Gegen Sehnsucht hilft Heimatmusik

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Konzentriert gestaltet Kunststudent Mehmet Demir (22) auf der Töpferscheibe eine elegante Vase
Konzentriert gestaltet Kunststudent Mehmet Demir (22) auf der Töpferscheibe eine elegante Vase
Zwei Muster aus eigener Produktion Fotos: Sigismund von Dobschütz
Zwei Muster aus eigener Produktion  Fotos: Sigismund von Dobschütz
 

Der junge Türke Mehmet Demir lernt über ein Stipendium in Winkels bei Karin Reiß die Kunst des Töpferns

Seit zwei Monaten hört man hin und wieder ungewohnte Musik aus der Töpferei am Brunnen in Winkels. Dort ist Kunststudent Mehmet Demir (22) noch bis September zu Gast, um als Praktikant im Atelier von Keramikdesignerin Karin Reiß seine Töpferkunst zu verbessern.

Mehmet Demir, ältester Sohn eines Landwirts in der südtürkischen Provinz Adiyaman nahe der Grenze zum Libanon und der erste Künstler in seiner Familie, ist nur durch Zufall in der Winkelser Keramikwerkstatt gelandet. "Ich wäre in jedes Land der Welt gegangen", erklärt der 22-Jährige. Doch als Stipendiat des EU-Förderprogramms Erasmus kam er schließlich Mitte Juni zu Karin und Manfred Reiß. In den ersten Tagen sei alles ziemlich aufregend gewesen, gibt der junge Mann zu. Schließlich war er nie zuvor im Ausland. Doch inzwischen hat er sich gut eingelebt und fühlt sich schon fast als Familienmitglied.

Die drei Monate in Winkels sind für Mehmet kein Urlaub. Bei Karin Reiß soll er lernen, dass Töpfern nicht nur eine kreative Kunstform, sondern richtiges Handwerk ist. Dabei sind es nicht nur kulturelle Unterschiede, die ihm bei der Gestaltung deutscher Gebrauchskeramik auffallen. Wichtig für ihn sind die unbekannten Handgriffe, die handwerklichen Kniffe und Tricks, die er in dem Winkelser Atelier lernt - wie zum Beispiel den Knöchelzug beim Hochziehen des weichen Tonklumpens auf der Töpferscheibe zur Formung eines eleganten Kruges. "An der Universität hat man ihm nur Anfänger-Praktiken beigebracht, hier lernt er von Profis", macht Karin Reiß den Unterschied deutlich.


Geduld und Ausdauer

Die Winkelser Keramikdesignerin hat für Mehmet ein kleines Lehrprogramm für dessen handwerkliche Weiterentwicklung erstellt. "Er soll doch von seinem Aufenthalt bei uns profitieren." Ein Handwerk, mit dem man als Künstler seinen Lebensunterhalt verdienen will, verlangt ständige Belastbarkeit, viel Geduld und Ausdauer, aber auch ökonomisches Denken. "Mehmet hat sich als williger Schüler erwiesen und sich schon weiter entwickelt", freut sich seine Lehrmeisterin.

Der junge Türke zeigt sich allen kulturellen Unterschieden gegenüber sehr aufgeschlossen. "Immerhin hat er hier eine Frau als Chef", gibt Karin Reiß zu bedenken. Doch ist dies für Mehmet kein Problem. Schwieriger war für den Studenten eher die Umstellung auf die täglich mehrstündige konzentrierte Arbeit in der Werkstatt. "Feierabend" ist deshalb eines seiner deutschen Lieblingswörter.

Inzwischen hat er etwas Deutsch gelernt. Sein anderes Lieblingswort ist "lecker". Schweinefleisch kommt in diesen drei Monaten bei Familie Reiß natürlich nicht auf den Tisch. Aber dies ist kein Problem. "Wir kochen ohnehin meistens vegetarisch." Manchmal besucht Mehmet das Döner-Restaurant in der Stadt. Dessen Inhaber hat ihn prompt mit der Herstellung einer eigenen Teller-Serie beauftragt, die in der Winkelser Werkstatt gerade auf ihre Glasur wartet.

Durch die Kontakte zur Thüringer Töpferinnung war er auch in Erfurt und Weimar und sogar auf dem Töpfermarkt in Römhild. Solche Ausflüge, die tägliche Arbeit und die freundschaftliche Aufnahme in der Reiß-Familie lenken ihn vom gelegentlichen Heimweh ab, gesteht der 22-Jährige offen.
Wenn ihn dann die Sehnsucht packt, hört er die Musik seiner Heimat.

Nach den drei Monaten in Winkels wird er viel gelernt haben, weiß Mehmet schon jetzt. Am auffälligsten wird der Unterschied zwischen seiner bisher schulischen und der jetzt betrieblichen Ausbildung sein. "Bei uns lernt er genauer und ökonomischer zu arbeiten", erläutert Karin Reiß. "Er muss sich bei der Arbeit ständig konzentrieren, um Abfall und Ausschuss zu vermeiden."

Mitte September kehrt der Praktikant zu seinem vierten und letzten Studienjahr an die Universität in Uşak zurück. Ob er sich nach diesen ersten Auslandserfahrungen später ein Leben in Deutschland vorstellen kann? "Why not?", meint Mehmet Demir spontan.