Etwas Trauer, etwas Erinnerung, etwas Märchenhaftes. Neil Gaimans neuer Roman ist ein Lesefest, das auch in der deutschen Übersetzung nichts von seiner Faszination verliert.
Familientreffen jeglicher Art sind willkommener Anlass in die eigene Vergangenheit einzutauchen und sich an Orte zu erinnern, an die man seit Jahren oder gar Jahrzehnten nicht mehr gedacht hat, sich mit "deren Existenz ich schon seit Jahren vergessen hatte" wie es der Mann mittleren Alters ausdrückt. Anlässlich einer Beerdigung kommt er in seinen Heimatort zurück und besucht den Bauernhof, auf den früher Lettie Hempstock mit ihrer Mutter und Großmutter gelebt hatte.
Mit jedem Meter, mit dem er sich dem Gebäude nähert, kommt die Erinnerung zurück. An den Ententeich, von dem Lettie immer behauptete, er sei eigentlich ein Ozean, an die Gerüche, das Gefühl der Geborgenheit in der großen, heimeligen Küche und natürlich an die drei Frauen, die irgendwie alterslos zu sein schienen.
"Der Ozean am Ende der Straße" ist ein Märchen für Erwachsene, das demzufolge wie alle Märchen mit
fantastischen Elementen daherkommt. Das könnte schwülstig und unglaubwürdig werden, doch der Autor versteht es, reale Elemente ins Fantastische kippen zu lassen, ohne dass die Geschichte ihre Glaubwürdigkeit verliert.
Wunderbare Welt Dass die drei Frauen Dinge wahrnehmen, die andere Menschen nicht sehen können und über geheimnisvolle Kräfte verfügen, die den Leser überraschen, ihn aber nicht abschrecken, sondern ihn mit aller erzählerischer Wucht gefangennehmen und mitnehmen in eine wunderbare Welt voller Poesie, aus der man sich am Ende des Buches nur ungern wieder verabschiedet - das gelingt nur einem wahren Meister der Erzählkunst.
Neil Gaiman ist ein solcher Meister.
Neil Gaiman: Der Ozean am Ende der Straße, Eichborn, 18 Euro, 238 Seiten."Der Ozean am Ende der Straße" bei
Eichborn.
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