Johannes Deinlein ahat die schwierigen Nachkriegsjahre mit Internierten und Vertrieben als Sohn eines Bäckers und Gastwirts erlebt.
Die hundert Stühle im Saal der Stadtbibliothek reichten kaum aus, als Hammelburgs "Urgestein" Johannes Deinlein (77) Geschichten aus seinen Kindertagen im Lager
Hammelburg erzählte. Mit Anekdoten und kleinen Erlebnissen schilderte der Bäckers- und Gastwirtssohn das Leben in und um das damalige Internierungs- und spätere Flüchtlingslager im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende.
Es gibt kaum einen Hammelburger, der Deinlein nicht kennt: Als Spross einer alteingesessenen Familie - sein Großvater eröffnete 1906 eine Bäckerei und Gastwirtschaft am Rand des 1895 gegründeten königlich bayerischen Truppenübungsplatzes - erlernte dessen Enkel Johannes zunächst den Beruf des Bäckers. "Nach dem Krieg gab es nicht allzu viele Möglichkeiten." Später sattelte er um und war als selbständiger Handelsvertreter über 30 Jahre im Außendienst unterwegs.
Bekannt über die Stadt hinaus
Über die Grenzen Hammelburgs bekannt wurde Deinlein allerdings durch seine ehrenamtlichen Aktivitäten und 2015 durch seine Mitwirkung bei der Organisation des Stadtjubiläums. Heute ist der 77-Jährige Ehrenvorsitzender bei der Hammelburger Faschingsgesellschaft, bei der Verkehrswacht und beim ADAC und noch immer verantwortlich für die von ihm 1983 eingeführte Bocksbeutel-Oldtimer-Rallye.
Als Moderator dieses neunten Abends der von Stadtbibliotheksleiterin Karin Wengerter seit Januar monatlich organisierten Veranstaltungsreihe "Erlebt & erzählt" konnte sich Altbürgermeister Ernst Stross getrost zurückhalten. Die Anekdoten und Erlebnisse sprudelten aus Deinlein nur so heraus.
Manchmal reichten schon ein paar mit verschmitztem Lächeln gemachte Andeutungen, um das altersmäßig bunt gemischte Publikum zum Lachen zu bringen.
Am Zaun des Internierungslagers
"Englisch konnte ich bald besser als Deutsch", erinnerte sich Deinlein an die Jahre 1945 bis 1947, als sein Vater Bernhard die Bäckerei direkt am Zaun des Internierungslagers betrieb und das Lager mit Brot versorgte. Interniert hatten die Amerikaner dort jeden, der irgendwie verdächtig schien - Parteifunktionäre und SS-Angehörige, aber auch völlig Unbescholtene wie zum Beispiel einen Kreissägenhersteller. Deinlein: "Den Amis war das Wort Kreis schon verdächtig, ähnelte es doch dem NSDAP-Kreisleiter." Und: "Die Internierten mussten in den Pferdeställen hausen - in Stockbetten und auf Strohsäcken."
Ab 1948 waren dann Flüchtlinge und Vertriebene im Lager notdürftig
untergebracht. "Dort gab's gar nichts." Also war neben anderen wieder die Bäckerei Deinlein für die Versorgung mit Brot zuständig. Für den inzwischen Zehnjährigen war das Leben am und im Lager normaler Alltag. "Wir waren dort eine tolle Gemeinschaft."
Drei Stunden für den Schulweg
Doch auch weniger Amüsantes bleibt nach Jahrzehnten verklärt in Erinnerung. So schilderte der 77-Jährige seinen mühsamen Schulweg vom Lager hinunter in die Stadt. "Den ganzen Weg zu Fuß - hin und zurück. Da habe ich für manchen Rückweg schon mal drei Stunden gebraucht." Natürlich habe er auf dem Heimweg oft gebummelt, denn unterwegs gab es viel zu bestaunen, zum Beispiel den Verkehr an der alten Saale-Brücke.
Besonders unangenehm war, dass er manches Stück Mädchenkleidung seiner älteren Schwestern auftragen musste - "verkehrt herum geknöpft". Da konnte es schon mal vorkommen, dass der Bub seine Mädchenjacke auf dem Schulweg "verlor".
