Jetzt also doch: Ermittlungen wegen Flugblatt-Skandal - aber nicht gegen Aiwanger

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Kurz vor der Landtagswahl in Bayern geriet Bayerns Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger in Verruf wegen eines antisemitischen Flugblatts. Nun gibt es Ermittlungen im Flugblatt-Skandal. Jedoch nicht gegen Aiwanger.

Update vom 26.10.2023, 14.20 Uhr: Ehemaliger Lehrer Aiwangers im Fokus der Flugblatt-Affäre

Nach der Flugblatt-Affäre um Bayerns Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen ehemaligen Lehrer des Freie-Wähler-Chefs. Es bestehe ein Anfangsverdacht der Verletzung von Dienstgeheimnissen und Privatgeheimnissen, teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Regensburg am Donnerstag mit. Grundsätzlich werde überprüft, ob sich der Mann durch ein mögliches "unbefugtes Offenbaren" strafbar gemacht hat. Zunächst hatte der Tagesspiegel berichtet.

Das Verfahren läuft nach Angaben der Staatsanwaltschaft schon seit Anfang September. Eingeleitet worden seien die Ermittlungen nach diversen Anzeigen infolge der Berichterstattung im Zusammenhang mit der Flugblatt-Affäre. Aiwanger war im Zuge der Affäre wenige Wochen vor der Landtagswahl unter Druck geraten, nachdem die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte, dass bei ihm zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt gefunden worden war. Mehrere Medien berichteten in dem Zusammenhang, dass ein ehemaliger Lehrer das Schreiben weitergegeben haben soll.

Aiwangers Bruder sagte später, er habe das Flugblatt verfasst. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) entschied nach Aiwangers Beantwortung eines Fragenkatalogs und einer Entschuldigung seinerseits, ihn nicht als Minister zu entlassen. CSU und Freie Wähler wollen ihre Koalition fortsetzen.

Update vom 18.09.2023, 11.25 Uhr: Schuster äußert sich zur Frage einer Entschuldigung skeptisch

Wie lange wussten CSU, die oppositionelle SPD und die Süddeutsche Zeitung (SZ) von dem antisemitischen Flugblatt, dass Hubert Aiwanger in seiner Schulzeit verfasst haben soll? Laut dem Chef der Freien Wähler hatten sie bereits seit Jahren Kentnnis davon. In einem großen Interview für die Augsburger Allgemeine Zeitung bekräftigte der Chef der Freien Wähler seine Vorwürfe, dass eine "Schmutzkampagne" gegen ihn gefahren wurde.

"Pünktlich zur Wahl eine solche Berichterstattung über meine Jugendzeit", kritisierte Aiwanger die SZ  gegenüber der Augsburger Allgemeinen scharf. Laut dem 52-Jährigen hat es die Zeitung schon seit Jahren auf ihn abgesehen. "Da war vom Schweinezüchter aus Niederbayern die Rede, vom Junggesellen, der noch immer bei den Eltern wohnt, bevor ich eine Familie hatte, und der nicht Hochdeutsch spricht. Also das war schon immer herablassend, gegen mich und die Landbevölkerung". Der bayerische Wirtschaftsminister vermutet, dass das Blatt schon länger an der Geschichte dransaß, als behauptet.

Doch auch gegenüber seinen politischen Mitbewerbern schlägt Aiwanger scharfe Töne an. "Es gibt ja die bezeugte Aussage, dass ein Mitarbeiter aus der CSU-Landesleitung 2008 öffentlich gesagt hat, wir suchen Unterlagen vom Aiwanger aus der Schule, um den fertigzumachen", führt er an. Schon damals habe die SZ bei Lehrern in diese Richtung nachgefragt. Die CSU habe die damaligen Vorwürfe bestritten. Und auch die Opposition war laut dem gebürtigen Niederbayern lange über das kompromittierende Material im Bilde: "Auch die SPD scheint ja schon länger informiert gewesen zu sein und gibt jetzt komischerweise keine Auskünfte dazu".

Nun freut sich Aiwanger jedoch, dass die Debatte rund um das Skandal-Flugblatt den Freien Wählern scheinbar Auftrieb verschafft hat. "Die aktuelle Debatte wird noch mal zwei, drei Prozent gebracht haben, weil die Menschen sagen: Wir sehen das als Kampagne", sagte gegenüber der Augsburger Allgemeinen und fügte hinzu, dass er dennoch auf die Debatte hätte verzichten können. Außerdem würden die guten Umfragewerte nicht nur daran liegen, sondern auch an den "vielen passenden Themen", die die Freien Wähler ansprechen.

Einige Frage ließ Hubert Aiwanger jedoch weiterhin offen. So wollte er seine Erinnerngslücken in Bezug auf das Flugblatt und umstrittene Aussagen in seiner Schulzeit nicht erklären. 

Update vom 10.09.2023, 14.25 Uhr: Schuster äußert sich zur Frage einer Entschuldigung skeptisch

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat sich zu einem Gespräch mit dem bayerischen Vizeregierungschef Hubert Aiwanger über die sogenannte Flugblattaffäre bereiterklärt. Aiwangers Büro habe Kontakt aufgenommen, um einen Termin dafür zu finden, sagte Schuster der Neuen Zürcher Zeitung weiter.

Zur Frage einer möglichen Entschuldigung des Freie-Wähler-Chefs bei dem Gespräch äußerte sich Schuster skeptisch. "Für die Opfer des Nationalsozialismus kann ich keine Entschuldigung annehmen. Und dann kommt es darauf an, wofür er sich eigentlich entschuldigen will und wie glaubhaft das ist", sagte er. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, hatte eine Entschuldigung Aiwangers abgelehnt.

Dass die Freien Wähler nach der Affäre um ihren Vorsitzenden in Bayern noch Zuwachs bei Umfragen erzielt haben, nannte Schuster "erschreckend". "Nicht wegen der Freien Wähler, sondern weil es anscheinend zeigt, dass viele Menschen für die Diskussion, die wir hier führen, kein Verständnis haben. Sie sehen Herrn Aiwanger auch jetzt als Märtyrer." Die Freien Wähler bezeichnete er darüber hinaus als legitime politische Kraft im konservativen Spektrum - "eher rechts, aber nicht extrem und auch nicht antisemitisch".

Aiwanger hatte bestritten, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Vielmehr bezichtige sich sein Bruder als Verfasser. In der Folge wurden weitere Vorwürfe zu Aiwangers früherem Verhalten erhoben. Nach mehreren Tagen entschuldigte er sich, beklagte aber zugleich eine Kampagne gegen sich. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält an seinem Stellvertreter und Wirtschaftsminister jedoch fest: Eine Entlassung sei "nicht verhältnismäßig".

Update vom 07.09.2023, 16.55 Uhr: Sondersitzung zu Flugblatt-Affäre - Aiwanger und Söder schweigen

Dutzende offene Fragen, viel und deutliche Kritik - aber keine Antworten: Einen Monat vor der bayerischen Landtagswahl hat die Opposition Ministerpräsident Markus Söder und dessen Vize Hubert Aiwanger in der Flugblatt-Affäre mangelnden Aufklärungswillen vorgeworfen. In einer Sondersitzung im Landtag wurde das Verhalten des CSU-Vorsitzenden und des Freie-Wähler-Chefs als insgesamt unwürdig oder auch rein taktisch kritisiert.

Mehrere Redner forderten beide auf, vor dem Parlament zu zahlreichen offenen Fragen Stellung zu nehmen - vergeblich: Söder und Aiwanger schwiegen im Landtag zu der Affäre und überließen ihren Fraktionsspitzen die Verteidigung. "Viele Fragen sind offen, Sie werden sie wahrscheinlich nie beantworten", kritisierte Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. Er setzte mit einer ernsten, aber deutlichen Rede den Ton für die Debatte im Zwischenausschuss, einer Art verkleinertem Plenum kurz vor Landtagswahlen. "Das ist einer bayerischen Regierung unwürdig."

Hartmann beklagte, wie weitere Oppositionsredner nach ihm und zuvor schon der Zentralrat der Juden, bei Aiwanger fehlende "Reue und Demut". "Wie klingt für Sie eine ehrliche Entschuldigung?", fragte er. Und sprach offensichtliche Widersprüche in Aiwangers Antworten zur Flugblatt-Affäre an: dass er angebe, der "Vorfall" sei für ihn ein "einschneidendes Erlebnis" gewesen, aber viele Erinnerungslücken geltend mache. Den Ministerpräsidenten fragte Hartmann, ob und warum ihm Aiwangers Verhalten ausreiche, um diesen im Amt zu belassen. "Haben Sie bei Ihrer Entscheidung Machterhalt über Haltung gestellt?" Ein Antrag von Grünen und SPD auf Entlassung Aiwangers wurde von der Mehrheit im Zwischenausschuss abgelehnt - genauso wie gleich zu Beginn Anträge auf eine förmliche Befragung Söders und Aiwangers.

Aiwanger hatte vor zwei Wochen zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Es seien aber "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf bezichtigte sich sein Bruder als Verfasser. In der Folge wurden immer mehr Vorwürfe zu Aiwangers damaligem Verhalten erhoben. Nach mehreren Tagen entschuldigte er sich, beklagte aber eine Kampagne gegen sich. Söder hält dennoch an ihm fest: Eine Entlassung wäre nicht verhältnismäßig, erklärte Söder am Sonntag.

Die Fronten im Landtag waren auch vor der Sondersitzung am Donnerstag von vornherein klar: CSU und Freie Wähler wollen ihre Koalition auch nach der Wahl am 8. Oktober fortsetzen. Auch Söder selbst hatte - sogar auf dem Höhepunkt der Affäre um seinen Vize - keine Gelegenheit ausgelassen, sich zu den Freien Wählern zu bekennen. Ein mögliches schwarz-grünes Regierungsbündnis schließt er weiter kategorisch aus.

Söder habe eine Entscheidung mit Augenmaß und Haltung getroffen und sich nicht von "Geschrei" der Opposition beeindrucken lassen, sagte der parlamentarische CSU-Geschäftsführer Tobias Reiß. Es gebe keinen Beweis, dass Aiwanger als Schüler das Hetzblatt verfasst oder verbreitet habe. "Dagegen steht seine Erklärung, dass er es nicht war." Reiß übte gleichwohl harsche Kritik an Aiwangers Umgang mit den Vorwürfen und seinem Krisenmanagement. Er habe sich erst spät entschuldigt. "Aufrecht, mutig und direkt heraus sein muss man nicht nur im Bierzelt."

Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl verteidigte Aiwanger: "Innerhalb einer Woche diese Aufklärung zu liefern, ist bei dem Sachverhalt sehr gut", sagte er. Der Vize-Ministerpräsident habe letztlich "glaubhaft versichert, nicht der Verfasser des Flugblatts zu sein", und sich entschuldigt, sagte Streibl. "Es erfordert Mut, Fehler einzugestehen, und diesen Mut hat Hubert Aiwanger bewiesen." Der Opposition warf Streibl Doppelmoral vor. Durch die Vorwürfe sei "für amerikanische Wahlkampfverhältnisse gesorgt" worden, während den Freien Wählern und Aiwanger Populismus vorgeworfen werde, sagte er.

SPD-Fraktionschef Florian von Brunn warf Aiwanger vor, sich zum Opfer zu stilisieren, das sei "unwürdig". "Es geht aber nicht um Sie. Es geht um das Amt und das Ansehen des Freistaats Bayern." Es sei auch bei Aiwangers Rede auf einer Kundgebung in Erding deutlich geworden, dass er Menschen aufwiegele, um daraus politisch Profit zu schlagen. Das sei ein klares Zeichen für Rechtspopulismus. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze warnte, kein Demokrat und keine Demokratin dürfe dies tun.

