Man konnte es ahnen: "Eine Reise durch südamerikanische Länder" (Shambadal) war das Programm, mit dem die Berliner das Jahr 2013 in Bad Kissingen begrüßten. Zu diesem Zweck hatten sie sich qualifizierte Verstärkung mitgebracht: "Cantango Berlin" gab dem Orchesterklang bei ausgewählten Kompositionen eine besondere Farbe, während Liesl Bourke und Federico Farfaro elegant zu Tangomelodien tanzten. Ein wunderbarer Einfall für ein Konzert, das Festliches mit Heiterem zu verbinden sucht.
Brems- und Quietgeräusche Ein wenig Tangoparodie, ein kurzes Schielen zu Gershwin und jede Menge Ausgelassenheit - eine gelungene Einstimmung zu einem Konzert, in dem auch mal täuschend echt in der zweiten von Heitor Villa-Lobos‘ "Bachianas Brasileiras" eine Eisenbahn durch den Saal ratterte, mit allen Brems- und Quietschgeräuschen.
Doch das echte Kolorit der argentinischen Tangos kam von "Cantango". Das international besetzte Ensemble aus Berlin brachte, vom Sinfonieorchester oder dessen Streichersektion begleitet, die charakteristischen Klänge ins Spiel, dazu die rhythmischen Schärfen und die Freiheit, die Musik und Tanz in ihrer Korrespondenz benötigen.
Am meisten beschäftigt war Javier Tucat Moreno, der als Pianist auch in Werken mit dem Orchester zusammen musizierte, bei denen nicht das gesamte Ensemble auf der Bühne war. Auch die Zusammenarbeit des Orchesters mit der Tangoformation war sehr gut. Und beide gemeinsam waren klingende Kulisse für das Tanzpaar, das Eleganz und Bewegung auf die Bühne brachte. Und das, obwohl ihnen nur ein etwa einen Meter breiter Streifen vor dem Bühnenrand zur Verfügung stand: Die Anmut litt darunter nicht.
Mit der Pfeffermühle Natürlich gab es auch Kompositionen von Johann Strauss (Vater), darunter den "Cachucha Galopp" (es gibt ihn wirklich!), zu dem Shambadal seinen Konzertmeister mit einer Portion frisch aus der Mühle gedrehten Pfeffers bedachte, den "Banditen Galopp" und den "Radetzky-Marsch" - ohne wäre es kein echtes Neujahrskonzert gewesen. Mit Astor Piazzolla, Carlos Guzman und Co. vertrugen sie sich erstaunlich gut.
Und als Shambadal das Dirigieren Dirigieren sein ließ, sich vom Orchester (das ohne ihn gut zurecht kam) abwandte, um gemeinsam mit den anderen Akteuren und dem Publikum rhythmisch zu klatschen, dachte man: Wenn das kommende Jahr so glatt läuft, wie sein Bad Kissinger Begrüßungskonzert, dann kann es nur ein ereignisreiches, gutes Jahr werden.