Arthur Millers Abgesang auf den "American Dream", das Drama "Tod eines Handlungsreisenden" ist von bedrückender Aktualiät. Sascha Hawemanns Inszenierung am Nürnberger Schauspielhaus verspielt diese Aktualität im buchstäblichen Sinne.
Es hätte so schön sein können oder besser bedrückend, denn Arthur Millers 1949 uraufgeführter Klassiker ist kein bisschen verstaubt, ganz im Gegenteil. Dessen Held Willy Loman kann seinen Seelenzustand als "erschöpft" nur vage definieren, heute liegt ein präzises psychologisches Sezierbesteck vor. Mit der Diagnose Burn-Out mag viel modischer Firlefanz verbunden sein, jedoch: Depression aufgrund chronischer beruflicher Überlastung ist keine Seltenheit mehr, und das Wort "Kapitalismus" hat aufgrund diverser Krisen seinen Hautgout verloren.
Weggeschmissen, rausgedrückt zu werden nach oft jahrzehntelanger Maloche - diese Erfahrung machen heute Hunderttausende. Ein Thema, das im allgemeinen Verblödungszusammenhang der Unterhaltungsindustrie kaum auftaucht. Dabei seziert Miller in seinem "Handlungsreisenden" genau das falsche Bewusstsein ("American Dream") des Titelhelden, die Folgen für dessen Psyche und Familienleben.
Es hätte also ein feiner Abend werden können, doch Sascha Hawemann versemmelte seine erste Regiearbeit fürs Schauspielhaus nahezu vollkommen. Nicht, dass er den Schauplatz vom Nachkriegs-Amerika ins Deutschland von heute versetzt und aus
Willy Loman Willi Lohmann (Stephan Lorch) macht, aus dem Straßenkreuzer einen popligen Opel und aus Charley einen berlinernden Proll. Nicht, dass ein Soundtrack, dass Gesangs- und Tanzszenen dem Stück aufgepfropft werden. Nicht, dass die Figuren meist in Unterwäsche herumhüpfen und tumultuarische Szenen samt Geschrei Bühnenalltag geworden sind.
Der Sprache wird misstraut Es ist der Overkill an Regie-Einfällen und Aktualisierungen, der auf den Zuschauer einteufelt.
Warum vertrauen Theatermacher nicht mehr auf die Sprache? Der Gang vor die Hunde des Willy Loman/Lohmann wäre, leise, unspektakulärer inszeniert, umso mehr in Herz und Verstand gedrungen. Statt dessen lässt Hawemann seine Figuren auf der Bühne neurotisch (Linda) oder spastisch (Happy) zappeln wie Goldhamster, denen man Kokain verabreicht hat. Man versteht schon, dass Willis Frau (Louisa von Spies) in der Hausfrauen-Hölle infantilisiert ist; dazu hätte es Piepsstimme und Gehüpfes nicht bedurft. (Ihr gelingt dennoch eine der wenigen eindringlichen Szenen dieser Inszenierung, als sie, bezeichnenderweise ruhig vorm Kühlschrank stehend, von Willis Suizidvorbereitungen erzählt.) Trampolin statt Laufrad: Braucht es diese Allegorie des
Rat Race?
Völlig überflüssig ist eine eingefügte Sequenz, in der Happy (Julian Keck), in eine Art Ganzkörper-Kondom gehüllt, eine leicht verfremdete
Passage aus Michel Houellebecqs "Plattform" vorträgt, am Mikrofon, versteht sich. Wir hätten ihm seine neurotische Erotomanie auch ohne den expliziten Text geglaubt. Halt, das wird fast noch getoppt, als der Schnösel Howard/Herbert dem Handlungsreisenden den finalen Tritt versetzt. Hawemann und Hildegard Altmeyer (Kostüme) stecken den Junior Gnadenlos in Taucheranzug samt Schwimmflossen - wie bitte?
Dass Lohmann sich bessere Zeiten herbeifantasiert, dass sein Stream of Consciousness visualisiert wird, liegt auf der Hand. Aber wieder zu laut, zu plärrend - Onkel Ben als Disco-Fuzzi, der schon genannte Charley (in diesen Rollen und als Herbert Philipp Weigand) im lichterbesetzten Cowboy-Kostüm. Wolf Gutjahrs Bühnenbild mit weit in den Zuschauerraum hineinragenden Neonröhren-Leisten schafft eine weite Perspektive.
Mit Unmengen von Kleidung behängte Garderobenständer, Sofa, Kühlschrank und Fernseher als Kleinbürger-Ambiente - das ist diskutabel. Auch als Lohmann am Ende nicht auf den Scherben, sondern auf Kleiderbergen als leeren Hüllen seiner Existenz sitzt.
Die Schauspieler, auch Christian Taubenheim als Biff, arbeiten redlich und schwer. Ihnen galt freundlicher Beifall. Der Regisseur erntete etliche Buhrufe, völlig zu Recht. Offenbar schluckt auch das Nürnberger Publikum nicht mehr alles. Einige Zuschauer hatten vorzeitig den Saal verlassen. Sie hatten nichts verpasst.
Termine und Karten Weitere Aufführungen am 18., 21., 22., 26., 28. Dezember und bis in den Mai 2014; Termine unter www.staatstheater-nuernberg.de. Dort auch Karten oder unter Tel. 0180/5231600