FDP-Fraktionschef Martin Hagen sagte: "Was ein Mensch mit 16 Jahren gesagt oder getan hat, darf ihn nicht ein Leben lang für politische Ämter disqualifizieren." Er kritisierte aber Aiwangers Umgang mit der Affäre - und dass dieser nicht bereit sei, sich im Landtag zu erklären. AfD-Fraktionschef Ulrich Singer nahm Aiwanger dagegen in Schutz. "Was wir da erlebt haben, war ein politisches Schmierentheater", sagte Singer. Der Freie-Wähler-Chef sei von Söder mit dessen Fragenkatalog behandelt worden "wie ein Schuljunge".

Update vom 07.09.2023, 9.30 Uhr: Sondersitzung steht heute bevor - Aiwanger ändert Strategie nicht

Vier Wochen vor der bayerischen Landtagswahl steht im Parlament ein offener und wohl heftiger Schlagabtausch über die Flugblatt-Affäre rund um Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bevor. Auf Antrag von Grünen, SPD und FDP kommt der sogenannte Zwischenausschuss zu einer Sondersitzung zusammen. Das Gremium ist in der Zeit kurz vor Landtagswahlen für die Beratung dringender Angelegenheiten zuständig, ihm gehören aktuell 51 Abgeordnete an.

Aiwanger und auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) haben angekündigt, an der Sondersitzung teilzunehmen. Söder plante dort aber zunächst keine Wortmeldung. "Ein Redebeitrag ist nicht vorgesehen: Der Ministerpräsident hat die Beweggründe seiner Entscheidung bereits ausführlich dargelegt und die gesamte Öffentlichkeit an seinem Abwägungsprozess umfangreich teilhaben lassen", sagte eine Sprecherin.

Sondersitzung wegen Flugblatt-Affäre steht bevor - wer wird sich äußern?

Aiwanger hatte vor zwei Wochen zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf erklärte sich sein Bruder zum Verfasser des Pamphlets.

In der Folge wurden immer mehr Vorwürfe zu Aiwangers damaligem Verhalten erhoben. Nach mehreren Tagen entschuldigte er sich, ging aber zugleich zum Gegenangriff über und beklagte eine politische Kampagne gegen sich. Söder hält aber an ihm fest: Eine Entlassung wäre nicht verhältnismäßig, erklärte der Regierungschef am Sonntag (3. September 2023).

Die Freien Wähler machen inzwischen Tag für Tag in teils scharfen Worten mit dem Vorwurf einer Schmutzkampagne Wahlkampf. Aiwanger sagte in dem Zusammenhang in einem Interview sogar: "In meinen Augen wird hier die Schoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht." Auf Kritik des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, der fehlende "Reue und Demut" bei Aiwanger beklagt hatte, war der Freie-Wähler-Vorsitzende zuletzt auf Nachfrage nicht eingegangen.

Aiwanger bleibt bei Strategie - relativiert "Jugendsünden"

Die Fronten im Landtag sind klar: CSU und Freie Wähler wollen ihre Koalition auch nach der Wahl am 8. Oktober fortsetzen. Söder hatte auch auf dem Höhepunkt der Affäre um seinen Vize keine Gelegenheit ausgelassen, sich zu den Freien Wählern zu bekennen. Ein mögliches schwarz-grünes Regierungsbündnis schließt er weiter kategorisch aus.

Aiwanger sieht seine öffentliche Entschuldigung für mögliche Fehler zu Jugendzeiten auch im Nachhinein noch als richtig und notwendig an. In einer Talk-Sendung mit den Landtags-Spitzenkandidaten im BR Fernsehen ging er am Mittwochabend (6. September 2023) aber nicht auf die Frage ein, für was genau und für welchen "Mist" in der Schulzeit er sich nun genau entschuldigt habe.

"Dass als Jugendliche viele junge Menschen Mist gebaut haben, glaube ich, will niemand abstreiten", sagte er. "Und es waren ja eine Vielzahl an Vorwürfen bis hin zu geschmacklosen Witzen und so weiter, wo ich ehrlicherweise eingestehen muss, dass ich nach knapp 40 Jahren im Detail nicht mehr weiß, wer wann welchen Witz erzählt hat, ob ich mitgelacht oder selber einen erzählt hab." Aiwanger fügte hinzu: "Und ich glaube, dass man hier dann auch in dieser Stunde der Bedrängnis auch gut tut zu sagen: Sollte ich irgendwo Fehler gemacht haben, entschuldige ich mich in jeder Form dazu und dafür. Da bin ich offen genug und Manns genug."

Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde akzeptiert Entschuldigung nicht

Aiwanger zeigte zudem Verständnis, dass die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, seine Entschuldigung nach eigenen Angaben nicht angenommen hat.

"Natürlich waren das jetzt turbulente Zeiten", sagte Aiwanger. "Dass Frau Knobloch hier nicht am Telefon hopplahopp eine Entschuldigung annimmt, das kann man überhaupt ja nicht erwarten. Ich hab' mich entschuldigt, und sie hat das weder aktiv zurückgewiesen noch angenommen, sondern einfach so im Raum stehen gelassen." Es sei "logisch", wenn Knobloch sage, dass man bei passender Gelegenheit nochmal vertieft darüber rede.

Update vom 06.09.2023, 11.44 Uhr: Freie Wähler nutzen Vorwurf einer Schmutzkampagne für Wahlkampf

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wollen an der Sondersitzung im Landtag zu der Affäre rund um ein altes antisemitisches Flugblatt teilnehmen. Ob die beiden bei der Tagung des sogenannten Zwischenausschusses am Donnerstag (07. September 2023) auch sprechen werden, ließen Aiwanger selbst und die Staatskanzlei am Dienstag (05. September 2023) noch offen.

Das Gremium ist in der Zeit kurz vor den Landtagswahlen für die Beratung dringender Angelegenheiten zuständig, ihm gehören aktuell 51 Abgeordnete an. Grüne, SPD und FDP haben die Sitzung beantragt.

Söder und Aiwanger nehmen an Sondersitzung zu Flugblatt-Affäre teil

Die Kritik an Aiwanger reißt derweil nicht ab. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, beklagte in der ARD, dass er "Reue und Demut" bei Aiwanger "nicht feststellen" könne. Und er kritisierte in den Tagesthemen am Montagabend, dass das Mittel der "Opfer-Täter-Umkehr", das Aiwanger nutzt, "überhaupt nicht geht".

Aiwanger hatte zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf bezichtigte sich sein Bruder als Verfasser. In der Folge wurden, teils anonym, immer mehr Vorwürfe zu Aiwangers damaligem Verhalten erhoben. Nach mehreren Tagen entschuldigte er sich, ging aber zugleich zum Gegenangriff über und beklagte eine politische Kampagne gegen sich. Söder hält aber an ihm fest: Eine Entlassung wäre nicht verhältnismäßig, erklärte Söder am Sonntag.

Die Freien Wähler machen nun Tag für Tag in teils scharfen Worten mit dem Vorwurf einer Schmutzkampagne Wahlkampf. Aiwanger sagte in dem Zusammenhang in einem Interview kürzlich sogar: "In meinen Augen wird hier die Schoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht." Die Flugblatt-Affäre könnte Hubert Aiwanger und seinen Freien Wählern schaden, besonders hinsichtlich der immer näher rückenden Landtagswahl in Bayern. Doch laut einer aktuellen Umfrage hat der Skandal gegenteilige Auswirkungen.

Nach Flugblatt-Affäre: Kritik an Aiwanger reißt nicht ab

Auf Schusters Kritik wollte Aiwanger, der am Dienstag an der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung teilnahm, nicht eingehen: Er könne "dazu jetzt keine Antwort geben". Auch auf Nachfrage, ob er nach Schusters Kritik eventuell Konsequenzen ziehe, bestimmte Dinge nicht mehr tun wolle, also etwa den Kampagnen-Vorwurf nicht mehr erheben wolle, sagte er lediglich: er wolle "in diesem Rahmen hier keine Antwort darauf geben". Und auch auf die Frage, warum er Söders Fragenkatalog nur wenig ausführlich beantwortet habe, sagte Aiwanger, er wolle "hier keine weiteren Antworten zu diesen Fragen" geben.

Söder hatte nach seiner Erklärung am Sonntag, dass er an Aiwanger festhält, keine Fragen zugelassen. Der CSU-Vorsitzende musste seine Entscheidung aber kurz danach im ZDF-Sommerinterview erläutern.

Die KZ-Gedenkstätte Dachau lehnt einen Besuch Aiwangers derzeit ab. "Öffentlichkeitswirksame politische Besuche im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl sind in der KZ-Gedenkstätte Dachau nicht erwünscht", teilte Leiterin Gabriele Hammermann am Dienstag mit. Mehrere Medien hatten zuvor darüber berichtet. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte dem Freie-Wähler-Vorsitzenden einen Besuch nahegelegt.

"Nicht erwünscht" - KZ-Gedenkstätte Dachau lehnt einen Besuch Aiwangers ab

Der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, stellte in der Abendzeitung klar, Aiwanger könne Dachau jederzeit besuchen – ob als Privatperson oder Minister. Vor der Wahl würde er ihm jedoch "dringend davon abraten und ihn auch nicht begleiten". "Eine Show-Veranstaltung mit Journalisten-Tross wäre für mich eine Farce und der Würde des Ortes nicht angemessen. Im Übrigen auch nach dem 8. Oktober."

Nach Ansicht von Ex-CSU-Chef Erwin Huber ähnelt Aiwangers Verhalten den Methoden des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. "Man kann Aiwanger natürlich nicht mit Trump gleichstellen. So groß ist der Aiwanger ja nicht. Aber die Methoden ähneln sich", sagte der 77-Jährige am Dienstag im Deutschlandfunk. "Man nimmt gar nicht zur Kenntnis, dass es Vorwürfe gibt. Man leugnet das einfach. Man droht mit Klage. Zweitens: Man macht sich zum Opfer. Das hat schon Ähnlichkeiten mit dem Trumpismus. Ich hoffe, dass das nicht Schule macht in der deutschen Politik." Dennoch sei Söders Entscheidung, seinen Vize im Amt zu lassen, richtig gewesen. "Vier Wochen vor der Landtagswahl eine Regierungskrise heraufzubeschwören, das ist natürlich sinnlos." Söder habe aus Verantwortungsethik gehandelt.

Update vom 04.09.2023, 17.32 Uhr: Aiwanger spricht von "wunderbarem Vertrauensbeweis"

Verbale Angriffe auf die politische Gegnerschaft - und neuerliche Debatten über die Flugblatt-Affäre: Einen Tag nach der Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), seinen Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Amt zu belassen, stand der politische Frühschoppen beim Volksfest Gillamoos in Niederbayern ganz im Zeichen der Vorwürfe. Allerdings ging Aiwanger selbst bei seiner umjubelten Rede am Montag (04. September 2023) gar nicht auf das Thema ein. Wenige Wochen vor der bayerischen Landtagswahl am 8. Oktober attackierte er vor allem die Ampel-Parteien in Berlin.

Aiwanger dankte zu Beginn seiner gut einstündigen Rede den Besuchern lediglich für einen "wunderbaren Vertrauensbeweis, diese Rückenstärkung" in den vergangenen Tagen. Vom Publikum erhielt Aiwanger stehend Applaus und wurde mehrfach mit "Hubert, Hubert"-Sprechchören gefeiert.

Volksfest Gillamoos: Publikum feiert Aiwanger

Anschließend ging es in seiner Rede im niederbayerischen Abensberg um klassische Wahlkampfthemen der Freien Wähler wie die Abschaffung der Erbschaftsteuer, Verhinderung des Heizungsgesetz und einen strikteren Kurs beim Thema Migration.

Zuvor hatten ihn unter anderem die Generalsekretärin der Freien Wähler in Bayern, Susann Enders, und Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber gegen Kritik im Zusammenhang mit dem Flugblatt verteidigt.

