NATO-Osterweiterung: Ist sie schuld an der Eskalation in der Ukraine?

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Russland ist in die Ukraine einmarschiert, der Krieg in Europa droht noch weiter zu eskalieren. Bei der Frage nach dem Warum fällt immer wieder der Begriff NATO-Osterweiterung. Was ist damit gemeint - und ist die Osterweiterung wirklich schuld am Krieg?

  • Russland marschiert in die Ukraine ein
  • Für Russland trägt die NATO die Hauptschuld an der Eskalation der Krise
  • Die NATO habe mit ihrer Osterweiterung Russland getäuscht
  • Was ist damit gemeint - und stimmt das?

Krieg in Europa: Russland ist in die Ukraine einmarschiert. Die Lage ist unübersichtlich, von Kampfhandlungen in unterschiedlichen Landesteilen ist die Rede. Und ganz Europa fragt sich: Wie konnte es so weit kommen? Während einige Politiker deutlich werden und davon sprechen, dass Putin "komplett durchdreht", verweisen andere wiederum auf die Bedeutung der NATO: Die NATO-Osterweiterung sei es, die Russland in die Enge getrieben und erst zu der Eskalation der Lage in Osteuropa geführt habe. Was ist davon zu halten?

Die Entstehung der NATO und die Osterweiterung

Um den Konflikt zu begreifen, muss man Jahrzehnte zurückblicken. In die Zeit, in der die Welt in zwei Lager, in Ost und West, in Kommunismus und Kapitalismus unterteilt war. Nachdem sich die ehemaligen Verbündeten im Kampf gegen Hitler-Deutschland immer mehr zu Gegnern entwickelt hatten, wurden zwei Verteidigungsbündnisse ins Leben gerufen. Bereits am 4. April 1949 gründete sich die "North Atlantic Treaty Organization", die NATO. Am  14. Mai 1955 folgte das sowjetische Pendant, der Warschauer Pakt. Beide Lager standen sich im Kalten Krieg unversöhnlich gegenüber.

Doch während der Warschauer Pakt am 1. Juli 1991 aufgelöst wurde, ist die NATO weiterhin aktiv. Nicht nur das: Sie ist seit dem Ende der Sowjetunion massiv gewachsen. Aus ehemals 16 Bündnispartnern in den 1990er Jahren sind mittlerweile 30 geworden. Da es sich bei allen 14 neuen Mitgliedern um osteuropäische Staaten handelt, ist von der NATO-Osterweiterung die Rede.

Diese Osterweiterung erfolgte in drei großen Schritten:

  • Die erste Osterweiterung 1999: Am 12. März 1999 wurden mit Ungarn, Polen und Tschechien drei neue Länder in die NATO aufgenommen
  • Die Osterweiterung 2004: Am 29. März 2004 folgten 7 weitere Ländern. Neben den drei baltischen Staaten Litauen, Estland und Lettland waren dies Bulgarien, Rumänien, Slowenien und die Slowakei
  • Die Osterweiterung 2009: Am 1. April 2009 folgten Albanien und Kroatien, die sich der NATO anschlossen
  • Seit dem 5. Juni 2017 ist außerdem Montenegro NATO-Mitglied. Als letztes Mitglied folgte am 27. März 2020 Nordmazedonien.

Hat der Westen gelogen? 

In der russischen Lesart wird die Expansion als Einkreisung Russlands durch die NATO verstanden, die sich intensiv um mehr Einfluss in der russischen Einflusszone bemühe. Die NATO betont hingegen immer wieder, dass man keine Länder aktiv angeworben habe. Vielmehr hätten sich diese aufgrund von Sicherheitsbedenken an die NATO gewandt und um eine Aufnahme gebeten. Wer hat recht?

Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es natürlich nicht. Von Russland und Putin wird häufig auf die Zwei+Vier-Vertrag verwiesen. In den Gesprächen zwischen der BRD und der DDR sowie den USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich zur Wiedervereinigung Deutschlands habe der Westen der Sowjetunion versprochen, nicht weiter nach Osten zu expandieren. So sieht es beispielsweise der russische Präsident Wladimir Putin

Tatsächlich hatte unter anderem der damalige Außenminister der Bundesrepublik Hans-Dietrich Genscher im Januar 1990 klargestellt: "Eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben." Schriftlich festgelegt wurde diese Zusage aber nicht, argumentieren westliche Vertreter. Außerdem habe sich die Zusage an die Sowjetunion und den Warschauer Pakt gerichtet. Beide existieren jedoch nicht mehr und die geopolitische Lage sei heute eine gänzlich andere als in den 1990er Jahren. 

Die NATO: Vom Verteidigungs- zum Angriffsbündnis?

Was sich jedoch auch verändert hat, ist die NATO selbst: denn diese, eigentlich als reines Verteidigungsbündnis gegründete Organisation, gab sich Ende der 1990er eine neue Aufgabe. Damals wurde festgelegt, dass die NATO auch außerhalb des eigenen Bündnisgebietes eingesetzt werden kann - was auch gleich 1999 geschah: Damals griff die NATO in den Kosovokrieg gegen Serbien ein. 

Dieser Einsatz war aus der Sicht Russlands völkerrechtswidrig, da er ohne UN-Mandat erfolgte. Eben dieses UN-Mandat hatte Russland selbst mit einem Veto verhindert. Russland war und ist Verbündeter der serbischen Seite im Balkankonflikt um die Nachfolge Jugoslawiens

Und dies ist sicher auch ein Hinweis darauf, worum es im Ukraine-Konflikt wirklich geht. Dieser ist nämlich nicht an der Frage entbrannt, ob die Ukraine der NATO beitritt. Auslöser waren vielmehr die Maidan-Proteste 2013 und die Frage, ob sich die Ukraine wirtschaftlich eher der EU als Russland zuwendet und ob ein prorussischer Präsident wie damals Wiktor Janukowytsch oder ein prowestlicher Präsident die Geschicke des Landes steuert.

Es ist also stark anzunehmen, dass die militärische Bedrohung Russlands durch die NATO, die Putin zuletzt immer wieder betont hat, Vorwand ist, um politische und vor allem ökonomische Interessen in der Ukraine notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Und das völlig unabhängig davon, ob die NATO-Osterweiterung nun tatsächlich gegen Vereinbarungen zwischen der NATO und Russland verstieß oder nicht. 

Vorschaubild: © Stringer (TASS)