Rückkehr zur Wehrpflicht oder Beibehaltung einer Freiwilligenarmee? Die Union will schnell Klarheit. Die SPD sieht keinen Grund zur Eile. In der Bevölkerung gibt es eine deutliche Präferenz.
Angesichts der wachsenden Bedrohung aus Russland erhöht die Union den Druck auf den Koalitionspartner SPD, möglichst schnell über eine Rückkehr zur Wehrpflicht zu entscheiden. «Wir haben nicht die Zeit, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu warten», sagte Kanzleramtschef Thorsten Frei in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Die schwarz-rote Koalition müsse eine klare Verabredung treffen, «wann wir unsere Strategie verändern müssen, damit wir das allseits für notwendig erkannte Ziel auch erreichen können».
Gemeint ist das Ziel, die Bundeswehr angesichts der Bedrohungslage deutlich zu vergrößern. Verteidigungsminister Boris Pistorius schätzt den Bedarf auf 50.000 bis 60.000 zusätzliche Soldaten - derzeit sind es etwas mehr als 180.000.
Klingbeil zu Vorbereitungen auf Wehrpflicht bereit
Um diese Aufstockung zu erreichen, will SPD-Chef Lars Klingbeil zwar zunächst weiter auf Freiwilligkeit und Anreize wie einen kostenlosen Führerschein setzen. Er erklärte sich in einem Interview aber dazu bereit, schon jetzt Vorbereitungen für einen Pflichtdienst zu treffen. Die Regierung müsse «jetzt schon die Voraussetzungen dafür schaffen, dass auch verpflichtend eingezogen werden könnte», sagte der Vizekanzler der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. Zu den Voraussetzungen zählen zum Beispiel ausreichend Musterungsstellen, Kasernen und Ausbilder.
Klingbeil begibt sich mit seiner Äußerung auf schwieriges Terrain in seiner eigenen Partei, die in einer Woche zu einem Parteitag zusammenkommt. In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD sich auf einen Wehrdienst verständigt, «der zunächst auf Freiwilligkeit basiert». SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hat das so interpretiert, dass es keine Wiedereinführung der Wehrpflicht vor der nächsten Bundestagswahl geben werde.
Juso-Chef: «Keine Lösung für die Zukunft»
Und auch der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer beruft sich auf den Koalitionsvertrag. «Die SPD setzt auf Freiwilligkeit, der Koalitionsvertrag auch. Das Vorbereiten eines Zwangs ist dementsprechend nicht angebracht», sagte er dem «Spiegel». Die Wehrpflicht sei «eine Antwort aus der Vergangenheit und keine Lösung für die Zukunft». Sie greife zu stark in das Leben junger Menschen ein, aber ihr Nutzen sei zweifelhaft.
Klingbeil betonte zwar auch: «Es wird keine Rückkehr zur alten Wehrpflicht geben, bei der alle jungen Männer eines Jahrgangs eingezogen werden.» Das war aber auch vor Aussetzung der Wehrpflicht 2011 längst nicht mehr der Fall. Die Ausmusterungszahlen waren in den Jahren davor drastisch gestiegen und selbst von den als tauglich für die Bundeswehr eingestuften Männern wurde ein großer Teil nicht mehr eingezogen. Deswegen wurde damals auch die Frage der Wehrgerechtigkeit diskutiert.
Pistorius verlangt Aufstockung auf bis zu 240.000 Soldaten
Die Zielgröße der Bundeswehr liegt heute bei 203.000 Soldaten - doch selbst die konnte bisher nicht über die freiwillige Rekrutierung erreicht werden. Nach der Bedarfsrechnung von Pistorius muss die Truppe nun auf 230.000 bis 240.000 Soldaten wachsen.