Das Literaturhaus Sulzbach-Rosenberg huldigt dem einstigen Kultautor Charles Bukowski. Zu entdecken ist vieles. Der Mensch hinter dem Mythos kommt zum Vorschein. Klar ist auch: Das Werk des einst auf Sex und Saufen reduzierten Schriftstellers ist nach wie vor hoch aktuell und lesenswert.
Es gab Zeiten, da meinte die Lektorin eines seriösen Verlags, "solches Zeug" deutschen Lesern nicht zumuten zu können, und den dtv-Chef schauderte es vor den Schweinereien des Charles Bukowski (1920-1994). Das ist über 40 Jahre her, und die Literaturszene ist bei weitem nicht mehr so verdruckst - wenn's ums Geld geht. Eine pubertäre Ferkelei wie "Feuchtgebiete" oder stockreaktionäre Schwachsinns-Erotik wie "50 Shades of Grey" verkaufen sich prächtig.
Über beide redet in der nächsten Saison keiner mehr. Und wie sieht's mit dem einstigen "dirty old man" aus, dem Ende der Siebziger in diversen deutschen Medien gehätschelten Macho, dem Kultautor, der Sex und Saufen in seinen Kurzgeschichten, Romanen und Gedichten in epischer Breite schilderte? Eine kurze Stichprobe aus dem Roman "Faktotum" (1975), in Deutschland im Zweitausendeins-Sammelband "Stories und Romane" von 1977 erstveröffentlicht, einem Bestseller und Sensationserfolg: "Die Falten in seinem Gesicht hatten weder Inhalt noch Charakter; sein Gesicht wirkte, als sei es mehrmals zusammengeknüllt und dann wieder glattgebügelt worden, wie ein Stück Karton." Das knallt immer noch! Es ist schlackenlose amerikanische Prosa (kongenial übersetzt von dem 2012 gestorbenen Carl Weissner), eingedampft aufs Essentielle, jeder Satz ein Uppercut, der sitzt, ein Schlag ins Gesicht langweiliger deutscher Mittelschichts-Prosa.
Völlig zu Recht beschäftigen sich längst Literaturwissenschaftler mit dem Mann, viele seiner Bücher werden auch in Deutschland immer wieder aufgelegt, und eine Charles-Bukowski-Gesellschaft pflegt Andenken und Werk an "Hank", sein literarisches Alter Ego Henry Chinaski. Eben diese Gesellschaft in Gestalt des Vorsitzenden mit dem Künstlernamen Roni und das Literaturhaus Oberpfalz unter Ägide von Michael Hehl kuratieren nun eine Ausstellung zu Bukowski, "All about Hank", die erste im deutschsprachigen Raum und ein weiteres Indiz, wie der einstige Schmuddelautor rehabilitiert wird.
Nicht nur Sex und Saufen Naturgemäß charakterisierte Roni zur Eröffnung seinen Autor als "eine der originellsten und wichtigsten Stimmen in der amerikanischen Literatur" und wies zu Recht die ihm von einem Teil seiner Fans zugeschriebenen Klischees "Sex und Saufen" als "ungerechtfertigt, einseitig und oberflächlich" zurück, konzedierte freilich, dass Bukowski auch sehr viele miserable Texte geschrieben habe - bei einem Schriftsteller seiner Produktivität, der zudem ums ökonomische Überleben kämpfte, kaum zu vermeiden.
Die Ausstellung sucht den Unterschied zwischen dem - auch selbst inszenierten - Mythos und der realen Person herauszuarbeiten. Dazu sieht man an den Wänden der drei Ausstellungsräume einen Abriss der Lebensgeschichte und jede Menge Fotos, die der mit Bukowski befreundete Fotograf Michael Montfort im Laufe von Jahrzehnten schoss. Klar wird bald, dass Bukowski kein schreibender Penner war - auch wenn er zunächst so vermarktet worden ist -, sondern ein verkrachter Intellektueller, belesen und mit einem Faible für klassische Musik, der nach einer desaströsen Jugend zäh am Traum von der Schriftstellerexistenz festhielt und aus der eigenen Biografie - jede Menge mieser Jobs und 17 Jahre bei der US-Post - Literatur destillierte. In einer Originalausgabe des Edel-Literaturmagazins "Portfolio" stand Bukowski 1946 neben weltliterarischen Größen wie Jean Genet, Jean-Paul Sartre oder Henry Miller. Bis zu seinem großen Durchbruch schrieb er für die "Little Mags", von denen einige in Sulzbach-Rosenberg zu sehen sind. Nebst vielen Erstausgaben seiner Bücher zumal in Deutschland, von wo der Ruhm auf die USA rückstrahlte, dort aber erst Fahrt aufnahm mit zwei Spielfilmen nach Bukowski-Storys.
Janosch illustriert Bukowski Unsterbliche Verdienste erwarb der kleine Maro-Verlag in Augsburg, der Bukowski in Deutschland verlegte, bis größere Häuser Blut geleckt hatten und mit dem erwähnten Zweitausendeins-Sammelband 1977 der Sensationserfolg kam nebst Vermarktung in Illustrierten und Männermagazinen. Signierte Ausgaben sieht man neben einem Video von Bukowskis legendärer Lesung in Deutschland, Hamburg 1978, und solche Kuriosa wie Janosch-Illustrationen zu einem Bukowski-Text oder das Faksimile eines FBI-Dossiers aus den späten Sechzigern, als unser Autor Kontakt zu Untergrund-Zeitschriften hatte. Für den Fan gibt es neben vielen anderen Devotionalien Fotobildbände, eine von der Lebensabschnittsgefährtin Linda King gefertigte Büste, Streichholzbriefchen und eine Original-Karte von Bukowskis Begräbnis. Gestorben ist er an Leukämie, nicht am Alkoholismus.
Es ist eine erhellende Ausstellung geworden mit manchen Aha-Effekten, wenn man den Schwergewichts-Schriftsteller vielleicht vor 35 Jahren gelesen hat. Allerdings fehlt etwas Wesentliches, jenseits von Drinks und Weibern. Kaum ein anderer Autor hat mit einem solch gnadenlosen Realismus das Leben der unteren 20 Prozent der amerikanischen Gesellschaft geschildert wie Bukowski, was in Zeiten der Flexibilisierung, der miesen, schlecht bezahlten Jobs auch hierzulande ein topaktuelles Thema geworden ist - ohne die kitschige Larmoyanz etwa eines Günter Wallraff.
Und die literarische Tradition, in der Bukowski steht, kommt auch zu kurz. Es ist harter amerikanischer Realismus - Stephen Crane, Dos Passos, Bret Harte u. a., die Diktion ist purer Hemingway, die Themen Underground der späten Sechziger. Bukowski ist sicher kein erstrangiger Autor. Wenn man nach literarischen Höhenflügen Erdung braucht, ist er allererste Wahl.
Als Bukowskis vielleicht bestes Buch gilt "Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend". Für den Einsteiger empfehlenswert ist nach wie vor "Der Mann mit der Ledertasche", beide dtv. Der bestens ausgestattete Zweitausendeins-Band "Stories und Romane" ist nur noch antiquarisch greifbar.