Zeugen Jehovas: Ein Tag wie jeder andere

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Leder-Einband und Goldschnitt war gestern, heute wird die Bibel auf dem Tablet gelesen: Bettina Radtke wuchs selbst in einer Familie auf, die sich den Zeugen Jehovas zugehörig fühlt. Nun möchte sie, dass auch ihre Kinder Emilia und Aron (daneben) vom Glauben profitieren. Foto: Ulrike Müller
Leder-Einband und Goldschnitt war gestern, heute wird die Bibel auf dem Tablet gelesen: Bettina Radtke wuchs selbst in einer Familie auf, die sich den Zeugen Jehovas zugehörig fühlt. Nun möchte sie, dass auch ihre Kinder Emilia und Aron (daneben) vom Glauben profitieren. Foto: Ulrike Müller
Der Raum ist schlicht, die Redner tauschen die Gemeinschaften untereinander aus, damit immer mal wieder jemand anderes zu Wort kommt. Foto: Ulrike Müller
Der Raum ist schlicht, die Redner tauschen die Gemeinschaften untereinander aus, damit immer mal wieder jemand anderes zu Wort kommt. Foto: Ulrike Müller
 
Der Raum ist schlicht, die Redner tauschen die Gemeinschaften untereinander aus, damit immer mal wieder jemand anderes zu Wort kommt. Foto: Ulrike Müller
Der Raum ist schlicht, die Redner tauschen die Gemeinschaften untereinander aus, damit immer mal wieder jemand anderes zu Wort kommt. Foto: Ulrike Müller
 
Die Zeugen Jehovas planen einen Neubau und suchen in der Stadt ein etwa 2000 Quadratmeter großes Grundstück. Foto: Ulrike Müller
Die Zeugen Jehovas planen einen Neubau und suchen in der Stadt ein etwa 2000 Quadratmeter großes Grundstück. Foto: Ulrike Müller
 

In diesen Tagen feiern überall auf der Welt Menschen die Geburt Jesu Christi. Für die Zeugen Jehovas jedoch gibt es weder Geschenke noch einen Weihnachtsbaum. Dabei bedeutet ihnen der Sohn Gottes ziemlich viel...

Emilia hat eine Eisprinzessin bekommen. Und eine Wii U, eine Spielekonsole. Aber nicht zum Geburtstag und auch nicht zu Weihnachten, sondern einfach so. Denn ihre Eltern sind Zeugen Jehovas. "Wir versuchen schon, für die Kinder einen Ausgleich zu schaffen", sagt Bettina Radtke, die Mutter von Emilia und Aron. Ganz geduldig sitzen die beiden Kinder, sieben und neun Jahre alt, in der Versammlung. Fast zwei Stunden dauert das Treffen am Sonntagvormittag. Ihr Vater hat den Arm um seine Frau gelegt. "Jesus ist eigentlich im Herbst geboren", sagt er später, "das lässt sich ausrechnen." Außerdem seien heidnische Riten ins Weihnachtsfest, wie wir es heute kennen, eingeflossen. "Die ersten Christen kannten weder Weihnachten noch Geburtstag", erklärt Milena Deyhle und ihr Lächeln ist so perfekt wie herzlich.


Anfänge in einer Autowerkstatt

Knapp 50 Mitglieder zählen zu den Zeugen Jehovas in Bad Brückenau. Mitte der 1950er Jahre brachte die Familie Pfülp den Glauben in die Stadt. Sie hatten eine Autowerkstatt in der Straße, wo Feuerwehr und Bauhof liegen. Erst 1975 begann der Bau des Versammlungshauses in der Kissinger Straße. Es wurde 1978 eingeweiht. Die nächsten Versammlungen sind in Fulda, Schlüchtern, Bad Neustadt, Bad Kissingen und Gemünden am Main. Die Räume, in denen sich die Zeugen Jehovas treffen, sind bewusst schlicht gehalten. Ein Strauß Kunstblumen, Beamer und Leinwand. An der Wand ein Schild mit einem Bibelspruch. Der Königreichssaal in Bad Brückenau passt ins Bild.

Der Redner beginnt seinen Vortrag mit einem Witz. Dann spricht er über die "Sorgen des Lebens". Er greift zur Bibel - die Zeugen Jehovas benutzen eine eigene Übersetzung, die Neue-Welt-Übersetzung. Sie soll noch näher am Urtext der Bibel sein, sagen sie. Die Gemeinschaft tut es ihm nach. Die Gläubigen finden die Stelle schnell. Jeremia.

