"Nicht in der Lage, ihre eigenen Leute zu überzeugen": Ricarda Lang kritisiert Union-Spitze bei "Miosga"

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"Caren Miosga"
Ricarda Lang sieht ein Führungsproblem bei der Union.
ARD/Thomas Ernst
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Caren Miosga sprach mit ihren Gästen über die Kompromissbereitschaft deutscher Politiker.
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Der stellvertretende "Zeit"-Chefredakteur Martin Machowetz kann den Frust der Jungen Union gegenüber der Rentenpolitik der Regierung nachvollziehen.
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Ferdinand von Schirach hat eigene Ideen dafür, wie das demokratische System in Deutschland aufgebaut sein sollte.
ARD/Thomas Ernst

Angesichts des schwindenden Vertrauens in die deutsche Demokratie möchte Caren Miosga am Sonntagabend wissen: "Haben wir den Kompromiss verlernt?" Ihre Gäste stehen strukturelle Probleme, üben aber auch konkrete Kritik an der Bundesregierung.

Volkstrauertag am Sonntag. Zeit zum Nachdenken. Dazu bietet am Abend die Talkshow mit Caren Miosga in der ARD reichlich Gelegenheit, denn statt konfrontativ diskutiert wird diesmal fast schon philosophisch reflektiert. "Haben wir den Kompromiss verlernt?" möchte die Moderatorin von ihren Gästen wissen. Als Gäste geladen sind Ricarda Lang, die nach ihrem Rückzug vom Grünen-Parteivorsitz als einfache Abgeordnete im Bundestag sitzt, und Martin Machowecz, der stellvertretende Chefredakteur der "Zeit".

Auch Schriftsteller und Jurist Ferdinand von Schirach ist da. Der hat vor vier Jahren eine Initiative für eine neue und moderne Verfassung gestartet. Darin fordert er eine teilweise Entmachtung des Parlaments. Und er will Politiker und Amtsträger verpflichten, die Wahrheit zu sagen. "Recht auf Wahrheit" nennt er das. Das Lügen-Verbot soll aber natürlich nur in ganz besonderen Fällen gelten. Denn: "Natürlich lügen Politiker andauernd. Das müssen sie auch tun, das geht gar nicht anders."

Doch im Moment sei das Vertrauen in die Politiker extrem gefährdet, sagt von Schirach. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung glauben weniger als die Hälfte der Deutschen, die Demokratie würde noch gut funktionieren. "Wenn das Vertrauen so erschüttert ist, ist die Lüge etwas viel Gefährlicheres als in Zeiten, in denen Vertrauen besteht", sagt er. Das Vertrauen in die Politik werde bei nicht eingehaltenen Versprechen, bei Ungerechtigkeit und bei nicht benannten Problemen erschüttert.

Verständnis für Frust der Jungen Union

Die schwarz-rote Koalition habe viele Versprechen gemacht und danach nicht eingelöst, kritisiert Martin Machowecz, der stellvertretende Chefredakteur der "Zeit". Das fällt Bundeskanzler Friedrich Merz gerade jetzt auf die Füße, bei der Rentendiskussion. Dort begehren nun junge Politiker der Union auf. Das kann Machowecz verstehen.

"Es ist total wahr, dass der Kanzler in der Vergangenheit schon zu oft Dinge getan hat, die er vorher mal anders in Aussicht gestellt hatte", sagt Machowecz. "Da fallen einem jede Menge Dinge ein: Die Aufhebung der Schuldenbremse war der krasseste Fall. Reden wir über die Rentendiskussion: Die Junge Union ist im Moment total verdattert, weil sie gehofft hat, den Kanzler mit ins Boot gehoben zu haben mit einer riesigen Kampagne. Und offenkundig hat er sie da richtig fallenlassen. Ich interpretiere seine Rede am Samstag auf dem Deutschlandtag der JU so, dass er nicht bereit ist, wieder auf sie zuzugehen. Und ich verstehe die Erschütterung."

Das Rentensystem sei auf Dauer nicht finanzierbar. Das hätten die Jungen in der Union erkannt. "Sie sehen, dass Politik keinerlei Ideen und Konzepte hat, das gerade richtig auf die Füße zu stellen. Stattdessen wird so eine halbgare Idee verabschiedet und mit wurstigen Begründungen, man würde 2031 sehen, ob ihnen dann etwas einfällt. Ich verstehe die Kritik an der Generationengerechtigkeit total."

Lang sieht drei Ungerechtigkeiten im Rentensystem

Ricarda Lang sieht es ähnlich. Die Jugend falle bei sehr vielen Entscheidungen der schwarz-roten Koalition hinten runter, vom Klimaschutz über die Bildung bis zur Rente. Die Frage der Generationengerechtigkeit innerhalb der Rente werde an den Rand geschoben. Man müsse über das Renteneintrittsalter reden und darüber, wer in die Rentenversicherung einzahle und ob dies auch Beamte tun müssten, fordert Lang.

"Im heutigen Rentensystem haben wir aus meiner Sicht drei Ungerechtigkeiten", führt die Politikerin weiter aus. "Die eine ist zwischen Jung und Alt. Die zweite ist zwischen Beamten, Selbstständigen und Abgeordneten und denen, die einzahlen. Und das dritte ist, dass die, die oft sehr harte Jobs haben und wenig verdienen, tendenziell auch weniger lang leben und so auch weniger lang vom Rentensystem profitieren."

Innerhalb der Union gehe es in solchen Fragen jedoch auch viel um Autorität, so Lang. Friedrich Merz und Fraktionschef Jens Spahn seien nicht in der Lage, ihre eigenen Leute zu überzeugen. "Das liegt daran, dass sie es nicht einmal probieren."

Von Schirach: AfD-Verbot wäre "Pleiteerklärung"

Natürlich muss es bei so einer Diskussion auch um die AfD gehen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte am 9. November durch die Blume ein Verbotsverfahren gegen die Partei gefordert. Von Schirach lehnt ein solches ab: Das sei undemokratisch. Die 1000-seitige Zusammenfassung des Bundesverfassungsschutzes habe er gelesen und sie gebe ein solches Verbot auch gar nicht her, so der Autor und Jurist. Und: "Ein AfD-Verbot ist eine Pleiteerklärung für die Partei, die es einreicht. Das ist ein Offenbarungseid: Wir haben es nicht geschafft, den Wählern dieser Partei ein Angebot zu machen, dass sie uns wählen können."

Ricarda Lang spricht sich für ein Verbot der AfD aus. Danach dürfe jedoch die Arbeit nicht aufhören, denn eine Ideologie könne man nicht verbieten. Man müsse sie bekämpfen. Allgemein kritisiert Lang, dass sich die Parteien oft zu wichtig nehmen. "Aus dieser Logik müsste man ausbrechen und es zwischen den Parteien hinbekommen. Mein Eindruck ist nicht, dass wir den Kompromiss verlernt haben, sondern dass häufig die Parteien in ihren jeweiligen inhaltlichen Positionen fast unklarer, langweiliger und weniger selbstbewusst geworden sind, aber in ihrem Auftreten, im Kulturellen viel verhärteter." Parteien müssten wieder stärker auftreten, fordert die Grünen-Politikerin.

Quelle: teleschau – der mediendienst