CDU-Chef Friedrich Merz lobte derweil Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) für die Aufarbeitung der Flugblatt-Affäre. Söder habe in den vergangenen Tagen eine verdammt schwierige Aufgabe gehabt, und die habe er bravourös gelöst, sagte Merz beim gemeinsamen Bierzelt-Auftritt mit Söder in Abensberg: "Sehr gut, genauso war's richtig, das so zu machen." Söder indes schwieg in seiner Rede zur Causa Aiwanger.

Merz löbt Söder im Umgang mit Flugblatt-Affäre

Söder hatte am Sonntag seine Entscheidung mitgeteilt, Aiwanger am Ende trotz der Vorwürfe rund und ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten im Amt zu belassen.

Aiwanger selbst warnte vor einer politischen Spaltung des Landes. "Dieses Land wird derzeit politisch tief gespalten bis hin zu einer Situation der Regierungsunfähigkeit", sagte der bayerische Wirtschaftsminister. Als Beispiel nannte er Umfragen in ostdeutschen Bundesländern, in denen "Randparteien" mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinten. "Dann ist die Demokratie in höchster Gefahr", sagte Aiwanger. Seine Partei wolle deshalb "ein Angebot der vernünftigen Politik" an Wähler der Mitte machen.

Auch Merz und Söder attackierten in ihren Reden die Ampel-Regierung zur Halbzeit der Legislaturperiode in scharfen Worten. "Wir sind fest entschlossen, es spätestens in zwei Jahren besser zu machen als diese Regierung", sagte Merz. Deutschland habe eine bessere Regierung verdient. "Fachkräftemangel haben wir in erster Linie in der Bundesregierung – und nicht bei den Ingenieuren in Deutschland." Merz warf SPD, Grünen und FDP unter anderem schwere Fehler in der Energie- und in der Migrationspolitik vor. Die Abschaltung dreier funktionierender Atomkraftwerke kritisierte er als "Dämlichkeit" und "Schwachsinn".

"Schlechteste Regierung, die Deutschland je hatte" - Söder schießt gegen Ampel-Regierung

Söder sagte: "Die Hampel-Ampel ist die schlechteste Regierung, die Deutschland je hatte." Es gebe "Woche für Woche Hin und Her", sagte er. Nach der Bundestagswahl 2025 werde die Union die Ampel ablösen, sagte Söder optimistisch voraus. "Die Ampel wird das Jahr 2025 nicht mehr erfolgreich als Regierung bestreiten. Die lösen wir gemeinsam ab."

Die Flugblatt-Affäre spielte vor allem bei SPD und Grüne eine Rolle. Aiwanger verhalte sich unanständig, kritisierte SPD-Bundeschef Lars Klingbeil. Es würde der politische Diskurs verschoben, "da verschwindet Anstand aus der Politik", sagte er. Söder warf er Egoismus vor: "Der guckt nur auf sich selbst, aber nicht auf dieses Bundesland", sagte Klingbeil.

"Allein der Anschein von Antisemitismus in der Staatsregierung schadet dem Antrieb unseres Handelns", sagte der Spitzenkandidat der bayerischen Grünen, Ludwig Hartmann: "Der Populismus ist der Feind unserer Demokratie." Derweil hatte eine Bamberger Grünen-Abgeordnete nur wenige Wochen vor der Landtagswahl einen schweren Unfall.

Söder optimistisch: Union werde Ampel ablösen

Aiwanger überließ das Thema Flugblatt-Affäre anderen Vertretern seiner Partei. Der parlamentarische Geschäftsführer, Fabian Mehring, bezeichnete die Vorwürfe als Kampagne "mit dem Ziel, der Ampel den Weg zu bahnen", bezeichnet. Die Opposition habe den Vize-Ministerpräsidenten "aus wahltaktischen Gründen in den Dreck ziehen wollen".

Der Gillamoos ist ein Jahrmarkt mit Volksfestbetrieb, der immer Anfang September stattfindet. Die Veranstaltung im Landkreis Kelheim hat eine mehr als 700-jährige Tradition und ist gerade für die politischen Reden am letzten Festtag überregional bekannt.

Update vom 04.09.2023, 12.25 Uhr: Aiwanger und Söder treten beim Gillamoos-Volksfest auf

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat bei seiner Rede auf dem Gillamoos-Volksfest vor einer politischen Spaltung des Landes gewarnt. "Dieses Land wird derzeit politisch tief gespalten bis hin zu einer Situation der Regierungsunfähigkeit", sagte Bayerns Vize-Ministerpräsident am Montag im niederbayerischen Abensberg. Als Beispiel nannte er Umfragen in ostdeutschen Bundesländern, in denen "Randparteien" mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinten. "Dann ist die Demokratie in höchster Gefahr", sagte Aiwanger.

Seine Partei wolle deshalb "ein Angebot der vernünftigen Politik" an Wähler der Mitte machen, sagte Aiwanger. Sie habe dabei die Pflicht, "Fehlentwicklungen ganz deutlich zu benennen". Mit Blick auf seine umstrittenen Äußerungen zum Heizungsgesetz bei einer Kundgebung im oberbayerischen Erding sagte der Freie-Wähler-Chef: "Ich sah mich in keiner anderen Situation als diese Dinge beim Namen zu nennen, damit die sehen, dass die Bevölkerung diesen Weg nicht mitgeht."

Aiwanger hatte bei der Kundgebung unter anderem gesagt, dass eine schweigende, große Mehrheit die Demokratie wieder zurückholen müssen. Vertreter anderer Parteien hatten Aiwanger dafür scharf kritisiert und ihm Populismus vorgeworfen.

CSU-Chef Markus Söder hat unterdessen die Bundesregierung in seiner Rede auf dem Gillamoos-Volksfest scharf attackiert. "Die Hampel-Ampel ist die schlechteste Regierung, die Deutschland je hatte", sagte Söder am Montag bei dem gemeinsamen Bierzelt-Auftritt mit CDU-Chef Friedrich Merz im niederbayerischen Abensberg. "Woche für Woche Streit", kritisierte er. "Woche für Woche Hin und Her."

Nach der Bundestagswahl 2025 werde die Union die Ampel ablösen, sagte Söder optimistisch voraus. "Die Ampel wird das Jahr 2025 nicht mehr erfolgreich als Regierung bestreiten. Die lösen wir gemeinsam ab." Kurz nach der Beginn der Rede hatte ein Störer versucht, Söder aus dem Konzept zu bringen. Der Mann wurde aus dem Zelt getragen.

Update vom 04.09.2023, 7.20 Uhr: Nach Aiwanger-Entscheidung keine Rückkehr zum Polit-Alltag

Nach der Entscheidung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) für einen Verbleib seines Stellvertreters Hubert Aiwanger im Amt kann von einer Rückkehr zum politischen Alltag keine Rede sein. Die Kritik ist breit, und nur einen Tag nach der Bekanntgabe von Söders Votum bekommen die politischen Gegner an diesem Montag ein großes Podium: Gut einen Monat vor der Landtagswahl laufen sich die Parteien beim traditionellen politischen Schlagabtausch auf dem Gillamoos-Jahrmarkt in Niederbayern für den Endspurt warm. Die Flugblatt-Affäre um Freie-Wähler-Chef Aiwanger dürfte eines der bestimmenden Themen sein.

CSU-Chef Söder kommt nach Abensberg im Landkreis Kelheim und wird vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz begleitet. Bei den Freien Wählern ist Wirtschaftsminister Aiwanger selbst angekündigt. Sein Auftritt dürfte mit Spannung beobachtet werden, weil Söder von ihm nun Demut erwartet und dass er das Gespräch mit den jüdischen Gemeinden sucht.

Die SPD schickt ihren Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil ins Rennen. Bei den Grünen ist es der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Die FDP hat Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki angekündigt. Die AfD bietet Parteichefin Alice Weidel auf.

Die Kritik hält bereits seit Söders Entscheidung vom Sonntag an. Für die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ist diese "ein fatales Signal" und Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die NS-Zeit, Antisemitismus und Rassismus verharmlosen, wie sie der Rheinischen Post sagte. "Nicht nur das mögliche Verhalten Hubert Aiwangers in seiner Jugend, sondern vor allem sein heutiger Umgang damit zeigt für mich ganz klar, dass er ungeeignet ist, Verantwortung in einer Regierung zu übernehmen."

Die Bundestagsfraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann, schrieb auf der Internet-Plattform X, ehemals Twitter: "Markus Soeder hat sich mit seiner Entscheidung zu Aiwanger für Taktik statt Haltung entschieden." Für Bayerns Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze ist "etwas verrutscht im Umgang mit der Erinnerungskultur", dafür trage auch Söder die Verantwortung. "Jeder, der jetzt in Zukunft was Antisemitisches sagt, kann sich dann eigentlich im Endeffekt auf den stellvertretenden Ministerpräsidenten in Bayern beziehen", sagte sie im ZDF-Heute Journal.

Der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, Wolfgang Benz, nannte Söders Entscheidung "verheerend". "Dieses antisemitische Flugblatt und die offensichtlich rechtsextremistischen Aktivitäten Aiwangers würde ich als Jugendsünden abtun, wenn er sich gleich klar dazu geäußert und seiner Scham Ausdruck verliehen hätte", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Überblick: Die Fragen der Staatskanzlei an Aiwanger und seine Antworten

Markus Söder hatte Hubert Aiwanger in der Affäre um das antisemitische Flugblatt 25 Fragen gestellt. Aiwanger beantwortete diese folgendermaßen:

