Das Leben im Alter ist lebenswert

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Henning Scherf nahm sich die Zeit, die Besucher seines Vortrages in Bad Kissingen persönlich zu begrüßen. Foto: Klaus Werner
Henning Scherf nahm sich die Zeit, die Besucher seines Vortrages in Bad Kissingen persönlich zu begrüßen. Foto: Klaus Werner

Henning Scherf, der ehemalige Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, erzählte im Rossini-Saal von seiner Lebensphilosophie als Rentner und aus seinen praktischen Lebensumständen in einer Bremer "Wohn-Gemeinschaft".

Es sind Sätze wie "Es ist wichtig, dass man auch im Alter noch eine Aufgabe hat, beteiligt ist, dazugehört". So was erzeugt zustimmendes Nicken bei den 250 Gästen im Rossinisaal. Keine Frage: Henning Scherf spricht vielen aus dem Herzen, wenn es um das Thema "Alter im Wandel" geht.

Scherf, 75-jährig, war langjähriger Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, ist Sozialdemokrat, grauhaarig, vital - ein Bilderbuch-Hanseat, der sich vor dem Vortrag durch die enggestellten Stuhlreihen des Rossinisaals zwängt und jeden mit Handschlag, einem gewinnenden Lächeln und einem freundlichen Wort begrüßt.


Am Tag, als die SPD feiert

Er ist noch längst nicht durch alle Reihen, als er von Markus Roßmann, Präsident des organisierenden Lions Clubs Bad Kissingen, begrüßt und vorgestellt wird: "Herzlich willkommen in Bad Kissingen - am Tag, als die SPD in Leipzig ihren 150. Geburtstag feiert." Worauf der Gast mit einem schelmischen Lächeln antwortet: "Wahlkampf mache ich aber heute Abend nicht." Vielmehr gibt er zu, dass er noch nie in Bad Kissingen war. Aber er hat bei seiner nachmittäglichen Stippvisite festgestellt: "Mein Thema ist ein zentrales Thema in dieser Stadt."

Und für das Thema "Leben im Alter" ist er seit seinem 2006 veröffentlichtem Buch "Grau ist bunt: Was im Alter alles möglich ist" ein vielgefragter Experte, der allgemeine Erkenntnisse mit vielen persönlichen Geschichten und Anekdoten verknüpft. Dabei steht er nicht über dem Publikum auf der Bühne, sondern bewegt sich zum frei gesprochenen Wort auf der Höhe seiner Gäste: Man spürt, der Mann braucht für seine Botschaft die Nähe zu den Menschen, die er erreichen will. Und diese Menschen sind aufnahmebereit für seine Botschaften, die sich in drei große Bereiche untergliedern lassen: "Machen Sie sich selbst auf den Weg! Suchen Sie sich eine Aufgabe! Gestalten Sie Ihr Wohnumfeld durch gemeinschaftliches Miteinander!"

"Es kommt kein Prinz, der Sie wachküsst", lautet sein Credo für ein Leben mit Gemeinsinn und vor allem für generationenübergreifenden Aktivitäten. Sein Beispiel sind regelmäßige Besuche von 30 "Oldies" in Grundschulen mit hohem Migrationsanteil und spannenden Stunden für beide Seiten: "Sie glauben gar nicht, was mir die Kinder alles zu Füßen legen." Sogar therapeutische Effekte beschreibt Dr. Scherf, wenn es um Sprachblockaden bei dementen Personen geht, die durch Kinder gelöst worden sind.

Für den zweiten Bereich ist "Essen auf Rädern" das zentrale Beispiel, wobei Scherf bekennt: "Ich bin mittlerweile ein Fan von Essen selber machen - und das gemeinsam." Als Beispiel nannte er sieben verwitwete Damen, die immer noch im eigenen Haus wohnen und sich reihum einladen. Daraus ergibt sich eine Struktur für den Tag, denn Essen für andere kochen bedeute auch, im Kochbuch nachzuschlagen, neue Rezepte auszuprobieren, einkaufen zu gehen, sich für die mittägliche Einladung herzurichten, aber auch nach den anderen schauen. So entstehe ganz nebenbei ein Netzwerk, bei dem jeder sich um den anderen kümmere.


Ein eigener Lebensabschnitt

"Mein Hauptthema ist aber das Zusammenwohnen im Alter" - und darum hat sich die Familie Scherf sehr zeitig gekümmert. Denn "als die Kinder aus dem Haus waren, begann ein neuer, unser eigener Lebensabschnitt". Umgesetzt haben die Scherfs, erzählt der Referent ganz offen, diesen Lebensabschnitt bereits vor über 20 Jahren mit einer Eigentümergemeinschaft in Bremen, die aus älteren Ehepaaren und jüngeren Mietern besteht. Gemeinsam wohnen, eigenständig leben, so könnte man diese Wohnform bezeichnen, die Henning Scherf voller Euphorie beschreibt.

Genug Platz für die Enkelkinder, statt sieben Autos nur noch eines, gemeinsame Urlaube des "Rennradlers" Scherf mit den "Elektro-Bikern" der WG, gemeinsame Initiativen und Interessen - "das schweißt zusammen". Dieser Zusammenhalt wurde auf die "Nagelprobe" gestellt, als eine Mitbewohnerin sterbenskrank wurde. Über zwei Jahre wurde mit Hilfe ambulanter Palliativmedizin eine Rundumpflege gewährleistet. "Die Pflegeerfahrung und die Sterbebegleitung hat die Gemeinschaft intensiv geprägt", meint Scherf rückblickend.

Solche Wohnprojekte sollten gefördert werden, weil dadurch eine Infrastruktur für die immer älter werdende Bevölkerung geschaffen wird - und zwar aufgrund dezentraler Regelungen und keiner "zentralen Vorgabe aus Berlin". Hellhörig wurden die Zuhörer auch beim Thema Pflegeeinrichtungen, die Henning Scherf als "einzigartig auf der Welt" qualifizierte und dies als negative Wertung meinte. Dies sei ein großer wirtschaftlicher Markt, aber die Leute wollen es nicht mehr. Dass selbst große Projekte Pleite gehen, sei ein Anzeichen dafür, dass sich etwas ändere. Seine Feststellung: Statt Seniorenresidenzen ambulante Pflege und nachbarschaftliche Hilfe stärken. Dafür gab es viel Applaus.


Fragerunde

In der anschließenden Fragerunde ging es unter anderem um Informationen zu Wohneinrichtungen, die man auf kommunaler Ebene erhalten könnte. Denn: "Suchen Sie in der Region, in der Sie sich zu Hause fühlen und nicht auf Ibiza."

Ein Zuhörer sprach die Kur zonen-Satzung an, die in Bad Kissingen das Umwandeln von leer stehenden Kurheimen in Senioren-Wohngemeinschaften verhindere. Scherf bestätigte, dass er "solche kommunalen Baustellen" aus anderen Kurbädern kenne. Auch das Thema Geld wurde nicht ausgespart und vor allem mit einer "Altersarmut" verknüpft, so dass vieles, was wünschenswert sei, nicht zu finanzieren ist. Die Altersarmut einerseits und "Rentner mit guter Kaufkraft" seien die zwei Seiten der Medaille, und diese müssten "intelligent miteinander verknüpft" werden, so der Referent. Aber er blieb schuldig, wie dies geschehen könnte.