Die New European Festival GmbH überzeugt mit einer Neuinszenierung des "Schwarzwaldmädels" im Bad Kissinger Kurtheater. Es ist eine quicklebendige Produktion voller Charme und Lebensfreude.
Der Schwarzwald besteht aus sieben Plastikbäumen. Ein alternder Domkapellmeister genehmigt sich beim Komponieren des Cäcilienfest-Hymnus erst mal einen Schluck aus dem Flachmann. Aus der Tanzmucke wird feierliches Orgelgenudel. Ein Dorffest wird zur Saalschlacht mit roten Bommelhüten.
Am Ende findet sich, was sich finden soll: Im Kurtheater war am Samstagabend Léon Jessels Operette "Schwarzwaldmädel" in einer Neuinszenierung nach der von Wilhelm Keitel rekonstruierten Partitur zu sehen. Ein wahres Vergnügen.
Was die Mitwirkenden betrifft, war es eine hervorragend besetzte Aufführung. Das Orchester der Bolschoi Oper Minsk, von Keitel geleitet, spielte fantastisch gut. Da war Leichtigkeit in der Musik, trotz höchster Konzentration, Flexibilität beim Begleiten der Szene, da war untergründiger Farbenreichtum und - das muss besonders hervorgehoben werden - bewundernswerte Präzision: Das Orchester saß auf der Bühne hinter der Szene. Dass diese Anordnung Gefahren birgt, ist klar, aber: kein Klappern, kein verpatzter Einsatz, keine Unsicherheiten. Bravo!
Ebenso verdient das singende Personal durch die Bank höchste Anerkennung. Ausgesprochen schöne Stimmen waren im Ensemble vereint. Auch sie überraschten mit große Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit. Sängerinnen und Sänger nahmen sich alle Freiheiten, die eine gut gespielte, lebendige Operette braucht. Sie kokettierten mit Klischees und spielten sie wunderbar aus.
So ist Domkapellmeister Blasius Römer (Gerard Hulka) etwa ein zu Beginn etwas spröde altherrlich wirkender Musicus. Das passt zur Figur, deren Charakter er mit Autorität und einer guten Prise Schmalz spielt und deren Partie er mit Leidenschaft singt. Seine Figur entwickelt sich im Lauf des Abends: Das Spröde verfliegt, das Obrigkeitliche weicht auf und zerläuft zu sympathischer Lebensfreude und vornehmer Verliebtheit. Hulka versteht es, diese Wandlung in erster Linie durch Kraft und Timbre seiner Stimme zu gestalten. Ähnlich ist das beim Bärbele, seiner Magd: Kathrin Sauter tritt zunächst auf als naives Dorfmädel mit einer hübschen, sehr natürlichen Stimme. Das von allen so genannte "Lumpenprinzessle" singt und tiriliert in der ersten Szene und ist dabei ein etwas überdrehter Möchtegernsopran: gute Substanz; könnte mit Anleitung was werden, denkt man intuitiv. Und in Wahrheit wird es (natürlich) auch. Je mehr Selbstbewusstsein die Figur der Bärbel entwickelt, desto mehr zeigt Sauter von ihrer wirklichen Stimmkunst.
Zeitgenössische Angleichung Die Figur verdankt das unter anderem dem Wechselspiel mit Hans (Christian Wilms) und Richard (Sebastjan Podbregar), den vermeintlichen Handwerksburschen auf der Walz. Zwei strahlend schöne Tenorstimmen haben die beiden, und als Schauspieler verfügen sie über reichlich Ausstrahlung und Humor. Wirkt Hans etwas herb-weich, sprüht Richard von Energie, jungenhaftem Charme und Erotik. Nicht umsonst erobert er am Ende den charakterlich schwereren Brocken Malwine von Hainau; Alexia Basile spielt sie mit Wonne und enormer Präsenz. Die oft zelebrierte fürchterliche Übertriebenheit in der Darstellung der Rollen fehlt ganz; und doch ist alles gut überzeichnet.
Behutsam, aber beiläufig effektvoll ist die bekannte Operette modernisiert. Das geschieht durch sprachliche Korrekturen (Regie und Dialogfassung: Julia Riegel) und die zeitgenössische Angleichung von Personen oder Charakteren; das fällt vor allem bei der Figur des Schmusheim (Mirko Mahr) auf, der vom Kaufmann zum Sensationsreporter geworden ist. Das ist sehr gut so, denn die Operette hat von Anfang an immer auch den Charakter vertonten Kabaretts gehabt; sie lebt vom Empfinden der Gegenwart. Eine Operette, die nicht aktuell ist, ist eine tote Operette. Diese Produktion der New European Festival GmbH Stuttgart ist eine quicklebendige, die von Charme, Witz und Lebensfreude sprüht - und dennoch niemanden verschreckt, der einfach "sein" geliebtes "Schwarzwaldmädel" sehen möchte. Mag sein, dass diese Liebe dazu führt, dass junges Volk sich in eine Operettenaufführung nicht verirrt. Das ist schade. Eine Produktion wie diese macht generationenübergreifend Spaß.