  1. Wieso waren die Flugblätter in Ihrer Schultasche? Was wollten Sie damit, wieso haben Sie die Flugblätter nicht sofort vernichtet/weggeworfen? Mir ist dieser Vorgang im Detail nicht in Erinnerung. Laut Aussagen meines Bruders glaubt er, dass ich die Flugblätter eingesammelt habe, um zu deeskalieren.
  2. Haben Sie das Flugblatt weiterverbreitet? Siehe Antwort zu Frage 1.
  3. Warum ist der Verdacht damals auf Sie gefallen? Das entzieht sich meiner Kenntnis.
  4. Wie, weshalb und von wem wurde Ihre Schultasche durchsucht? Meiner Erinnerung nach wurde die Schultasche im Sekretariat unter Anwesenheit von Schulpersonal geöffnet. Das oder die Flugblätter wurden einbehalten. An Details kann ich mich nach 36 Jahren nicht mehr erinnern.
  5. Wie viele Exemplare des Flugblatts wurden in Ihrer Schultasche gefunden? Eines oder wenige.
  6. Auf welcher Schreibmaschine wurde das Flugblatt geschrieben? Das ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich auf der Schreibmaschine des Elternhauses.
  7. Wer hat das Flugblatt erstellt? Wo und an wen sollte es verteilt werden? Das Flugblatt wurde laut seiner eigenen Aussage durch meinen Bruder aufgrund seiner problematischen schulischen Situation und seines Ärgers mit Lehrern erstellt, um diese zu provozieren. Wo und an wen es verteilt wurde oder werden sollte, ist mir nicht bekannt.
  8. Wie viele Exemplare des Flugblattes wurden erstellt? Die Flugblätter wurden nicht von mir erstellt, ich kenne die Anzahl der Exemplare nicht.
  9. Wann und wie wurde Ihnen die behauptete Urheberschaft Ihres Bruders bekannt? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.
  10. Waren Sie überrascht, als Sie das Flugblatt erstmals gesehen haben? Wie haben Sie es damals bewertet? Ich war erschrocken.
  11. Haben Sie das Flugblatt gemeinsam mit Ihrem Bruder erstellt? Wieso beginnt der letzte Satz des Flugblattes mit "Wir", wer steckt hinter dem "Wir" ("Wir hoffen auf zahlreiche Teilnahme")? Waren an der Erstellung des Flugblattes noch andere Personen beteiligt? Ich war an der Erstellung des Flugblattes nicht beteiligt. Die weiteren Fragen kann ich nicht beantworten.
  12. Wieso thematisiert das Flugblatt Auschwitz, Dachau etc., wenn Ihr Bruder verärgert über die Schulleitung, Lehrer und sein Sitzenbleiben gewesen sein soll? Wer war mit "Volksverräter" gemeint? Ich habe das Flugblatt nicht erstellt und daran nicht mitgewirkt. Daher kann ich die Fragen nicht beantworten.
  13. Wurden nur Sie selbst zum Direktor einbestellt? Warum? Wurde der Disziplinarausschuss der Schule mit der Angelegenheit befasst? Mir ist nicht in Erinnerung, ob noch weitere Personen zum Direktor einbestellt wurden. An eine mögliche Sitzung des Disziplinarausschusses kann ich mich nicht erinnern.
  14. Wieso haben Sie gegenüber der Schulleitung die Verantwortung für das Flugblatt übernommen? Ich weiß nicht, ob und was ich an Verantwortung für das Flugblatt übernommen habe. Nach dem Auffinden des Flugblattes in der Schultasche wurde mir mit der Polizei gedroht. Als Ausweg wurde mir angeboten, ein Referat zu halten. Darauf ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache wohl für die Schule erledigt.
  15. Haben Sie vor der Schulleitung zugegeben bzw. eingestanden, dass das Flugblatt von Ihnen stammt? Es wird auf die Frage 14 verwiesen.
  16. Haben Sie das Ihnen als Sanktion auferlegte Referat gehalten? Nach meiner Erinnerung wahrscheinlich ja.
  17. Wieso haben Sie keinen Verweis von der Schulleitung bekommen? Wieso wurden Ihre Eltern nicht einbezogen, obwohl Sie noch minderjährig waren? Diese Fragen kann nur die damalige Schulleitung beantworten.
  18. Haben Sie Ihren Bruder mit dem Flugblatt konfrontiert? Haben Sie ihm klargemacht, weshalb ein derartiger Inhalt absolut indiskutabel ist? Hat Ihr Bruder Einsicht gezeigt? Mein Bruder und ich standen unter Schock. Die Vorstellung eines Polizeibesuchs im Elternhaus hat mir Angst gemacht. Mein Bruder war selbst im Nachhinein über den abscheulichen Inhalt beschämt und hat die Sache sehr bereut.
  19. Warum hat sich Ihr Bruder damals nicht zu dem Flugblatt bekannt, sondern erst jetzt? Mein Bruder war aufgrund seiner schulischen Probleme damals ohnehin in einer schwierigen Situation und hatte Angst vor dramatischen Folgen. Aufgrund der aktuellen Verdächtigungen gegen mich klärte mein Bruder die Urheberschaft auf.
  20. Wurde Ihr Bruder, der nach seinen Angaben ständig Meinungsverschiedenheiten mit Lehrkräften hatte und "wegen Kleinigkeiten zum Schuldirektor geschickt" wurde, von den Lehrern (auch) verdächtigt? Das entzieht sich meiner Kenntnis.
  21. Hat Ihr Bruder oder haben Sie häufiger Flugblätter erstellt? Wenn ja, zu welchen Themen? Mir ist nicht erinnerlich, dass ich in meiner Schulzeit Flugblätter erstellt habe. Mir sind keine weiteren Flugblätter meines Bruders bekannt.
  22. Gab es in der Schule weitere Vorfälle, bei denen disziplinarisch gegen Sie vorgegangen wurde? Wenn ja, welche? Mir ist neben einem Vorfall im Kunstunterricht, der mit der aktuellen Diskussion nichts zu tun hat, nichts in Erinnerung (Anmerkung: Allgemein ist dafür Sorge zu tragen, dass der Schutzraum Schule nicht ausgehöhlt wird. Schüler, Eltern und Lehrer müssen sich darauf verlassen können, dass schulische Interna nicht in die Öffentlichkeit getragen werden).
  23. Welche Konsequenzen haben Sie damals aus der Angelegenheit für sich persönlich gezogen? Der Vorfall war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Er hat wichtige gedankliche Prozesse angestoßen.
  24. Wie positionieren Sie sich zu dem Vorwurf, dass auch Ihr weiteres Verhalten bzw. Auftreten zur Schulzeit eine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut nahegelegt habe, weshalb der Verdacht auf Sie gefallen sei (lt. Presseberichten angeblich Imitationen von Hitler und seinen Reden, "Hitlerbärtchen")? Gab es weitere mögliche rechtsradikale Aktivitäten in der Vergangenheit. Die Fragen 24 und 25 werden gemeinsam beantwortet: Ich habe als Jugendlicher auch Fehler gemacht, die mir heute leidtun. Ich bereue, wenn ich durch mein Verhalten in der Jugendzeit Gefühle verletzt habe. Fehler aus der Jugendzeit dürfen einem Menschen allerdings nicht für alle Ewigkeit angelastet werden. Jedem Menschen muss auch ein Entwicklungs- und Reifeprozess zugestanden werden.

Update vom 03.09.2023, 11.27 Uhr: Begründung für Söders Entscheidung in der Pressekonferenz

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat seine Entscheidung gegen eine Entlassung seines Stellvertreters Hubert Aiwanger (Freie Wähler) mit fünf Punkten begründet. Nach Bewertung "aller vorliegenden Fakten" stelle es sich für ihn am Ende so dar, sagte der CSU-Chef am Sonntag in München: "Erstens er hat in seiner Jugend wohl schwere Fehler gemacht, das auch zugestanden. Er hat sich dafür zweitens entschuldigt, davon distanziert und auch Reue gezeigt."

Und weiter: "Drittens: Ein Beweis jedoch, dass er das Flugblatt verfasst oder verbreitet hat, gibt es bis heute nicht, dagegen steht seine ganz klare Erklärung, dass er es nicht war. Viertens: Seit dem Vorfall von damals gibt es nichts Vergleichbares. Fünftens: Das Ganze ist in der Tat 35 Jahre her. Kaum einer von uns ist heute noch so wie er mit 16 war." In der Gesamtabwägung wäre eine Entlassung aus dem Amt aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig, sagte Söder.

Update vom 03.09.2023, 10.45 Uhr: Söder hat Entscheidung im Fall Aiwanger getroffen

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) trotz zahlreicher Vorwürfe in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten aktuell nicht entlassen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Sonntag in München. Zuvor hatte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet. Söder wollte sich noch am Vormittag offiziell bei einer Pressekonferenz äußern.

Aiwanger hatte zuletzt einen umfangreichen Fragenkatalog Söders zu den Vorwürfen schriftlich beantworten müssen. Danach traf Söder nun – wie angekündigt – seine Entscheidung. CSU und Freie Wähler haben bisher stets erklärt, ihre Koalition nach der Wahl fortsetzen zu wollen.

Gegen den Freie-Wähler-Chef waren seit einer Woche immer neue Vorwürfe laut geworden. Am Samstag vor einer Woche hatte er zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf erklärte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger erstmals öffentlich. In Bezug auf die Vorwürfe blieb er bei bisherigen Darstellungen - insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Auf X (ehemals Twitter) wies er zudem den Vorwurf, er habe Hitlers "Mein Kampf" in der Schultasche gehabt, als "Unsinn" zurück. Zu weiteren Vorwürfen äußerte er sich entweder nicht oder sagte, er könne diese aus seiner Erinnerung weder dementieren noch bestätigen.

Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei – was ihm sofort neue Vorwürfe etwa des Zentralrats der Juden einbrachte.

Dass Söder aktuell trotz alledem an Aiwanger festhält, dürfte insbesondere mit der unmittelbar bevorstehenden Landtagswahl am 8. Oktober zusammenhängen. Auch wenn CSU und Freie Wähler ihre Koalition fortsetzen wollen, hatte Söder zuletzt gesagt, Koalitionen hingen "nicht an einer einzigen Person". "Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso." Die Freien Wähler stehen jedoch fest zu ihrem Vorsitzenden. Bei Wahlkampfauftritten wird Aiwanger ungeachtet der Affäre teils kräftig gefeiert.

Update vom 03.09.2023, 8 Uhr: Pressekonferenz von Söder über Aiwanger - Heute gibt es eine Entscheidung

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will am Sonntagvormittag kurzfristig eine Pressekonferenz geben. Die Staatskanzlei lud für 11.00 Uhr dazu ein, "aus aktuellem Anlass", wie es in der Einladung hieß. Mit Spannung wird Söders Entscheidung erwartet, ob er seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wegen der Affäre rund um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten entlässt oder nicht.

Update vom 02.09.2023, 6.27 Uhr: Aiwanger beantwortet 25 Fragen - Söder muss entscheiden

Eine Woche nach Bekanntwerden der Vorwürfe um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten hat Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger dazu schriftlich Fragen beantwortet. Aiwangers Antworten wurden nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in München am Freitagabend übermittelt. Die Staatskanzlei bestätigte den Eingang. Nun ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Zug. Er muss entscheiden, ob er Aiwanger gut einen Monat vor der Landtagswahl am 8. Oktober entlässt. Zum Inhalt der Antworten war zunächst noch nichts bekannt. Auch die Fragen, die die Staatskanzlei an den Chef der Freien Wähler geschickt hatte, waren nicht veröffentlicht worden. Das müsse sich jetzt schnell ändern, fordert die oppositionelle FDP im Landtag.

"Die Bürgerinnen und Bürger Bayerns müssen sich selbst ein Bild darüber machen dürfen, was ihr stellvertretender Ministerpräsident zu den öffentlichen Anschuldigungen gegen ihn zu sagen hat", sagte der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Martin Hagen. Es solle kein exklusiver Briefwechsel zwischen CSU und Freien Wählern sein. "Transparenz ist hier ganz wichtig, damit das Vertrauen in die Staatsregierung keinen nachhaltigen Schaden nimmt. Deshalb erwarte ich, dass Ministerpräsident Söder die Fragen und Antworten zeitnah öffentlich zugänglich macht."

25 Fragen beantwortet: Söder muss jetzt entscheiden

Wann Söder eine Entscheidung zu Aiwanger bekanntgeben wird, ist bislang unklar. Sowohl Söder als auch Aiwanger wollen am Samstag länger geplante öffentliche Termine wahrnehmen.

Der Ministerpräsident hatte am Freitagmorgen den zeitlichen Druck auf Aiwanger erhöht, den Fragenkatalog vom Dienstag nun rasch zu beantworten. "Für mich ist wichtig, dass die 25 Fragen jetzt umfassend und glaubwürdig beantwortet werden, und zwar zeitnah. Und zeitnah heißt am besten noch heute, im Laufe des Tages", sagte Söder am Rande eines Termins, ohne eine förmliche Frist zu setzen.

Aiwanger verteidigte sich am Freitag erneut bei einem Volksfest-Auftritt in Niederbayern. "Jawohl, auch ich habe in meiner Jugend Scheiß' gemacht. Jawohl, ich habe auch Mist gemacht." Er finde es aber nicht in Ordnung, jemanden später in seinem Leben mit Dingen zu konfrontieren, die 35 bis 40 Jahre zurückliegen, "bis zu seiner beruflichen Existenzvernichtung". Es gebe viele Dinge, die man im Nachhinein nicht mehr machen würde. Aber man müsse einem Menschen auch zubilligen, im Leben gescheiter zu werden. Er sprach erneut von einer von langer Hand geplanten Schmutzkampagne gegen ihn, "vielleicht, um die Grünen in die Landesregierung zu bringen".

