Ströme von Kunstblut auf der Luisenburg

2 Min
Matthias Lehmann als Orest und Lara Joy Körner als Iphigenie in der Inszenierung von Wolfgang Maria Bauer Fotos: Miedl/SFF Design
Matthias Lehmann als Orest und Lara Joy Körner als Iphigenie in der Inszenierung von Wolfgang Maria Bauer Fotos: Miedl/SFF Design
(v. l. n. r.) Wärterin (Adelheid Bräu), Iphigenie (Lara Joy Körner), Thoas (Michael Brandner)
(v. l. n. r.) Wärterin (Adelheid Bräu), Iphigenie (Lara Joy Körner), Thoas (Michael Brandner)
 
(v. l. n. r.) Pylades (Pirmin Sedlmeir), Adelheid Bräu, Orest (Matthias Lehmann)
(v. l. n. r.) Pylades (Pirmin Sedlmeir), Adelheid Bräu, Orest (Matthias Lehmann)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Johann Wolfgang von Goethes Drama "Iphigenie auf Tauris" gerät bei den Wunsiedlern Luisenburg-Festspielen zum Spektakel mit einem ganz anderen Schluss als bei Goethe. Hat Wolfgang Maria Bauer den Klassiker modernisiert oder vergewaltigt?

Natürlich ist es zu begrüßen, wenn Intendant Lerchenberg den Schneid hat, seinen Regisseur Wolfgang Maria Bauer eine "Iphigenie" auf eine der schönsten Freilichtbühnen des Landes stemmen zu lassen, die manches Großstadt-Hauses würdig wäre. Dass die Regie nach der Premieren-Vorstellung Pfiffe und Buhrufe erntete, ist für die Luisenburg allerdings sehr ungewöhnlich.

Wer wie eine Premierenbesucherin das deutsche Klassik-Drama per se um einen Geschlechterfluch und dessen Auflösung durch milde Humanität mit dem Reclam-Heft auf den Knien verfolgte, dürfte sich ungläubig die Augen gerieben haben. Der Regisseur pflegt erklärtermaßen eine große Laxheit in Fragen der Werktreue, und so könnte man Bauer auch als mindestens Koautor dieser Version nennen, frei nach Motiven Goethes.
Zu Beginn scheint allerdings viel plausibel: das Diana-Heiligtum (Bühnenbild Regisseur Bauer und Herbert Kapplmüller) als Wachturm, bewaffnete Schergen mit hechelnden (lebenden) Schäferhunden und totalverschleiert, Iphigenie (Lara Joy Körner) angekettet. Eine alles andere als klassische, legitimerweise stark gekürzte Textfassung mit Iphigenie-Apokryphen Goethes als Grundlage. Ergänzt durch Zitate, die mit Goethe gar nichts zu tun haben, etwa aus Rilkes "Panther".

Was noch einigermaßen plausibel ist fürs bedrückende Eingesperrtsein, unter dem Iphigenie leidet. Ansonsten leidet diese Inszenierung unter dem Syndrom, das eigentlich Jungregisseure plagt: zu viel auf einmal zu wollen. Der auch schon 51-jährige Bauer ("Siska") quält den Zuschauer mit chiffrierten Signalen. Das Geweih Iphigenies ein Hinweis auf Diana/Artemis? Die Hunde wiederum ein Verweis auf den antiken Mythos?

Die Grausamkeit in klassischen Texten von antiken Dramen über Shakespeare bis zu Goethe wird oft durch gebundene Sprache kaschiert; sie sichtbar zu machen durch Ströme von Kunstblut, verstört dann doch. Noch verstörender ist allerdings, wenn ein zentrales Konstituens des Goethe'schen Textes ins Gegenteil verkehrt wird: Iphigenie bleibt nicht jungfräulich, sondern wird vom König Thoas (Michael Brandner) vergewaltigt. So wie Orest (Matthias Lehmann) und Pylades (Pirmin Sedlmeir), unvermittelt in die Handlung eingeführt, an Gestellen hängen, mit Kunstblut überschüttet im Wahnsinn daherdelirieren (Orest) oder über den Goethe-Text wie ein Comedian auf Speed (Pylades) improvisieren. Thoas spricht übers Mikro zum Publikum ("Es wird wieder Menschenopfer geben") und erntet, ein Tauris-Goebbels, dröhnenden Beifall. Das versöhnliche Ende von Goethes Iphigenie streicht Bauer ganz und ersetzt es durch den Schluss von Camus' "Der Fall". Thoas, nun ein kühler Managertyp, keineswegs durch schlichte Wahrheit zu erweichen wie im klassischen Vorbild, gibt Nachhilfe im human engineering und lässt Orest und Pylades hinrichten.

Die Schauspieler agieren prächtig. Der aus ZDF-Kitschfilmen bekannten Lara Joy Körner hätte man eine solch wild-verzweifelte Figur nicht zugetraut, blutig und nackt über einem Felsen hängend, bis zu körperlichen Grenzen gehend. Was auch Lehmann/Sedlmeir als Orest/Pylades mit vollem physischen Einsatz taten. Brandner dagegen gibt den abgeklärten und doch grausamen Zyniker der Macht. Einzig die Wärterin (Adelheid Bräu), in Goethes Endfassung gar nicht vorhanden, entwickelt so etwas wie ein humanes Potenzial, während Luisenburg-Urgestein Alfred Schedl als Arkas im Hintergrund bleibt.

Pure Langeweile darf niemals siegen, wie sie es bei manch anderen Freilichtspielen der Region bereits getan hat. Diese Iphigenie dürfte jedoch große Teile des eher konservativen Luisenburg-Publikums überfordern. Noch einmal: ein Lob für den Intendanten. Für eine positive ökonomische Jahresbilanz auf der Luisenburg werden eher die "Comedian Harmonists" sorgen.

Termine und Karten