Obwohl Wolf laut eigener Angabe selbst bei den Demonstrationen attackiert und bedroht worden sei, hält er die damalige Berichterstattung aus heutiger Sicht für undifferenziert. "Die Reden waren teilweise tatsächlich rassistisch, revanchistisch." Diese Inhalte seien von einigen seiner Kolleginnen und Kollegen "auf die Menschen, die dort mitliefen, übertragen" worden. "Nach dem Motto: 'Wer sich das anhört, tickt auch so.' Daraus wurde dann oft pauschal die Nazikeule."
Die Korrespondentinnen und Korrespondenten überregionaler Medien hätten teilweise sogar "erkannt, dass die Nazikeule nicht so passte", erinnert sich Wolf. Allein: "Ich weiß von einigen, dass die Konflikte hatten mit ihrer Zentralredaktion, weil nicht so geschrieben wurde, wie man es gern gehabt hätte, oder dass es dann in dieses Bild passte."
"Hey, wir sind nicht dumm!"
Während Ulrich Wolf vermutet, dass die damalige Berichterstattung über Pegida zum weiteren Erstarken der Bewegung beigetragen haben könnte, erklärt Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger: "Natürlich haben Medien das Bild von Ostdeutschland mitgeprägt, aber man darf Medien auch nicht zu viel Macht geben. Es sind ja nicht nur die Medien allein."
"Zeit"-Journalist Christoph Dieckmann hingegen ist überzeugt: "Der große Unterschied zwischen Ost und West besteht darin, dass der Osten alles wahrnimmt, was der Westen über ihn behauptet, und umgekehrt ist es gar nicht so. Denn der Osten kann nichts über den Westen behaupten, weil er keine Medien hat, ganz pauschal gesagt."
Auch Marieke Riemann, zweite Chefredakteurin beim SWR, hält den Osten für unterrepräsentiert: "Ich habe Situationen erlebt, wo ich mit anderen Journalistinnen und Journalisten zusammensaß und meine Kollegen wussten nicht, wer Václav Havel ist. Oder Reinhard Lakomy."
Bereits als Kind sei die 37-Jährige empört gewesen über die klischeehafte Darstellung von Ostdeutschen: "Ich dachte: Was kann ich tun, um den Leuten zu sagen: 'Hey, wir sind nicht dumm, wir sprechen nicht alle komisch und wir sind nicht alle irgendwie ein bisschen plemplem!' Warum geht es immer nur um Nazis? Warum geht es nicht um all die anderen, die hier auch leben?"
Das Vertrauen in die Medien leidet
Dass ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger in den Medien häufig unterrepräsentiert seien oder falsch dargestellt werden, führe dem Politikwissenschaftler Christopher Pollak zufolge sogar zu einem geringeren Vertrauen in die Medien. "Wir können ganz eindeutig und klar sagen, dass die Menschen im Osten den Medien weniger vertrauen als die Menschen im Westen", stellt er fest. "Das heißt vielleicht gar nicht mal, dass die Medien nicht konsumiert werden." Wenn jedoch die eigenen Geschichten, Erfahrungen, Einstellungen und Haltungen "nicht oder eben weniger vorkommen, entwickelt man über die Zeit so eine gewisse Distanz dazu, weil man sich da nicht wiederfindet".
Zudem, mahnt Pollak, sei ein geringes Medienvertrauen auch häufig ein Symptom von genereller Unzufriedenheit mit der Demokratie. "Deswegen ist das mit Blick auf unsere demokratische Gesellschaft einfach ein großes Alarmsignal", resümiert der Forscher von der Universität Leipzig.
Das sieht Journalist Hajo Schumacher ähnlich: "Der arrogante westdeutsche Blick sagt ja: 'Die müssen noch lernen, die kapieren das noch nicht mit der Demokratie.'" Schumacher vermutet, dass es "genau umgekehrt" sei: "Ist der Osten nicht vielleicht dem Westen schon voraus? Diese zersplitterte politische Landschaft, ist das nicht was, was wir im Westen so nach und nach auch bekommen? Ist nicht Thüringen eher das Labor von Deutschland?"