Aiwanger hatte bereits am Samstag schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten das antisemitische Flugblatt geschrieben zu haben, über das die "Süddeutsche Zeitung" in ihrer Ausgabe vom vergangenen Wochenende berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf sagte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Präsident des Zentralrats der Juden kritisiert Aiwangers Verhalten

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, kritisierte Aiwanger am Freitagabend im ZDF-"Heute Journal" für dessen Umgang mit der Affäre. Bezogen auf Aiwangers öffentliche Entschuldigung sagte Schuster, er finde es problematisch, "dass direkt in einem Atemzug mit dieser Entschuldigung wieder das Thema kommt, dass er das Ganze als eine Kampagne gegen sich sieht".

Auch Aiwangers Aussage in der "Welt" kritisierte Schuster scharf. Der Freie-Wähler-Chef hatte der Zeitung gesagt, dass in seinen Augen die Schoah, also der Völkermord an den europäischen Juden während der Nazi-Zeit, zu parteipolitischen Zwecken missbraucht werde. Dazu sagte Schuster: "Ich sehe es nicht so und was ich aus diesem Satz höre, ist das, was man aus einer Opfer-Täter-Umkehr versteht. Dass jetzt also versucht wird, die Opfer zu Tätern zu machen."

Das Problem sei nicht das Flugblatt, das im Raum stehe, auch wenn Aiwanger offensichtlich in einem seltsamen Umfeld aufgewachsen sei, sagte der Präsident des Zentralrats. "Aber es geht doch vielmehr darum, dass ich erwartet hätte, dass er sich sofort umfassend davon distanziert. Und es hat schon recht lange gedauert, bis er sich gestern Abend zu dieser Entschuldigung durchgerungen hat."

Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel stellte sich dagegen hinter Aiwanger. "Warum sollen junge Neonazis aus der rechtsextremistischen Szene aussteigen, wenn sie am Beispiel Hubert Aiwanger erleben, dass man auch 35 Jahre später noch für den Wahnsinn der eigenen Jugend öffentlich gebrandmarkt wird?", schrieb Gabriel am Freitag auf der Online-Plattform X, die bislang unter dem Namen Twitter bekannt war. Dann könnte man sich "die ganzen Aussteigerprogramme sparen."

Update vom 01.09.2023, 16.10 Uhr: Jubel für Aiwanger im Bierzelt - trotz des Flugblatt-Skandals

Als Hubert Aiwanger das Bierzelt betritt, werden Hubert! Hubert!-Rufe laut. Von Blasmusik begleitet geht der stellvertretende bayerische Ministerpräsident an voll besetzten Biertischen entlang, die Menschen strecken ihm die Hände entgegen, filmen, fotografieren und applaudieren begeistert. Der Freie-Wähler-Politiker steht seit einer Woche wegen eines antisemitischen Flugblatts aus seiner Schulzeit in den 1980er Jahren unter Druck. Zwar sagt er, nicht der Verfasser gewesen zu sein, jedoch gibt es weitere Vorwürfe. Aiwangers Anhänger lassen sich davon zumindest bei dessen Bierzelt-Auftritt in Niederbayern nicht beirren, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet.

Beim Karpfhamer Fest samt großer Landwirtschaftsschau hat der niederbayerische Landwirt Aiwanger in doppelter Hinsicht quasi ein Heimspiel. Als er an seinem Tisch angekommen ist, nimmt er einen Schluck Bier, steigt wenig später auf die Bank und winkt dem Publikum zu. Heiß und stickig ist es. Journalisten, Sicherheitsleute und Festbesucher drängen sich um den Politiker. Durchhalten!, ruft ihm ein Mann zu.

Danke für diesen wunderbaren Empfang, das tut mir gut, sagt Aiwanger dann am Rednerpult auf der Bühne. Er geht gleich in medias res: Jawohl, auch ich habe in meiner Jugend Scheiß' gemacht. Jawohl, ich habe auch Mist gemacht. Und weiter: Das Flugblatt war scheußlich, das ist nicht wegzudiskutieren.

Aiwanger hatte bereits vergangenen Samstag schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten das antisemitische Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er ein, es seien ein oder wenige Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf sagte Aiwangers älterer Bruder, er sei der Verfasser gewesen.

Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger dann erstmals öffentlich, was Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Freitag als überfällig bezeichnete. Gleichzeitig war Aiwanger aber auch zum Gegenangriff übergegangen und beklagte eine politische Kampagne gegen sich. Das wiederholte er auch beim Auftritt in Bad Griesbach (Landkreis Passau).

Es sei nicht in Ordnung, jemanden mit Dingen zu konfrontieren, die 35 bis 40 Jahre zurücklägen, bis zu seiner beruflichen Existenzvernichtung. Es gebe viele Dinge, die man im Nachhinein nicht mehr machen würde. Aber man müsse einem Menschen auch zubilligen, im Leben gescheiter zu werden. Es handele sich um eine von langer Hand geplante Schmutzkampagne gegen ihn, vielleicht, um die Grünen in die Landesregierung zu bringen.

Aiwanger tritt bei Karpfhamer Fest auf: Fans verteidigen ihn

Die Zuhörer im Festzelt in Bad Griesbach stehen jedenfalls in weiten Teilen hinter Aiwanger. Am Biertisch empören sie sich über die Journaille, die sich endlich zurückhalten möge. Nächste Woche schreiben sie dann, was er im Kindergarten alles gemacht hat, sagt ein Mann. Er ist denen einfach zu stark geworden. Jetzt soll er fertig gemacht werden. Der Mann glaubt nicht, dass die Affäre Aiwanger schade.

Als der Politiker nach seiner Rede das Bierzelt verlässt, gehen der Trubel und die Hubert-Rufe weiter. Draußen drängen sich Menschen um Aiwanger, bitten um Selfies, schütteln ihm die Hand. Als sich der 52-Jährige an einem Süßigkeiten-Stand eine Schokobanane kauft, ruft ein Besucher: Hubert, lass' Dich nicht verarschen! Weiter so! Und ein anderer analysiert: Wir haben einfach keine gute Presse.

Bundesregierung zu Aiwanger: Hier geht es um das Bild Bayerns

Die Bundesregierung hat unterdessen Sorge um das Ansehen Bayerns geäußert. Hier geht es inzwischen auch um das Bild, das der Freistaat Bayern in der Welt abgibt, sagte Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Freitag in Berlin. Die schwerwiegenden Vorwürfe gegen Aiwanger, die im Raum stünden, müssten aufgeklärt werden, bekräftigte Büchner im Namen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Büchner betonte: In Deutschland gibt es keinen Platz für Antisemitismus. Der Kampf gegen Antisemitismus in all seinen Formen sei eine zentrale Aufgabe des demokratischen Rechtsstaats. Für die Bundesregierung hat dieser Kampf höchste Priorität.

Lebensgefährtin Tanja Schweiger: Aiwanger sei über Vorwürfe wirklich erschüttert

Auch Aiwangers Lebensgefährtin Tanja Schweiger hat sich mittlerweile zum Flugblatt-Skandal geäußert: Ihr Partner sei über die Vorwürfe wirklich erschüttert. Der Freie-Wähler-Chef sei jemand, der integriert und nicht ausgrenzt, sagte die Landrätin des Landkreises Regensburg (ebenfalls Freie Wähler) am Freitag dem TV-Sender Welt. Sie bekomme in dem Zusammenhang E-Mails mit Unterstützung von wildfremden Leuten. Die sagen: Der soll durchhalten, wir setzen auf ihn, sagte Schweiger. Die Solidarität wird täglich größer.

Schweiger kritisierte zudem Bundeskanzler Scholz, der die Vorwürfe gegen Aiwanger als sehr bedrückend bezeichnet und Aufklärung gefordert hatte. Wenn man einen Bundeskanzler hat, der sich an Vorgänge vor sechs Jahren nicht mehr erinnern kann, wo er eigene Akten dazu hat, wo er aktiv im Handeln war, dann sollte genau derjenige vorsichtig sein, Dinge einzufordern, die 35 Jahre her sind, sagte Schweiger mit Blick auf Scholz' Äußerungen zu seiner Rolle im Steuerskandal bei der Hamburger Warburg-Bank. Mit dem Finger auf andere zu zeigen und selbst Lücken offen zu machen, zeigt natürlich auch, wo der Wind her weht.

Update vom 01.09.2023, 9.20 Uhr: Bamberger Kommunikations-Professor äußert sich zu Aiwanger-Auftritt

In der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten redet sich Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) nach Ansicht eines Kommunikationsexperten um Kopf und Kragen. Der Fränkische Tag hat mit Olaf Hoffjann, Professor für Strategische Kommunikation, gesprochen. Aiwanger sehe sich demnach ganz klar als Opfer einer unterstellten Hexenjagd. Das komplette Interview könnt ihr hier nachlesen (Plus).

Zu Aiwangers Aussagen vom Mittwoch, äußerte sich Olaf Hoffjann zudem in der phoenix Runde von ARD und ZDF (Donnerstag). Auf die Frage des Moderators, ob Aiwanger sich in seiner Kommunikationsstragegie klug verhalten habe antwortete Hoffjann in der Sendung am Donnerstag: Bis vorgestern hat er es eigentlich noch recht gut gemacht - gestern hat er sich um Kopf und Kragen geredet und heute hat er (...) einen erstaunlichen Fehler gemacht. 

Aiwanger habe zwei Krisenkommunikationsstrategien miteinander verbunden, die man nicht miteinander verbinden sollte: Er habe sich gleichzeitig entschuldigt und sei zum Angriff übergegangen. Beides gleichzeitig passt eigentlich nicht zusammen. Am Anfang einer Krise solle man sich laut dem Professor entscheiden, was man machen wolle - Aiwanger habe sich damals für den Angriff entschieden und sich in der Opferrolle gesehen.

Bis vorgestern hätte er geglaubt, dass das gutgehen könne. Söder hat ihm sehr viele Brücken gebaut. Er bezeichnete die Pressekonferenz von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als hohe politische Kunst. Es sei Söder dort gelungen das Heft des Handelns wieder in die Hand zu nehmen. Er habe sich dort als starker Mann präsentiert, der seinem Stellvertreter 25 Fragen mitgibt, wie so ein Lehrer einem unartigem Schüler. Über Aiwangers Auftritt zieht er jedoch das Fazit: wie er jetzt mit der Krise umgeht, das kann erst recht gefährlich für ihn werden.

Aiwanger hatte schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien ein oder wenige Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Aiwanger sehe sich als Opfer, gehe zum Gegenangriff über. Er leugnet, relativiert, zeigt keinerlei wirkliche Demut, keine Distanzierung. Die Entschuldigung am Donnerstag habe die Situation nicht besser gemacht, sondern zeige lediglich, wie sehr sich Aiwanger unter Druck gesetzt sieht. Der späte Zeitpunkt mache die Entschuldigung unglaubwürdig.

Mit Blick auf die Landtagswahlen am 8. Oktober sagte Hoffjann, sollte Aiwanger Spitzenmann der Freien Wähler bleiben, könnte die Partei gar gestärkt aus der Sache hervorgehen. Aiwanger agiere populistisch und habe etwas vom Charakter eines Donald Trump. Das könnten eingefleischte Aiwanger-Anhänger womöglich sogar gut finden.

Das Verhalten von Söder in der Flugblatt-Affäre bezeichnet der Professor als extrem geschickt. Der habe seinem Vize 25 Fragen aufgebrummt und damit klar gemacht, wer hier der Koch und wer der Kellner ist, und sich zugleich Luft verschafft. Damit habe sich Söder alle Optionen offen gehalten.

Der Kommunikationsexperten hält es nicht für ausgeschlossen, dass Aiwanger über die Affäre stolpern könnte. Ganz selten ist das eigentliche Vergehen die Ursache für Entlassung oder Rücktritt. Fast immer ist der Umgang mit der Krise der Grund dafür.

