Polizei holte 40 Kinder aus Sekte: "Zwölf Stämme" aus Franken scheitert vor Gericht

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Deiningen: Die Gebäude von Klosterzimmern sind im Nördlinger Ries zu sehen, wo die Glaubensgemeinschaft der «Zwölf Stämme» unter anderem lebte. Eine weitere Niederlassung befand sich in Wörnitz bei Ansbach. Anfang 2017 gab die Gemeinschaft bekannt, Deutschland verlassen zu haben. Foto: Stefan Puchner/dpa
Deiningen: Die Gebäude von Klosterzimmern sind im Nördlinger Ries zu sehen, wo die Glaubensgemeinschaft der «Zwölf Stämme» unter anderem lebte. Eine weitere Niederlassung befand sich in Wörnitz bei Ansbach. Anfang 2017 gab die Gemeinschaft bekannt, Deutschland verlassen zu haben. Foto: Stefan Puchner/dpa

Die Inobhutnahme von Kindern der Religionsgemeinschaft Zwölf Stämme war rechtmäßig. Das hat der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschieden.

Der teilweise Entzug des Sorgerechts von Mitgliedern der Sekte "Zwölf Stämme" für ihre Kinder in Bayern hat nicht gegen die Menschenrechte verstoßen. Das urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Donnerstag in Straßburg. Das Risiko einer systematischen und regelmäßigen körperlichen Züchtigung von Kindern könne es rechtfertigen, die Kinder in Obhut zu nehmen, teilte das Gericht mit. Vier betroffene Elternpaare hatten gegen Deutschland geklagt.


Wegen Prügelstrafe: Polizei holte 40 Kinder

Im Jahr 2013 hatte die Polizei rund 40 Kinder aus den beiden früheren bayerischen Gemeinschaften der "Zwölf Stämme" in Klosterzimmern und Wörnitz geholt. Zuvor war bekannt geworden, dass Prügelstrafen bei der aus den USA stammenden Sekte zu den üblichen Erziehungsmethoden zählen. Die Gruppe beruft sich auf die Bibel und sieht Rutenschläge als angemessene Strafe für Kinder bis etwa 14 Jahre an.


Zwölf Stämme: Kläger sahen ihre Rechte verletzt

Die Kläger sahen durch den teilweisen Entzug des Sorgerechts ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt. Mittlerweile hat die in den 1970er Jahren gegründete Sekte Deutschland verlassen. Die Urteile des Menschenrechtsgerichts sind noch nicht rechtskräftig.

Gewalt in der Erziehung - in diesen Bevölkerungsgruppen kommt sie häufig vor

Auf ihrer Webseite wirken die "Zwölf Stämme" wie eine freundliche Hippie-Sippe: Da sind Bilder zu sehen, auf denen gemeinsam getanzt und gesungen wird. Kinder musizieren. Langhaarige, lächelnde Menschen sitzen um ein großes Lagerfeuer.

Doch aus Bayern kamen in den vergangenen Jahren ganz andere Geschichten über diese ursprünglich aus den USA stammende Religionsgemeinschaft ans Licht: Kinder sollen bei den "Zwölf Stämmen" regelmäßig mit Rutenschlägen gezüchtigt worden sein. Die Polizei holte im Jahr 2013 schließlich etwa 40 Kinder aus den zwei bayerischen Gemeinschaften der "Zwölf Stämme". Eine der Niederlassungen befand sich in Wörnitz bei Ansbach in Mittelfranken.


Vier Elternpaare der Zwölf Stämme zogen vor Gericht

Gegen diese Entscheidung wehren sich nun vier Elternpaare vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der teilweise Entzug des Sorgerechts habe gegen ihr Recht auf Privat- und Familienleben verstoßen, argumentieren die Kläger. Am Donnerstag will das Straßburger Gericht seine Entscheidung verkünden. Zum Beispiel könnten die Richter Deutschland dazu verurteilen, den Klägern eine Entschädigung zu zahlen.

Doch schon vor diesem Prozess in Straßburg beschäftigte die Sekte jahrelang die bayerischen Behörden, nachdem sie sich im schwäbischen Klosterzimmern bei Deiningen niedergelassen hatte. Zunächst weigerten sich die Eltern, ihre Kinder in staatliche Schulen zu schicken. Daraufhin genehmigte das bayerische Kultusministerium der Sekte eine eigene Schule.


Prügelstrafe als gängige Erziehungsmethode

Dann aber wurde bekannt, dass Prügelstrafen bei der in den 1970er Jahren gegründeten Sekte zu den üblichen Erziehungsmethoden zählen. Die Gruppe beruft sich auf die Bibel und sieht Rutenschläge als angemessene Strafe für Kinder vom Babyalter bis 14 Jahre an. Heimlich gefilmte Aufnahmen eines RTL-Reporters sollen zeigen, wie kleine Kinder geprügelt werden.


Ein Aussteiger bei den Zwölf Stämmen schildert den Missbrauch

In einem Youtube-Video, das unter dem Account "Twelve Tribes Media" hochgeladen wurde, wird gar für Rutenschläge geworben. Seit die Züchtigung von Kindern gesetzlich verboten worden sei, sei "die Hölle los", heißt es in dem 50-minütigen Film.

Ein Aussteiger beschreibt in einem Buch, wie er seine eigene acht Monate alte Tochter misshandelte. Das Kind sollte ruhig auf seinem Schoß sitzen und still sein. Als es nicht "gehorchte", hielt der Vater es eineinhalb Stunden lang fest, drückte ihren Kopf auf ihre Brust.


Erziehungsziel: "Bedingungslose Unterordnung"

Das Erziehungsziel der "Zwölf Stämme", sei "die bedingungslose Unterordnung", sagte der Aussteiger der "Süddeutschen Zeitung". Aber auch unter Erwachsenen sollen Bestrafungen an der Tagesordnung gewesen sein. "Entweder man ordnet sich 100 Prozent unter oder man hat ein Problem."

Nachdem die Behörden schließlich die Kinder aus den beiden bayerischen Gemeinschaften geholt hatten, begann ein Prozessmarathon. Es ging einerseits um das entzogene Sorgerecht der Eltern, deren Kinder in Heimen oder Pflegefamilien aufwuchsen. Andererseits klagte die Staatsanwaltschaft Sektenmitglieder wegen der Gewalttätigkeiten an, es gab mehrere Verurteilungen.


Gefängnis für eine Erzieherin: Zwei Jahre ohne Bewährung

Die härteste Strafe - zwei Jahre Gefängnis ohne Bewährung - erhielt eine Erzieherin, die ohne entsprechende pädagogische Eignung als Lehrerin in der Sektenschule arbeiten durfte. Sie hatte Prügelstrafen verhängt, wenn Schüler gestottert oder schlecht vorgelesen haben.


Zwölf Stämme: Sekte lebt jetzt in Tschechien

Die "Zwölf Stämme" kritisierten immer wieder, dass die Gemeinschaft in der Bundesrepublik verfolgt werde. Die Sekte zog deswegen nach Tschechien in die Nähe von Prag um. Anfang 2017 gab die Gemeinschaft bekannt, Deutschland verlassen zu haben. Heute listet die internationale Internetseite der "Zwölf Stämme" keinen deutschen Standort mehr auf. Medienberichten zufolge sind die meisten Kinder, die in Obhut genommen worden waren, mittlerweile zu ihren Familien zurückgekehrt - weil sie volljährig sind oder weil es entsprechende Urteile gab.

Missbrauch: Ermittlungen wegen Prügelvorwürfen gegen "Zwölf Stämme"