Am Schluss ist die Entzauberung komplett

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Amanda Majeski als Alcina Szenenfotos: Matthias Creutziger
Amanda Majeski (Alcina), Komparserie
 
Barbara Senator (Ruggiero), Amanda Majeski (Alcina)
 
Amanda Majeski (Alcina)
 
Simeon Esper (Oronte), Nadja Mchantaf (Morgana)
 
Amanda Majeski (Alcina)
 
Amanda Majeski (Alcina), Simeon Esper (Oronte)
 
Komparse, Amanda Majeski (Alcina), Komparse
 
Barbara Senator (Ruggiero) , Christa Mayer (Bradamante)
 
Schlussbild mit Amanda Majeski (Alcina)
 
Barbara Senator (Ruggiero), Amanda Majeski (Alcina)
 

Jan Philipp Gloger hat an der Semperoper in Dresden Händels "Alcina" inszeniert. Die Aufführung überzeugt auch dank einer jungen Solistenriege, die sängerdarstellerisch überzeugt.

Die gute Nachricht für alle Wagnerianer zuerst: Wenn dem Regisseur Jan Philipp Gloger im Sommer 2012 mit dem "Fliegenden Holländer" etwas Ähnliches gelingt wie jetzt mit Georg Friedrich Händels "Alcina" an der Dresdener Semperoper, dann muss es bei der Bayreuther Festspieleröffnung diesmal keine langen Gesichter geben. Der designierte Hügeldebütant hat die barocke Zauberoper überzeugend aufbereitet: mit einem auch ästhetisch schlüssigen Konzept und einer ausgefeilten Personenführung, die keine Wünsche offen lässt.

Gloger, Jahrgang 1981 und bisher überwiegend im Schauspiel tätig, bedient sich dabei gängiger Mittel des heutigen Regietheaters, ohne dass sie aufgesetzt wirken. Im Gegenteil: Dass die Handlung in die Gegenwart versetzt wird - was sich vor allem in den geschmacksicheren Kostümen von Karin Jud spiegelt -, erscheint hier ganz natürlich. Wofür das staunenswert bewegliche Bühnenbild von Ben Baur einen stattlichen, klassizistisch angehauchten Rahmen gibt.

Ein räumlicher Irrgarten
Er hat einen Raum entworfen, dessen Wände und Parkettböden sich wie von Zauberhand ständig verschieben und verändern - bis zu dem Punkt, da Alcina erkennen muss, dass ihr Liebeszauber gebrochen ist, der so viele Männer zu liebestollen Tieren degradiert hat. Ein Bewegungscoach kümmerte sich eigens darum, dass das gute Dutzend an Tänzern in mehr oder weniger lädierter Businesskleidung die Körpersprache von Hunden, Großkatzen und Affen beherrscht.

Auch die gern strapazierte Doppelung von Figuren ist hier goldrichtig. Auf Alcinas Zauberinsel geht es auch deshalb drunter und drüber, weil niemand sicher sein kann, ob er einer realen oder einer verzauberten Figur gegenübersteht. Der doppelte Ruggiero bringt die eigene Frau Bradamante zur Verzweiflung, die den untreu gewordenen Gatten wiedergewinnen will und, in männlicher Outdoorkluft und ausgerüstet mit Thermoskanne, Plastikdose und Pistole, unfreiwillig die Gunst von Alcinas Schwester Morgana gewinnt. Ruggiero, der zwischen zwei Frauen und zwei Lebensprinzipien steht, darf immerhin sein Double erwürgen. Was ihn aber letztlich nicht aus seiner Bredouille befreit. Er erschießt sich - was so natürlich nicht im Libretto der 1735 in London uraufgeführten Oper steht - vor den Augen der beiden so unterschiedlichen Liebenden, die um ihn kämpfen.

Das Schloss löst sich in Luft auf
Am Schluss ist der Lack auch bei Alcina ab. Es gibt hier eben kein lieto fine, kein Happy End, wie es in Barockopern zwingend vorgeschrieben war. Sondern eine komplette Entzauberung. Alcina wird zuerst in eine Zwangsjacke gesteckt, aus der sie sich noch befreien kann. Aber wenn sie schließlich zu ihrer an den Schluss verlegten Arie "Mi restano le lagrime" kommt, in der ihr nur noch die Tränen bleiben, strahlt sie in ihrer immer noch verführerischen Robe nur noch Desillusionierung aus: Alcina hat keine Macht mehr über andere und sich selbst, sie ist hoffnungslos ihren traurigen Gefühlen ausgeliefert, steht gottverlassen vor den im Bühnenhintergrund gelagerten Requisiten aus ihrem Zauberschloss, das sich fast ganz in Luft aufgelöst hat.

Dass es dem Regisseur durchgängig gelingt, uns all diese doch arg fremden barocken Kunstfiguren nahezubringen, ist nicht nur seinem Talent geschuldet. Vielmehr steht ihm eine Handvoll Solisten zur Verfügung, die sich mit Präzision, Verve und Können den hohen stimmlichen und schauspielerischen Herausforderungen stellt. Wann passiert es schon, dass einem barocke Da-capo-Arien nicht zu lang werden? In dieser "Alcina" dürften sie sogar noch ein paar Strophen mehr haben, wenn so faszinierende Sängerpersönlichkeiten wie die allerdings herausragende Amanda Majeski (Alcina) sie kunst- und gefühlvoll mit ihren Stimmen lebendig machen. Die rund dreißig Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Rainer Mühlbach sind zwar keine ausgewiesenen Spezialisten, aber sie geben den Solisten genau jene Sicherheit, die diese für ihre sängerischen Hochseilakte brauchen.


Termine und Karten
Weitere Aufführungen in dieser Saison nur noch am 10. November sowie am 4. und 7. Juli 2012. Karten gibt es unter Telefon 0351/4911705.


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