Update vom 31.08.2023, 20 Uhr: Aiwanger bittet um Entschuldigung - und beklagt politische Kampagne

Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger hat sich in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten erstmals öffentlich entschuldigt. In Bezug auf die Vorwürfe blieb der Freie-Wähler-Chef bei einem kurzen Pressestatement am Donnerstag bei bisherigen Darstellungen - insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Gleichzeitig ging er zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei. Ihm schlug deshalb schon kurz darauf wieder neue Kritik entgegen.

Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe, sagte Aiwanger. Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit. Von einem möglichen Rücktritt war keine Rede.

Bei den zahlreichen Vorwürfen gegen ihn gehe es um ein abscheuliches Pamphlet, das vor 36 Jahren in seiner Schultasche gefunden worden sei. Und es sind Aussagen aufgetaucht, die den Eindruck vermitteln, ich wäre als Jugendlicher auf einen menschenfeindlichen Weg geraten. Aiwanger sagte: Ich habe als Jugendlicher auch Fehler gemacht. Die Vorwürfe lägen 36 Jahre zurück. Er habe das Pamphlet nicht verfasst und distanziere sich in jeder Form von dem ekelhaften Inhalt.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben. Ich habe keine Hitlerreden vor dem Spiegel einstudiert, sagte er. Weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze könne er aus der Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen. Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form.

Aiwanger sagte aber auch: Es ist jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden. Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden. Von ihm sei in den vergangenen Tagen ein negatives Bild gezeichnet worden. Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger, sagte der 52-Jährige. In der Welt ging Aiwanger noch weiter: In meinen Augen wird hier die Schoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht, sagte er. Der Süddeutschen Zeitung, die als erstes über Vorwürfe gegen ihn berichtet hatte, warf er vor, ihn politisch vernichten zu wollen.

Aiwanger hatte bereits am Samstag schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung in ihrer Wochenendausgabe berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien ein oder wenige Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Ehemalige Mitschülerin erhebt schwere Vorwürfe gegen Aiwanger

Seither waren zahlreiche weitere Vorwürfe laut geworden, etwa dass er ab und zu den Hitlergruß gezeigt habe. Im Online-Netzwerk X (früher Twitter) schrieb Aiwanger am späten Mittwochabend dann: Es wird immer absurder. Eine andere Person behauptet, ich hätte 'Mein Kampf' in der Schultasche gehabt. Wer lässt sich solchen Unsinn einfallen!? Die Süddeutsche Zeitung hatte zuvor eine nicht namentlich genannte frühere Mitschülerin Aiwangers zitiert, dieser habe oft Adolf Hitlers Mein Kampf in der Schultasche mit sich geführt. Sie könne dies bestätigen, weil sie das Buch selbst in der Hand gehalten habe.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder(CSU) hat seinem Vize einen Katalog mit 25 Fragen zum Thema zur schriftlichen Beantwortung vorgelegt. Aiwangers Sprecher sagte, diese würden nun zeitnah beantwortet. Auf Antrag von SPD, Grünen und FDP wird es zudem am 7. September eine Sondersitzung zu der Flugblatt-Affäre im bayerischen Landtag geben.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte der Bild: Die Entschuldigung von Hubert Aiwanger bei den Opfern und Hinterbliebenen der Schoah war ein guter, wenn auch längst überfälliger Schritt. Schuster sagte weiter: Bedauerlicherweise verbindet er dies mit einer Klage über eine politische Motivation der Vorwürfe und lässt weiterhin den Willen zu offener Aufklärung vermissen. Es bleibt abzuwarten, ob die Beantwortung der Fragen der Staatskanzlei die immer noch ausstehende Klarheit bringen.

Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang sagte auf einem Volksfest in Nürnberg, Bürgerinnen und Bürger hätten ein Recht auf eine Landesregierung mit Anstand. Dazu gehöre, dass man sich ehrlich entschuldigt, dass man alle Informationen auf den Tisch legt und dass dann auch Konsequenzen daraus gezogen werden. Das vermisse sie bisher - beim stellvertretenden Ministerpräsidenten, aber ehrlicherweise auch beim Ministerpräsidenten, sagte Lang.

Grünen-Landtagsfraktionschef Ludwig Hartmann sagte nach Aiwangers Erklärung: Die Menschen in Bayern warten seit Tagen, dass sich Hubert Aiwanger angemessen zu den schwerwiegenden Vorwürfen erklärt. Eine Entschuldigung bei den Opfern des NS-Regimes und ihren Nachfahren war überfällig. Ausreichend ist die heutige Stellungnahme in meinen Augen nicht, zu viele Fragen bleiben offen.

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestags-SPD, Katja Mast, sagte, Aiwangers kurze Erklärung komme sehr spät und sei in Wirklichkeit keine. Erst bekundet Aiwanger Reue, dann stellt er sich doch wieder als Opfer dar, kritisierte Mast.

Update vom 31.08.2023, 16.50 Uhr: Aiwanger gibt neues Statement zum Flugblatt-Skandal ab

Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger hat sich am Donnerstagnachmittag (31. August 2023) überraschend in einer öffentlichen Pressekonferenz zu den aktuellen Vorwürfen gegen ihn geäußert. Um 16.30 Uhr trat er für ein Statement vor die Kameras, dieses fiel aber sehr kurz aus, Fragen waren dabei nicht erlaubt.

Bei der Konferenz ging es erneut um die Debatte um das antisemitische Flugblatt, das zu Aiwangers Schulzeit bei ihm gefunden wude. Der Chef der Freien Wähler bezeichnete dieses als abscheuliches Pamphlet. In den vergangenen Tagen hatte Aiwanger bereits erklärt, dass hinter dem Flugblatt eigentlich sein älterer Bruder stecke. Es sei aber der Eindruck entstanden, dass ich in der Jugend einen menschenfeindlichen Weg eingeschlagen habe, sagte Aiwanger nun. Ich habe in meiner Jugend Fehler gemacht. Es bereue es zutiefst, sollte er mit dem Flugblatt Gefühle verletzt haben. Mit dieser Entschuldigung richte er sich vor allem an die Opfer des NS-Regimes.

Zudem betonte Aiwanger: Ich habe das Pamphlet nicht verfasst und distanziere mich in jeglicher Form von dem ekligen Inhalt. Er wehrte sich zudem gegen die Anschuldigungen, in seiner Jugend den Hitlergruß gezeigt zu haben oder Hitlerreden vor dem Spiegel geübt zu haben. Er sagte aber auch, dass er sich nicht daran erinnern könne, in der Vergangenheit sonstige menschenfeindliche Aussagen gemacht zu haben und könne dies daher nicht komplett ausschließen.

Aiwanger sieht sich als Opfer einer politischen Kampagne

Er habe nun aber den Eindruck, politisch und persönlich fertig gemacht zu werden. Er sehe sich als Ziel einer politischen Kampagne. Es ist jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden, sagte Aiwanger. Es ist ein negatives Bild von mir in den letzten Tagen gezeichnet worden. Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger.

Aiwanger hatte am Samstag schriftlich zurückgewiesen, als Schüler in den 1980er ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien ein oder wenige Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der zusammen mit den Freien Wählern regiert, hatte Aiwanger am Dienstag aufgefordert, 25 Fragen zu den Vorwürfen zeitnah schriftlich zu beantworten. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. (red/dpa)

Update vom 31.08.2023, 9.45 Uhr: Mein Kampf in der Schultasche? Aiwanger wehrt sich bei Twitter

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger steht weiterhin wegen eines antisemitischen Flugblattes in der Kritik. Dieses soll er als Schüler des Burkhart-Gymnasium Mallersdorf-Pfaffenberg verfasst haben. Ehemalige Klassenkameraden erheben jedoch immer mehr Vorwürfe gegen den Chef der Freien Wähler aufgrund seiner mutmaßlich rechtsextremen Gesinnung damals.

Zunächst soll sich ein Mitschüler an Judenwitze und Hitler-Imitationen erinnert haben, wie der Mann selbst dem Bayerischen Rundfunk schilderte. Nun meldete sich eine weitere Klassenkameradin Aiwangers gegenüber der Süddeutschen Zeitung zu Wort. Auch sie berichtet von radikalen Witzen, die der Politiker in seiner Gymnasialzeit gerissen haben soll. Er erzählte oft und gerne Witze über Auschwitz und Juden, sagte die Frau, deren Name nicht genannt wurde, gegenüber der Zeitung.

Laut der damaligen Mitschülerin ging die angebliche Faszination des 17-jährigen Aiwangers für Hitler noch weiter. In der Schultasche soll er auch öfter Hitlers Buch Mein Kampf dabei gehabt haben, wie sie sich erinnert. Sie könne das bestätigen, da sie das Buch selbst in der Hand gehalten habe. Außerdem meinte die damalige Mitschülerin, dass Aiwangers rechtextreme Gesinnung allgemein bekannt gewesen sei.

Der Minister reagierte prompt auf die neuen Vorwürfe. Auf Aiwangers Account im Online-Netzwerk X (früher Twitter) wurde am späten Mittwochabend folgende Nachricht veröffentlicht: Es wird immer absurder. Eine andere Person behauptet, ich hätte Mein Kampf in der Schultasche gehabt. Wer lässt sich solchen Unsinn einfallen!? In aller Regel verfasst der Freie-Wähler-Chef sämtliche Posts selbst. Ob das auch diesmal der Fall war, dafür gab es zunächst keine Bestätigung. 

Update vom 30.08.2023, 20 Uhr: Aiwanger äußert sich zum Flugblatt-Skandal

In der Affäre um ein altes antisemitisches Flugblatt und nach weiteren Vorwürfen zu seiner Schulzeit hat sich Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger öffentlich zur Wehr gesetzt.

Es ist auf alle Fälle so, dass vielleicht in der Jugendzeit das eine oder andere so oder so interpretiert werden kann, was als 15-Jähriger hier mir vorgeworfen wird, sagte der Freie-Wähler-Chef am Mittwoch am Rande eines Termins in Donauwörth dem Sender Welt TV im Beisein auch anderer Journalisten. Aber auf alle Fälle, ich sag' seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund, betonte der 52-Jährige. Er könne für die letzten Jahrzehnte alle Hände ins Feuer legen. Was aus Jugendzeiten nun diskutiert werde, wundere ihn etwas.

Söder forderte Beantwortung von 25 Fragen

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte Aiwanger zuvor aufgefordert, die ihm gestellten 25 Fragen rasch, umfassend und zweifelsfrei zu beantworten, auch zu neuen Vorwürfen. Die Spitzen der Berliner Ampel-Koalition, Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), verlangten ebenfalls Aufklärung - und gegebenenfalls Konsequenzen. Die Freien Wähler in Bayern stellten sich dagegen geschlossen hinter Aiwanger und beklagten eine Schmutzkampagne.

Die neuen Vorwürfe stammen von einem ehemaligen Mitschüler Aiwangers: Aiwanger soll in den 1980er Jahren beim Betreten des schon besetzten Klassenzimmers ab und zu einen Hitlergruß gezeigt haben, wie der Mann dem ARD-Magazin Report München sagte, demnach ein Mitschüler von der 7. bis 9. Klasse. Zudem habe Aiwanger sehr oft diese Hitler-Ansprachen nachgemacht in diesem Hitler-Slang. Auch judenfeindliche Witze seien definitiv gefallen. Welche starke Gesinnung dahinter gesteckt habe, dazu sagte er: Keine Ahnung.

Der Bild (Donnerstag) sagte Aiwanger zum Vorwurf, den Hitlergruß gezeigt zu haben: Mir ist nicht im Entferntesten erinnerlich, dass ich so etwas gemacht haben soll. Auf Aiwangers Profil auf X (ehemals Twitter) gab es indes erstmals seit Tagen einen neuen Eintrag: #Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los. #Aiwanger.

