Sprachkurse sind also jetzt ganz wichtig ...
"Ja, Integrationssprachkurse von der Arbeitsagentur oder von den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen sind jetzt angesagt. Jetzt ist aber eins anders als 2015: Es sind viele Frauen mit Kindern gekommen, nur wenige Männer. Unter den 320.000 Kriegsflüchtlingen in Deutschland sind viele Kinder. Zentral sind also Kita-Angebote und die Einbeziehung in das Schulsystem. An beiden Punkten gibt es Fortschritte. Wichtig ist auch die Lage am Arbeitsmarkt."
Aber die ist doch gut?
"Das stimmt schon, sie ist aber regional unterschiedlich. Die regionale Verteilung der Kriegsflüchtlinge berücksichtigt den Aspekt der Arbeitsmarktchancen aber kaum. Das hat negative Auswirkungen auf eine potenzielle Arbeitsmarktintegration. Das IAB hat gerade jetzt einen Vorschlag veröffentlicht, wie man die Lage des Arbeitsmarktes bei der Verteilung berücksichtigen kann."
In welchen Bereichen haben die jungen Frauen in der Ukraine gearbeitet?
"Es sind die typischen Wirtschaftszweige: Bildung und Gesundheit. In diesen Sektoren haben die Frauen auch ihre Bildungsabschlüsse gemacht. Insoweit haben wir in beiden Ländern die typischen Frauen- und Männerberufe. Das ist aber durchaus eine Chance, weil das in Deutschland die Bereiche sind, in denen Fachkräfte rar sind. Aber es sind meistens reglementierte Berufe, in denen man Abschlüsse braucht. Die Ukrainerinnen müssen sich also ihre Zertifikate erst einmal anerkennen lassen. Und so etwas dauert in Deutschland."
Wie steht es um die Frauenerwerbstätigkeit in der Ukraine?
"Wenn die Geflüchteten 'angekommen' sind, geht es schnell auch um die Frage: Wo kann ich arbeiten? Dazu muss man wissen, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen in der Ukraine hoch ist, nur etwas weniger als in Deutschland. Wobei in Deutschland Teilzeitbeschäftigung dreimal höher ausgeprägt ist."
Gibt es Chancen, einen ausbildungsadäquaten Arbeitsplatz in Deutschland zu bekommen?
"Das ist für Migranten generell schwierig. Viele bekommen ihre erste Arbeitsmarktchance in ausbildungsinadäquaten Jobs. Bei den Ukrainern, die in Deutschland schon länger leben, ist das ungefähr ein Drittel. Die Gründe sind immer die gleichen: keine Anerkennung des erlernten Berufs oder ein schneller Einstieg war den Betroffenen wichtiger als lange Sucharbeitslosigkeit. Aber: je länger jemand hier ist, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit im erlernten Beruf tätig zu sein. Aber nicht alle schaffen den Umstieg."
Wer ist der bessere Ansprechpartner für die Kriegsflüchtlinge: Sozialämter oder Arbeitsagenturen?
"Die Flüchtlinge bekommen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Sozialämter sind damit die ersten Ansprechpartner. Beim Punkt Arbeitsmarkt, Sprach- und, Integrationskurse sind sie aber überfordert, das ist ja auch nicht ihre Kompetenz und ihr Erfahrungswissen. Deshalb brauchen wir unbedingt den systematischen 'Link' zu den Arbeitsagenturen. Information und Beratung, das ist ein 'Schatz', das ermöglicht Geflüchteten sehr viel."
Kriegsflüchtlinge sind in Bayern vor allem in den Großstädten zu finden. Gibt es hier die besseren Beschäftigungschancen?
"Die Großstädte in Bayern sind klar die Hotspots, aber auch deshalb, weil hier größere ukrainische Communities sind. Relativ zu der Bevölkerungsgröße hat Nürnberg eine der Größten in Deutschland. Aber alle Großstädte in Bayern haben Wohnungsprobleme, das verkompliziert die Hilfe. Gleichzeitig ist die Arbeitsmarktlage in diesen Städten sicherlich gut."
Ist der deutsche Arbeitsmarkt für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine gerüstet?
"Integration ist immer ein wechselseitiger Prozess, die Voraussetzungen für die geflüchteten Ukrainer sind aber nicht schlecht. Wir müssen ihnen Chancen eröffnen: die Sprache zu lernen, schnelle Anerkennungsverfahren für Berufs- und Bildungsabschlüsse, Nachqualifizierungen – dann kann das gelingen. Deutschland ist ein Migrationsland, das ist schon seit länger Zeit so und wir haben aus 2015 gelernt. Es gibt viele Chancen für Deutschland und für meine Landsleute, die Ukrainerinnen."
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Wer ist Yuliya Kosyakova?
Yuliya Kosyakova ist seit April 2016 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das IAB ist eine besondere Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg und ist zentrale Einrichtung der wissenschaftlichen Politikberatung in Arbeitsmarktfragen. Kosyakova studierte Ökonomie an der Universität Bamberg und schloss ihr Promotion in Soziologie am Europäischen Hochschulinstitut (EUI) in Florenz ab. Zu ihren Forschungsinteressen zählen Migrations- und Integrationsforschung, Geschlechter-soziale Ungleichheiten und internationale Vergleiche. Kosyakova wurde in der Ukraine geboren und kam 2002 nach Deutschland. Nach dem Kriegsanfang in der Ukraine ist ihre Schwester Anfang März zusammen mit ihrem Sohn aus Kharkiv geflohen und lebt nun bei ihr in Nürnberg.