Erste Firmengründungen
Eindrucksvoll schilderte Deinlein die beginnende Selbstversorgung und erste Firmengründungen im Lager, in dem in den Fünfziger Jahren bis zu 3000 Flüchtlinge und Vertriebene lebten und sich auf einen Neuanfang vorbereiteten. Etwa 30 Gewerbe- und Industriebetriebe waren nach ein paar Jahren schon gemeldet. Manche Firmengründer ließen sich später in Hammelburg nieder. Weniger Glück hatte die Waschpulver- und Seifenfabrik Panil. "Das Unternehmen war ganz gut etabliert", erinnerte sich Deinlein. Dann kam es zum Namenstreit mit Persil.
"Die haben Panil kaputt gemacht." Ein anderes Beispiel war der Safthersteller Wolfra, für den sogar Johannisbeersträucher im Lagergelände angepflanzt wurden. Auch die Textilindustrie war von Weberei über Färberei bis hin zur Bekleidungsherstellung im Lager angesiedelt. Deinlein: "Eine blühende Industrie gab es dort oben."
Stundenlang hätte Johannes Deinlein erzählen können. Gebannt lauschten die Zuhörer drei Stunden lang diesem Zeitzeugen der Nachkriegsjahre. "Bald gibt es sie nicht mehr."
Es ist des Weiteren darauf hinzuweisen, dass das Café Hartmann im Lager Hammelburg seit 1923 Treffpunkt der ersten NSDAP-Ortgruppe in Hammelburg war. Diese Ortsgruppe wurde 1930 zum zweiten Mal gegründet von Matthias Haidn, der Lehrassessor in der landwirtschaftlichen Winterschule im Lager Hammelburg war. Das Café Hartmann war seit der frühen Weimarer Zeit Treffpunkt der Nationalsozialisten. Karl Hartmann vom Lager Hammelburg war 1938 der SA-Sturmführer, der am 10. November 1938 den Pogrom in Hammelburg befahl und durchführte.
Bei allem Respekt für Johannes Deinlein, aber die Geschichte des Internierungslagers Hammelburg, das von den Amerikanern im Lager Hammelburg im Juni 1945 eingerichtet wurde, darf nicht in dieser Art und Weise - öffentlich - der Lächerlichkeit preisgeben werden. Das Internierungslager war Teil der Befreiung vom Nationalsozialismus. Im Angesicht der barbarischen Verbrechen, die Nationalsozialisten begangen haben, war die Inhaftierung von 6.000 Nazis im C.I.C.-Camp Hammelburg eine historische Leistung der Amerikaner, der wir als Nachgeborene mit Respekt begegnen sollten.
Wikipedia schreibt zum Internierungslager Hammelburg: "Für ehemalige Mitglieder der NSDAP und ihre Gliederungen richtete das amerikanische Counter Intelligence Corps (C.I.C.) im Juni 1945 ein Internierungslager ein. Es war das C.I.C.-Camp Number 9. Parteimitglieder wurden im Hauptlager, dem ehemaligen Oflag XIII B, und im Bereich der späteren Saaleck-Kaserne, konzentriert. Wehrmachtsangehörige mit Parteimitgliedschaft wurden im Südlager untergebracht. Für Angehörige der SS war ein eigenes Lager vorgesehen. Die Verpflegung für die Internierten kam zunächst von der Caritas. Ende Juli 1945 war das für 5 000 Internierte ausgelegte Lager mit 6 000 Gefangenen überbelegt. Nur durch die Eigeninitiative der Internierten, die Kartoffeln und Gemüse auf dem Lagergelände anbauten, und durch Lebensmittelpakete von Verwandten, konnte das Überleben gesichert werden. Später übernahm das Landratsamt Hammelburg die Organisation der Versorgung. Die als "Belastete" (Schuldgruppe II) von den Spruchkammern verurteilten Inhaftierten konnten ihre Arbeitslagerstrafe im Internierungslager Hammelburg ableisten. Mit der Übergabe der Entnazifizierungsverfahren an die deutschen Behörden erfolgte Ende April 1948 die Auflösung des Internierungslagers Hammelburg."