Kritik der Apotheken
Der Deutsche Apothekerverband warnt hingegen, dass Menschen mit gesundheitlichen Problemen verunsichert werden könnten, wenn der Unterschied zwischen Apotheke und Drogeriemarkt verwässert wird. «Es muss klar sein, dass ein hochwirksames und damit potenziell auch gefährliches Arzneimittel nur fachgerecht von einer Apotheke abgegeben und nicht marketinggesteuert von einem Drogeriemarkt rausgehauen werden darf», erklärte der Vorsitzende Hans-Peter Hubmann.
Bei rezeptfreien Medikamenten wächst der Versandhandel nach Angaben des Verbands seit der Zulassung vor mehr als 20 Jahren stetig. Im ersten Halbjahr 2025 habe der Umsatz hier fast genau eine Milliarde Euro betragen. Damit habe der Versandhandel in Deutschland einen Anteil von 23,6 Prozent ausgemacht.
Das bedeutet aus Hubmanns Sicht aber auch, dass drei Viertel aller Patientinnen und Patienten sich in der Apotheke vor Ort in Sachen Selbstmedikation beraten lassen wollen. «Gerade bei akuten Leiden - ob nun Allergie, Schmerz oder Erkältung - kommt es darauf an, die Eigendiagnose der Patientinnen und Patienten im Vier-Augen-Gespräch zu hinterfragen und ihnen im Zweifel auch vom falschen Medikament abzuraten.»
Neue Angebote dank Wettbewerb?
Durch den Vorstoß von dm geht Professor Kortum von einem deutlichen Wandel auf dem Apothekenmarkt aus. «Die Preise in den klassischen Apotheken sind deutlich höher, das sieht der Kunde sofort.» Mehr Wettbewerb könnte zu Innovationen auch bei den klassischen Apotheken führen, sagte er. «Da gab es in den letzten Jahren wenig Neues, was Produkte und Angebote angeht.»
Auch Gesundheitsexperte Thilo Kaltenbach von der Strategieberatung Roland Berger hält kurzfristig attraktive Angebote für denkbar, wenn sich der Wettbewerb erhöht. Die Preise für rezeptfreie Arzneimittel seien in Deutschland allerdings schon seit einiger Zeit nicht mehr festgelegt, «so dass es keinen plötzlichen Erdrutsch geben wird».
In Ländern wie den USA oder Großbritannien seien Überschneidungen zwischen Apotheken und Drogerien viel größer. Mögliche nächste Schritte könnten Lifestyle-Gesundheitsprodukte wie Schlafsprays mit Melatonin sein, neue Formate der Erkältungsprävention oder Nahrungsergänzungsmittel in trendigen Darreichungsformen wie Gummis, Shots oder Pulversticks.
Milliardenmarkt und «Megatrend»
2023 hatte dm-Chef Werner das Thema Gesundheit als «Megatrend» bezeichnet. Im Sommer startete die Kette in ausgewählten Filialen Pilotversuche mit Gesundheitsdienstleistungen wie Augenscreenings, Haut- und Blutanalysen - was bei Arztverbänden auf Kritik stieß. Die Wettbewerbszentrale hat sogar Klagen eingereicht und möchte gerichtlich klären lassen, ob das Augenscreening-Angebot rechtlich zulässig sei.
Ressort-Geschäftsführer Bayer argumentierte mit Blick auf die systematische Erfassung persönlicher Gesundheitsdaten: «Nie waren Menschen aufgeklärter über die eigene Gesundheit als heute.» Auch sei klar, dass mit Prävention das Gesundheitssystem geschont werden könne - doch lasse sich diese oft nicht gut in den Alltag integrieren. Hier wolle dm niederschwellig und günstig sein.
Auch Müller, der Konkurrent aus Ulm, hat das Trendthema erkannt: In Pilotmärkten will die Kette mit einer eigenen «Gesundheitswelt» Erfahrungen sammeln. Es gehe um Apothekenkosmetik, Naturheilkunde, Functional Food, Nahrungsergänzung und Longevity (Langlebigkeit), hieß es zum Start. Das Marktvolumen freiverkäuflicher Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel liege in Deutschland bei rund 7,5 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Rossmann hat zumindest erklärt, alle Entwicklungen in dem Bereich sehr aufmerksam zu beobachten.
Die Gesundheitsausgaben insgesamt lägen in Deutschland bei 500 Milliarden Euro, erklärte Branchenkenner Kaltenbach. Erwartet werde in den nächsten ein moderater bis deutlicher Anstieg. «Selfcare, Demografie und Digitalisierung treiben den Markt und schaffen substanzielle Chancen für Drogerien.»