"Schlagen wir uns vor dem Festmahl Jehovas nicht noch den Bauch voll", sagt der Mann. Und dann spricht er über "die Welt Satans" mit all ihren Versuchungen. Ist Arbeit wirklich alles im Leben? Ist materieller Wohlstand das, was Menschen satt macht? Welche Dinge haben Priorität? "Das Süße der Welt macht es uns nur schwerer", sagt der Redner. "Süßes oder Jehova? Triff deine Entscheidung!" Die Leute klatschen.


Wachtturm in zwei Ausführungen

"Es geht doch darum, was wahr ist. Und darum, so zu handeln, wie Jesus gelebt hat", sagt Milena Deyhle. Ihre Eltern kamen zu den Zeugen Jehovas, als sie eingeschult wurde. "Unser Familienleben hat sich zum Positiven verändert. Deshalb stehe ich auch dahinter", erzählt die zierliche, junge Frau. Ihr Mann gehört der Ältestenschaft an, die die Versammlung leitet. Dieses Amt ist Männern vorbehalten, genauso wie die öffentliche Verkündigung. Von Haus zu Haus freilich gehen auch Frauen.

Nach dem Vortrag schließt sich ein Austausch über einen Artikel aus dem aktuellen Wachtturm an. Das Heft, das ein bisschen an ein Glaubens-Lifestyle-Magazin erinnert, erscheint monatlich in zwei Ausführungen - eine zum Weitergeben an Interessierte und eine zweite zum Studiengebrauch für die, die schon das nötige Grundwissen haben. Mit warmer Stimme moderiert Daniel Deyhle die Diskussion. Alle hier scheinen sich zu kennen. Und jeder scheint zu wissen, wie die richtige Antwort lautet. Sogar die Kinder melden sich.


Die Sache mit dem Blut

Wer die Zeugen Jehovas besucht, kann nicht gehen, ohne die Frage nach dem Blut zu stellen. Die Zeugen Jehovas lehnen Bluttransfusionen ab, "weil Blut heilig ist und in Gottes Augen für das Leben steht", erklärt Daniel Deyhle. Er arbeitet als Physiotherapeut in Hammelburg und hat vorher eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht. Deshalb weiß er auch, dass es im Rettungswagen keine Blutkonserven gibt, sondern Lösungen aus Natriumchlorid. Die Zeugen Jehovas verweisen auf zahlreiche alternative Behandlungsmethoden.Dennoch: "Für uns ist schon klar, sollte es hart auf hart kommen, würden wir uns an dieses Gebot halten", sagt Deyhle. Dann geht er mit seiner Frau nach Hause.


Hintergrund zu den Zeugen Jehovas:

Organisation Die Zeugen Jehovas sind eine Religionsgemeinschaft, die Ende des 19. Jahrhunderts in den USA von Charles Taze Russell gegründet wurde. Ihre Weltzentrale befindet sich in New York City. Dort sitzt die leitende Körperschaft, die weltweit die Führung übernimmt. Vor Ort treffen sich die Gläubigen in Versammlungen, die von einer Ältestenschaft geleitet werden. In Deutschland sind sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt.

Mitglieder Die Zeugen Jehovas haben nach eigenen Angaben rund 8,2 Millionen Mitglieder und sind in 239 Ländern aktiv. Die Gesamtzahl der einzelnen Versammlungen (Gemeinden) beläuft sich auf 115 416.

Glaubensverständnis Die Zeugen Jehovas vertreten ein einheitliches Glaubensverständnis. Sie erkennen Jesus Christus als Erlöser und Sohn Gottes an, lehnen aber die Lehre der Dreieinigkeit ab. Sie praktizieren die Taufe nach eigener Entscheidung der Gläubigen durch Untertauchen. Sie sind überzeugt, dass das Königreich Gottes eine reale Regierung im Himmel ist, die bald auf der Erde das Sagen haben wird. Verschiedene Vorhersagen des Weltendes traten bisher nicht ein, so dass die leitende Körperschaft mittlerweile von konkreten Prophezeiungen absieht. Des Weiteren sind die Zeugen Jehovas dafür bekannt, dass sie Bluttransfusionen ablehnen und Feste wie etwa Weihnachten und Geburtstage nicht feiern.

Finanzierung Die Zeugen Jehovas finanzieren sich über Spenden. Da die Verkündigung durch Laien und die Organisation der Versammlungen durch Ehrenamtliche gestemmt wird, fallen weniger laufende Kosten als in den etablierten Kirchen an.

Ökumene Die Zeugen Jehovas zeigen kein Interesse an einer ökumenischen Zusammenarbeit mit den christlichen Kirchen, da sie im Glaubensverständnis zu große Unterschiede sehen. Quellen: www.jw.org/wikipedia/uli