Entscheidung soll wenige Wochen vor Landtagswahl fallen

Söder wartet nun auf Aiwangers schriftliche Antworten auf die 25 Fragen. Anschließend will er eine abschließende Bewertung vornehmen. Heißt: Dann wird er voraussichtlich ganz konkret entscheiden müssen, ob er Aiwanger entlässt oder nicht, und das keine sechs Wochen vor der Landtagswahl. Dabei steckt er in einem fast ausweglosen Dilemma: Im Falle einer Entlassung Aiwangers könnten die Freien Wähler bei der Landtagswahl massiv profitieren - so jedenfalls die große Sorge der CSU. Andererseits könnten Söder und die CSU am Ende in Mithaftung genommen werden, wenn er trotz allem weiter an Aiwanger festhält.

Aiwanger hatte am Samstag schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien ein oder wenige Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Alle Fragen müssen zweifelsfrei geklärt werden. Da darf kein Verdacht übrig bleiben, sagte Söder am Mittwoch. Aiwanger habe nun die Gelegenheit, sich vernünftig, fair und umfassend zu äußern. Dazu sollen wir eine zeitnahe und maximal transparente Antwort auch erhalten, so dass wir dann auch eine glaubwürdige Diskussion darüber führen können, wie wir das bewerten. Am Dienstag hatte Söder gesagt: Bis zur abschließenden Klärung, solange kein neuer Beweis vorliegt oder bisher Gesagtes komplett widerlegt werden kann, wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers ein Übermaß. Er fügte aber hinzu: Das heißt, es darf jetzt auch nichts mehr dazukommen.

Scholz äußert sich ebenfalls - und fordert Aufklärung

Bundeskanzler Scholz sagte bei der Kabinettsklausur in Meseberg bei Berlin: Alles das, was bisher bekannt geworden ist, ist sehr bedrückend. Und deshalb ist für mich sehr klar, dass alles aufgeklärt werden muss. Wenn das geschehen sei und nichts vertuscht werde, müssten notwendige Konsequenzen daraus gezogen werden.

Habeck sagte in Meseberg, er finde Aiwangers Umgang mit den Berichten unaufrichtig. Er habe jüngst in verschiedenen Reden offensichtlich eine Sprache des rechten Populismus benutzt. Es sei eine Frage an Söder, ob er mit einem Kollegen, der so agiere, weiter zusammenarbeiten wolle. Ich finde es schwer vorstellbar. Und auch Lindner sagte: Der Umgang und die Aufklärungsbereitschaft sind in meinen Augen bislang nicht glaubwürdig. Es müsse dringend Klarheit geschaffen werden mit den dann gegebenenfalls nötigen Konsequenzen.

Aiwanger sagte über Rückmeldungen, die er aktuell bekomme: Ich habe sehr, sehr überwiegend die Aussage, dass hier eine Schmutzkampagne gefahren wird und dass ich hier politisch und auch persönlich zerstört werden soll. Die meisten sagten: Das kann doch nicht sein, dass man mit Dingen konfrontiert wird, die so lange her sind.

Partei steht hinter Parteichef

Die Freien Wähler in Bayern stehen geschlossen hinter Aiwanger. Das betonten mehrere Mitglieder des Partei- und Fraktionsvorstands am Mittwoch nach gemeinsamen Beratungen im Landtag in München. Und das werden wir auch weiter tun, sagte Generalsekretärin Susann Enders. Fraktionschef Florian Streibl sagte: Wir sind mit ihm solidarisch. Es werde nun werde das Schicksal von Millionen Juden dazu instrumentalisiert, einen Politiker fertigzumachen, kritisierte er.

Streibl fügte in Reaktion auf Äußerungen Söders vom Dienstag hinzu: Eine Botschaft müssen wir senden: Eine Koalition in Zukunft wird es auch nur mit Hubert Aiwanger geben. Auf Spekulationen, Aiwanger könnte in einer Art Rochade aus dem Ministeramt an die Spitze der Freie-Wähler-Fraktion wechseln, ging Streibl nicht ein. Aiwanger wird immer irgendwie dabei sein. (...) Ohne wird's nicht gehen.

Söder hatte am Dienstag gesagt, er wolle die Koalition fortsetzen. Koalitionen hingen aber nicht an einer einzigen Person, sagte Söder. Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso.

Bisher gilt die Unschuldsvermutung

Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern machte deutlich, dass er keine Grundlage für Söder sieht, Aiwanger zu entlassen. Explizit ist hier nichts bewiesen. Was nicht bewiesen sei, sei nicht justiziabel. Es gelte die Unschuldsvermutung.

Update vom 30.08.2023, 11 Uhr: Neuer Post auf Aiwangers X-Profil aufgetaucht

Erstmals seit vier Tagen gibt es auf dem Profil von Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger auf X (ehemals Twitter) einen neuen Eintrag: #Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los. #Aiwanger, stand dort am Mittwoch zu lesen. In aller Regel verfasst der Freie-Wähler-Chef sämtliche Posts selbst. Ob das auch diesmal der Fall war, dafür gab es zunächst keine Bestätigung.

Aiwanger (52) hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien ein oder wenige Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat Aiwanger aufgefordert, alle im Raum stehenden Vorwürfe betreffend dessen Schulzeit schnell und umfassend zu klären. Alle Fragen müssen zweifelsfrei geklärt werden. Da darf kein Verdacht übrig bleiben, sagte Söder am Mittwoch am Rande eines Termins im oberbayerischen Beilngries. Das gelte für Fragen, die es seit dem Wochenende gebe, und auch für neue Fragen und Vorwürfe, die inzwischen dazugekommen seien, erklärte der CSU-Vorsitzende.

Dies müsse aber in einem fairen Verfahren stattfinden, betonte Söder. Deshalb habe der Freie-Wähler-Chef nun die Gelegenheit, sich zu äußern, und zwar vernünftig, fair, und aber auch umfassend. 25 Fragen habe man ihm übermittelt. Dazu sollen wir eine zeitnahe und maximal transparente Antwort auch erhalten, so dass wir dann auch eine glaubwürdige Diskussion darüber führen können, wie wir das bewerten, betonte Söder. Wir hoffen sehr, dass das am Ende endlich gelingen kann, diese Sachen zweifelsfrei zu klären. Denn eines ist klar: Solche Vorwürfe dürfen nicht weiter im Raum stehen.

Aiwangers Aussagen im Koalitionsausschuss am Dienstag reichten für eine abschließende Klärung definitiv nicht aus, hatte Söder am Dienstag gesagt. Es dürften keine Restzweifel bleiben. Er machte aber auch deutlich, dass er mindestens vorerst an Aiwanger festhält: Bis zur abschließenden Klärung, solange kein neuer Beweis vorliegt oder bisher Gesagtes komplett widerlegt werden kann, wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers ein Übermaß. Er fügte hinzu: Das heißt, es darf jetzt auch nichts mehr dazukommen.

Update vom 30.08.2023, 7.50 Uhr: Ex-Mitschüler von Aiwanger erhebt neue Vorwürfe

Die Affäre rund um ein antisemitisches Flugblatt wird für den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger wohl immer brenzliger. Zwar hat der Chef der Freien Wähler von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) noch einmal Aufschub bekommen - er soll 25 Fragen beantwprten und die Anschuldigungen klären. Doch nun hat ein ehemaliger Mitschüler des Politikers, Mario Bauer, weitere Vorwürfe erhoben.

Der damalige Gymnasiast hat sich in der BR-Sendung report München zu der gemeinsamen Schulzeit im Burkhart-Gymnasium Mallersdorf-Pfaffenberg geäußert. Er besuchte drei Jahre lang diesselbe Klasse wie Hubert Aiwanger - und dieser soll dabei wiederholt negativ mit rechtslastigen Äußerungen aufgefallen sein.

So habe Aiwanger beim Betreten des vollen Klassenzimmers ab und an einen Hitlergruß gezeigt, wie sich Bauer erinnert. Auch habe der damals 17-jährige Politiker öfter mit Hitler-Imitationen auffallen wollen und KZ- sowie Judenwitze erzählt. Er und viele weitere damalige Mitschüler hätten Aiwanger zu der Zeit als Spinner abgetan, wie er gegenüber dem BR sagt. Auch eine Nähe zur Nazi-Ideologie wollte er ihm nicht unterstellen: Welche starke Gesinnung dahinter gesteckt hat? Keine Ahnung, das kann man schwer sagen.

Die Freien Wähler wehrten sich laut dem BR vehement gegen die Anschuldigungen. Die Partei wehrt sich gegen alle Diffamierungsversuche und Spekulationen zur Person Hubert Aiwanger, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber dem Sender. Der Landesverband der Freien Wähler Bayern, der Vorstand der Freien Wähler Landtagsfraktion sowie alle Kabinettsmitglieder der Freien Wähler stehen geschlossen hinter Hubert Aiwanger.

Update vom 29.08.2023, 12.30 Uhr: Söder erhöht Druck - Aiwanger soll 25 Fragen beantworten

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erhöht in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt den Druck auf seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger. Der Freie-Wähler-Chef solle einen Katalog mit 25 Fragen schriftlich beantworten, sagte Söder nach Beratungen im Koalitionsausschuss am Dienstag in München. Aiwanger habe zugesagt, die Fragen zu beantworten.

Erst danach könne man den Fall abschließend bewerten, sagte Söder. Eine Entlassung aus dem Amt des Wirtschaftsministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten wäre zum jetzigen Zeitpunkt ein Übermaß, so der CSU-Chef. Eine Frist zur Beantwortung der Fragen nannte er zunächst nicht.

Söder hatte am Dienstag eine Sondersitzung des Gremiums einberufen, Aiwanger sollte dort persönlich Stellung nehmen zu den Vorwürfen. Der 52-Jährige hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte.

Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien ein oder wenige Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Später sagte er, er glaube, dass sein Bruder Hubert die Fluglätter wieder habe einsammeln wollen. Söder reichen diese Erklärungen aber bislang nicht aus.

In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte bislang stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten bis zuletzt auch fast keinen Zweifel daran gelassen, dass dies möglich sein wird - wobei die Freien Wähler zuletzt bei 11 bis 14 Prozent lagen. Die CSU regiert im Freistaat seit 2018 zusammen mit den Freien Wählern.

Die Landtags-CSU wollte die Koalition auch am Dienstag grundsätzlich fortsetzen. Ein schwarz-grünes Bündnis wurde bei Online-Beratungen des erweiterten CSU-Fraktionsvorstandes am Dienstagfrüh ausgeschlossen, wie die Deutsche Presse-Agentur von Teilnehmern erfuhr. Allerdings gab es in der Runde demnach ebenfalls den Ruf nach weiterer Aufklärung.

Update vom 29.08.2023, 11 Uhr: Flugblatt-Skandal um Aiwanger - Erwartungen an Söder

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sieht Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) in der Pflicht, den Flugblatt-Skandal um seinen Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger konsequent und mit aller Sorgfalt aufzuarbeiten. Wir sind in Deutschland. Und wenn wir über Antisemitismus sprechen, dann ist hier allerhöchste Aufmerksamkeit geboten und niemand sollte ein taktisches Verhältnis dazu haben, sagte Kühnert am Dienstag im Radiosender Bayern2. Er werbe dafür, den Vorfall unabhängig vom Wahlkampf zu betrachten.

Mit Blick auf CSU-Chef Markus Söder sagte Kühnert: Er hat in Bezug auf die Ampel-Koalition beispielsweise den Rücktritt von Robert Habeck wegen der missglückten Gasumlage, den Rücktritt von Christine Lambrecht wegen eines Silvester-Videos gefordert. Jetzt sei schon die Frage, ob ein Vorgang in seiner Landesregierung, der es bis in die israelischen und internationalen Medien geschafft habe, bei dem der Antisemitismusbeauftragte Aufklärung fordere - ob das einer ist, den er im Sinne einer Salamitaktik so laufen lassen kann. Ich glaube nicht.

