Bereits beim zweiten Treffen zum geplanten Generationen-Netz in Bad Brückenau war ein Zuwachs an Interessenten zu verzeichnen, der Herbert Stamm überraschte, aber auch erfreute. Konkrete Formen sollte nun der von ihm angestrebte Besuchsdienst für Alleinstehende und Heimbewohner annehmen.
Die anfängliche Zurückhaltung und Unsicherheit der Anwesenden wich bald dem regen Austausch von Erfahrungen, die fast jeder schon mit Angehörigen oder Bekannten gemacht hatte. Oft waren Themen wie Krankheit, Tod, Krieg oder Demenz bei den eigenen Eltern erlebt und begleitet worden. Eine gewisse Vertrautheit war vorhanden, dennoch - oder vielleicht deswegen - war den Interessierten klar, dass allgemeine und begleitende Fortbildungen sinnvoll wären. Pastoralreferentin Johanna Schießl erklärte sich bereit, regelmäßige Informationen und Übungen anzubieten.
Nach dem Vorbild des St.-Thekla-Wohnstifts in Würzburg möchte Schießl eine Art Pflege-ABC vermitteln. Krankheitsbilder sollen verständlich gemacht werden, die Psychologie des Alters erklärt oder die Frage der Gesprächsgestaltung behandelt werden. "Wie bringe ich in Gespräche eine andere Note rein?" - genau da möchte Emma Riederer ihre Erfahrungen anwenden, und davon hat sie viele. Die gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau war zwar von Schicksalsschlägen psychisch und physisch angeschlagen, hat sich aber stets behauptet und sich nicht unterkriegen lassen.
Von Krieg, Ausgrenzung und Krankheit könnte sie Bände erzählen, möchte es aber nicht: "Das Reden über Krankheit ist auch eine Krankheit", ist sie überzeugt und lenkte ihre Energie zum Positiven. Als ihr Mann schwer krank wurde, übernahm Emma Riederer die Pflege - bis zu seinem Tod vor vier Jahren. Sie hat ihren Ehemann aufgemuntert, wenn es nötig war, akzeptiert, als er nicht mehr die Kraft zum Leben hatte, und schließlich losgelassen.
Sie ist der pure Optimismus Trotz aller Bürde blickte Emma Riederer nach vorne. Aus der 79-Jährigen, ursprünglich in Hannover beheimatet, strahlt der pure Optimismus, sie hat viel zu geben. "Ich weiß, wie man andere motivieren kann, ein fröhlicher Mensch zu sein." Von Kindheit an war das Gefühl gewachsen, aus jedem Schicksalsschlag das Beste zu machen: "Ich habe nie aufgegeben. Nach Regen kommt immer Sonnenschein." Sie arbeitet sich am Computer ein und hat feste Fitness- und Wellness-Termine.
Seit sie 1996 nach Bad Brückenau gezogen ist, hat sie sich erstmals für die Mitarbeit in einer Gruppe entschlossen. Aus der "reinen Lebenserfahrung" hat sie selber viel gewonnen und möchte diese Freude nun weitergeben. "Ich möchte anderen helfen, nicht alleine zu sein." Die Wahl-Brückenauerin hat in zahllosen Kunden- und privaten Gesprächen schon erlebt, wie sie ein Gespräch lenken und andere Menschen wieder aufmuntern konnte.
Dies wäre ein Punkt, an dem Johanna Schießl ansetzen möchte. Ein sehr vorherrschendes Gesprächsthema der älteren Generation seien Krieg und Vertreibung. Oftmals noch vorhandene Traumata können schnell wieder hochkommen. In dieser Situation sei es wichtig, die Älteren die Erinnerungen aussprechen zu lassen, eventuell auch weinen zu lassen. Damit der Besucher dennoch ein positives Gefühl beim Besuchten hinterlässt, griff Schießl Tipps der Anwesenden auf. Bilder oder Tiere helfen den Alleinstehenden aufzutauen und über etwas anderes nachzudenken. Die sogenannte Supervision sei wichtig, betonte auch Doris Ziegler, die schon in der evangelischen Kirchengemeinde einen Besuchsdienst organisiert hat. Als Besucher von älteren Menschen müsse man oft vieles einfach aushalten: wenn ältere Menschen nur über die Kriegsjahre sprechen möchten, wenn Kranke sich aufgegeben haben oder wenn man schweigend einfach nur zusammensitzt.
Sehr bereichernde Gespräche Trotz des Zeitaufwandes und der Schwierigkeit, angemessen Besuche zu organisieren, sind sich Herbert Stamm und die Interessierten einig: Die Gespräche sind für den Besucher selbst sehr bereichernd, manchmal sogar Highlights. Auch Emma Riederer weiß: "Man nimmt aus den Gesprächen viel mit. Man muss nur offen dafür sein." Johanna Schießl möchte alle Altenheime und das Krankenhaus ansprechen und den Besuchsdienst dort bewerben. Von den Heimen war nur Guido Gombarek, Heimleiter des Hauses Waldenfels, erschienen und berichtete, dass Interessierte aus dem ersten Treffen im Januar schon Besuche in Waldenfels getätigt hätten.
Die Möglichkeiten der Besuchsgestaltung seien vielfältig. Spaziergänge, Spiele, Musizieren, sogar Ausflüge seien möglich. Jederzeit können Interessierte ihm oder Wolfgang Auth, Betreuungsassistent im Haus Waldenfels, ansprechen. Stamm betonte, dass der Besuchsdienst in allen Heimen nötig sei. Eine allgemeine Einführung leitet Johanna Schießl am 11. Februar, 16.30 Uhr, in der Georgi-Halle. Für Bürgermeisterin Brigitte Meyerdierks (CSU), die Geburtstagsgrüße an Heimbewohner selbst überbringt, sei es "erschreckend, dass zu manchen niemand kommt". Sie werde Stamm "soweit es in meinem Rahmen ist, unterstützen".