Ein 72-jähriger Landkreisbewohner muss sich wegen gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr in 48 Fällen verantworten.
Ungewöhnlich gleich aus mehreren Gründen war am Donnerstag der Auftakt zu einem von vornherein auf zwei Verhandlungstage festgelegten Prozess vor dem Bad Kissinger Schöffengericht. Angeklagt war ein 72-jähriger Landkreisbewohner wegen gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr in 48 Fällen im Zeitraum der Jahre 2014 bis 2018 in Tateinheit mit Sachbeschädigungen sowie der Störung des öffentlichen Friedens durch körperliche Gewaltandrohung.
Attest vorgelegt
Unmittelbar nach Verhandlungseröffnung legte der Verteidiger dem Gericht ein Attest vor, in dem der Ohrenarzt dem angeklagten Rentner Schwerhörigkeit bescheinigte. Zwecks besserer Verständigung erhob sich der Angeklagte sogar von seinem Platz und stellte sich an den Richtertisch.
Doch bevor es überhaupt zu einer Befragung kommen konnte, informierte der Vorsitzende Richter Staatsanwalt und Verteidiger, dass eine Schöffin bis Herbst 2018 in der Führerscheinstelle beschäftigt gewesen war, bei der die Hammelburger Polizei die Überprüfung der Fahruntauglichkeit des Angeklagten angeordnet hatte. Prompt bat der Verteidiger um kurze Unterbrechung der Verhandlung, um sich mit seinem Mandanten beraten zu können, und stellte nach Wiederaufnahme den wohl erwarteten Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit dieser Schöffin. Der Staatsanwalt stellte sich diesem Antrag nicht entgegen, da die Situation "kritisch zu sehen" sei.
Nach erneuter Unterbrechung der Verhandlung lehnte der Vorsitzende Richter den Befangenheitsantrag in alleiniger Entscheidung ab. Als Gründe nannte er, die Schöffin sei nicht an den zur Verhandlung stehenden Vorgängen beteiligt gewesen und ihre damalige Tätigkeit an der Führerscheinstelle habe auf die Verhandlung keinen Einfluss, zumal sie selbst nicht am Vorgang der Fahruntauglichkeitsprüfung des Angeklagten eingebunden war.
Erst jetzt konnte die Verhandlung in ihrem üblichen Ablauf vor dem Schöffengericht mit der Verlesung der mehrseitigen Anklageschrift durch den Staatsanwalt beginnen. Demnach soll der 72-jährige Rentner in den Jahren 2014 bis 2018 in insgesamt 48 Fällen acht Geschädigten in seinem Wohnumfeld mindestens einen, in anderen Fällen gleich mehrere Reifen ihrer Autos zerstochen haben. Einmal soll er bei einem Streit auf dem Grundstück des Nachbarn, wo man ihm schließlich mit der Polizei gedroht hatte, geäußert haben, den Polizisten gegenüber Gewalt anwenden zu wollen.
Besonders schwerwiegend war aus Sicht des Staatsanwalts die zwölfmalige Reifenstecherei am Bus des Malteserhilfsdienstes (MHD). Dessen Fahrerin ließ die von ihr zu fahrenden Kinder regelmäßig auf dem Nachbargrundstück des Angeklagten ein- und aussteigen, wodurch sich dieser anscheinend gestört fühlte. Auch Besucher des Nachbarn und sogar ein ermittelnder Polizeibeamter gehörten zu den Geschädigten und mussten ihre zerstochenen Reifen durch neue ersetzen.
Vorwürfe bestritten
Zu den Vorwürfen befragt, ließ der Verteidiger das Gericht wissen, dass der Angeklagte lediglich die Drohung der Gewaltanwendung zugibt, aber alle anderen Vorwürfe bestreitet. Verständlich: War die Gewaltandrohung in Anwesenheit von Zeugen gefallen, fehlten direkte Tatzeugen für die Reifenstechereien. Auch alle Angaben zu seiner Person oder über sein Verhältnis zur Nachbarschaft verweigerte der Angeklagte und ließ nur seinen Verteidiger sprechen.