Freie-Wähler-Chef Aiwanger hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien ein oder wenige Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Söder reichen diese Erklärung aber bislang noch nicht aus. Er hat für Dienstagvormittag (29. August 2023) eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen. Einen Tag vor dem Termin hatte sich Aiwanger noch gut gelaunt beim Handwerkertag auf der Michaelismesse im unterfränkischen Miltenberg gezeigt, auch Söder besuchte die Veranstaltung. Die beiden Politiker kamen laut Angaben der dpa aber zeitversetzt dort an.

Die Grünen-Fraktionschefin im bayerischen Landtag, Katharina Schulze, forderte eine klare Positionierung Söders in der Sache. Er trägt als Ministerpräsident die Verantwortung für sein Kabinett und auch für seinen Vizeministerpräsidenten, sagte sie im Deutschlandfunk.

Doch auch nach den jüngsten Vorwürfen gegen Aiwanger will die Landtags-CSU die Koalition mit den Freien Wählern grundsätzlich fortsetzen. Ein schwarz-grünes Bündnis wurde bei Online-Beratungen des erweiterten CSU-Fraktionsvorstandes am Dienstagfrüh ausgeschlossen, wie die Deutschen Presse-Agentur von Teilnehmern erfuhr.

Allerdings gab es in der Runde demnach den Ruf nach weiterer Aufklärung. Aiwanger müsse offene Fragen zum Flugblatt klären - das sei einhellige Meinung gewesen. Auch die Freien Wähler müssten klären, wie sie weiter mit der Situation und mit ihrem Vorsitzenden umgehen, hieß es.

Update vom 29.08.2023, 7.50 Uhr: Wollte sie einsammeln - Aiwanger-Bruder mit neuen Details

Nach Aussage des Bruders von Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger könnte ein antisemitisches Flugblatt zu Schulzeiten in dessen Ranzen gefunden worden sein, weil er es wieder einsammeln wollte. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, sagte der Bruder den Zeitungen der Mediengruppe Bayern am Montag (28. August 2023). Aber ich glaube, dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren.

Mitten im Wahlkampf vor der Landtagswahl hatte Freie-Wähler-Chef Aiwanger am Samstag schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren das Flugblatt verfasst zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte. Wenig später räumte Aiwangers Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Am Montag sagte der Bruder, er habe mit dem Flugblatt seine Lehrer provozieren wollen. Ich habe das Schriftstück nicht erstellt, um Nazis zu verherrlichen, den Holocaust zu leugnen oder Hass und Gewalt zu schüren, sagte er der Mediengruppe Bayern. Er sprach stattdessen von einer stark überspitzen Form der Satire und einer Jugendsünde. Ich schäme mich für diese Tat und bitte vor allem meinen Bruder um Verzeihung für die damals verursachten Schwierigkeiten, die auch noch nach 35 Jahren nachwirken.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat wegen der Vorwürfe eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses am Dienstag einberufen, in der sich Hubert Aiwanger erklären soll. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und weitere Politiker fordern Aufklärung in dem Skandal. Die Opposition fordert hingegen klar Aiwangers Rücktritt. 

Update vom 28.08.2023, 11.30 Uhr: Aiwanger soll sich persönlich und umfassend erklären

Nach den Erklärungen seines Stellvertreters Hubert Aiwanger zu einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen. Söder habe die Freien Wähler für Dienstagvormittag (29. August 2023) zu der Sitzung einbestellt, teilte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Montag (28. August 2023) der Deutschen Presse-Agentur in München mit.

Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten, sagte Herrmann. Wir erwarten, dass dies zeitnah geschieht. Die Vorwürfe sind zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt. Aiwanger müsse sich über die schriftliche Stellungnahme hinaus persönlich und umfassend erklären. Es geht um das Ansehen Bayerns, mahnte der enge Vertraute Söders.

Freie-Wähler-Chef Aiwanger (52) hatte am Samstagabend (26. August 2023) schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtet hatte. Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend, hieß es in einer Erklärung Aiwangers.

Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien ein oder wenige Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers ein Jahr älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben: Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war.

Söder, der Aiwanger am Samstag (26. August 2023) zu einer raschen Aufklärung gedrängt hatte, hat sich seither nicht mehr zu dessen Erklärungen geäußert.

Die Landtags-Opposition hatte den Druck auf Söder deshalb massiv erhöht. Grüne, SPD und FDP forderten eine umgehende Stellungnahme von ihm. In Abhängigkeit davon wollen sie gegebenenfalls über einen möglichen Antrag auf eine Sondersitzung im Landtag entscheiden. Die SPD hatte sich als erstes für eine Sondersitzung ausgesprochen, sie hält den Rücktritt oder die Entlassung Aiwangers für unausweichlich.

In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten bis zuletzt fast keinen Zweifel daran gelassen, dass dies auch möglich sein wird - wobei die Freien Wähler zuletzt bei 11 bis 14 Prozent lagen. Die CSU regiert im Freistaat seit der Wahl 2018 zusammen mit den Freien Wählern.

Update vom 27.08.2023, 16.30 Uhr: Grüne fordern Söder-Aussage zu Aiwanger - SPD: Rücktritt nötig

Es gibt noch viele offene Fragen und Erinnerungslücken. Die müssen geklärt und geschlossen werden, sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in München. Denn dieses Dokument ist menschenverachtend und verhöhnt die Opfer des Holocaust. Warum hatte Hubert Aiwanger das Flugblatt denn in der Schultasche? Das hat er ja nun nicht mehr abgestritten. Jetzt sei Söder am Zug. Ich möchte von Markus Söder wissen, ob ihm die Erklärungen Hubert Aiwangers ausreichen, um die Zusammenarbeit fortzusetzen. Da kann er jetzt nicht auf Tauchstation gehen.

SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sagte, das Flugblatt sei keine Jugendsünde. Es ist es für mich unvorstellbar, dass Markus Söder weiter mit jemandem kooperiert und koaliert, der den Besitz bestätigt und die Verbreitung nicht leugnen kann. Er fügte hinzu: Jeder weitere Tag als Stellvertreter von Markus Söder und als Wirtschaftsminister vergrößert diesen Schaden, so dass alles andere als ein Rücktritt oder eine Entlassung im Interesse der bayerischen Bevölkerung und der Erinnerungskultur nur schwer vorstellbar ist. Deswegen sei eine rasche Sondersitzung im Landtag notwendig.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), Charlotte Knobloch, hat sich nach dem Wirbel um Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger um ein antisemitisches Pamphlet entsetzt gezeigt. Im Tonfall erinnere sie das Flugblatt an die übelsten Hetzschriften der NS-Zeit, teilte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland am Sonntag mit. Die Debatte der letzten Tage hat viel Vertrauen zerstört, das jetzt mühsam wiederhergestellt werden muss. Die aktuelle Episode müsse ein Weckruf sein, eine demokratische Bildung in Kenntnis der Geschichte zu fördern.

Update vom 26.08.2023, 19 Uhr: Aiwangers Bruder hat Flugblatt verfasst

Ich bin der Verfasser des in der Presse wiedergegebenen Flugblattes, heißt es in einer persönlichen Erklärung des Bruders, die ein Freie-Wähler-Sprecher am Samstagabend weiterleitete.

Ich distanziere mich in jeder Hinsicht von dem unsäglichen Inhalt und bedauere sehr die Folgen dieses Tuns. Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war. Ich war damals noch minderjährig. Zuvor hatte die Mediengruppe Bayern über das Eingeständnis des ein Jahr älteren Bruders berichtet.

Update vom 26.08.2023, 18 Uhr: Aiwanger weist Vorwürfe zurück - Flugblatt habe jemand anderes verfasst

Mitten im bayerischen Landtagswahlkampf hat sich Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger gegen Vorwürfe im Zusammenhang mit einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten zur Wehr gesetzt. Nach Aufklärungs-Aufforderungen unter anderem von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und auch aus der Bundesregierung teilte der Freie-Wähler-Chef am Samstagabend in einer schriftlichen Erklärung mit: Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend. Er fügte hinzu: Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären. Weder damals noch heute war und sei es seine Art gewesen, andere Menschen zu verpfeifen, erklärte Aiwanger.

Die Süddeutsche Zeitung hatte über das Flugblatt berichtet, das vor mehr als 30 Jahren aufgetaucht sein soll. Aiwanger ist heute 52 Jahre alt. Über einen Sprecher hatte der Freie-Wähler-Chef der SZ bereits mitgeteilt, er habe so etwas nicht produziert und werde gegen diese Schmutzkampagne bei Veröffentlichung rechtlich vorgehen.

Bei mir als damals minderjährigen Schüler wurden ein oder wenige Exemplare in meiner Schultasche gefunden, erklärte Aiwanger nun zu dem Flugblatt. Daraufhin wurde ich zum Direktor einbestellt. Mir wurde mit der Polizei gedroht, wenn ich den Sachverhalt nicht aufkläre. Seine Eltern seien in den Sachverhalt nicht eingebunden gewesen. Als Ausweg sei ihm angeboten worden, ein Referat zu halten. Dies ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache für die Schule erledigt. Aiwanger fügte hinzu: Ob ich eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben habe, ist mir heute nicht mehr erinnerlich. Auch nach 35 Jahren distanziere ich mich vollends von dem Papier.

Söder hatte von seinem Koalitionspartner Aufklärung gefordert. Diese Vorwürfe müssen jetzt einfach geklärt werden. Sie müssen ausgeräumt werden und zwar vollständig, sagte Söder am Samstag am Rande eines Volksfest-Termins in Augsburg.

In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen.

Vorherige Berichterstattung: Aiwanger soll antisemitisches Flugblatt verfasst haben

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger aufgefordert, Vorwürfe gegen ihn wegen eines antisemitischen Flugblatts aus Schulzeiten umgehend aufzuklären.

Diese Vorwürfe müssen jetzt einfach geklärt werden. Sie müssen ausgeräumt werden, und zwar vollständig, sagte Söder am Samstag am Rande eines Termins in Augsburg. Die Süddeutsche Zeitung hatte über das Flugblatt berichtet. Über einen Sprecher teilte der Freie-Wähler-Chef der SZ mit, er habe so etwas nicht produziert und werde gegen diese Schmutzkampagne im Falle einer Veröffentlichung rechtlich vorgehen. Zu dem von der SZ berichteten Flugblatt sagte Söder: Es sind schlimme Vorwürfe im Raum. Dieses Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig.

Auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur reagierte Aiwanger bis Samstagmittag nicht. Ein Sprecher der Freien Wähler sagte, Aiwanger und die Freien Wähler kommentierten diesen Vorgang vorerst nicht. Aiwanger sollte ursprünglich auch zu dem Termin auf einem Volksfest in Augsburg kommen. Er war aber nicht erschienen.

Söder fordert Aufklärung in Aiwanger-Debatte

CSU-Chef Söder sagte an die Adresse seines Koalitionspartners: Deswegen ist die zentrale Forderung jetzt auch an Hubert Aiwanger, schlichtweg die Dinge einfach zu klären und öffentlich zu erklären. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen zu wollen.

Aus der Politik kamen umgehend aus fast allen Richtungen Forderungen nach Konsequenzen. Die SPD-Fraktion beantragte eine Sondersitzung des Bayerischen Landtags, der in der Sommerpause ist. SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sagte laut einer Mitteilung: Das Flugblatt ist Rechtsextremismus der untersten Schublade, das die Millionen Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur auf das Übelste verunglimpft.

Grüne fordern Aiwangers Entlassung, falls sich Vorwürfe bewahrheiten

Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze und Ludwig Hartmann sagten einer Mitteilung zufolge: Wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten, dann muss Markus Söder Hubert Aiwanger entlassen.

Für die FDP forderte Fraktionsvorsitzender Martin Hagen: Hubert Aiwanger muss sich persönlich erklären und die Vorwürfe ausräumen.

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