Michael Piazolo hat für seine Freien Wähler beim Verfassungsgericht das Volksbegehren erstritten - und, im Alleingang, eine bayerische Regierungskrise ausgelöst.
Es war der 22. Oktober, ein Montag, und Michael Piazolo hatte Geburtstag. Der 53-Jährige stand im Bayerischen Verfassungsgerichtshof vor den Richtern in ihren blauen Roben und hörte das Urteil. "Wow, gewonnen," war sein erster Gedanke, und der zweite: "Das war's dann mit den Weihnachtsferien." Der Generalsekretär der Freien Wähler hat jetzt genug zu tun, denn in der zweiten Januarhälfte läuft die Eintragungsfrist für das Volksbegehren, dessen Zulässigkeit er vor Gericht durchgesetzt hat. Knapp eine Million Bürger müssen in ihren Rathäusern unterschreiben, damit es zum Volksentscheid kommen kann in Sachen Studiengebühren in Bayern.
Vier Wochen später steht der Abgeordnete Piazolo am Rednerpult des Landtags, und er könnte nun seinen Triumph auskosten, denn keiner hatte an den Erfolg der Verfassungsklage geglaubt.
Die Staatsregierung nicht, ihre Koalition aus CSU und FDP nicht, nicht die Oppositionskollegen von SPD und Grünen, und seine Freien Wähler auch nicht so recht, denn sie spendierten ihm keinen Rechtsanwalt: "Du bist doch drin, dann mach's doch gleich selber." Piazolo aber schlägt im Landtag, wie es seine Art ist, leise und nachdenkliche Töne an. 90 Prozent der Abgeordneten sind gegen die Studiengebühren, sagt er, und dennoch verhindern die Regierungsfraktionen ihre Abschaffung: "Das kann doch draußen keiner verstehen, da machen wir uns lächerlich."
Damit spielt Piazolo auf Zwickmühle an, in die er die Koalition gebracht hat. Angesichts eines im kommenden Wahljahr drohenden Volksentscheids gegen die Studiengebühren hat Ministerpräsident Horst Seehofer seine CSU-Fraktion auf deren Abschaffung eingeschworen. Im Landtag aber muss sie anders abstimmen, denn noch darf sie das Bündnis mit der FDP nicht brechen.
Die hält um jeden Preis an der Abgabe fest - auch um den des vorzeitigen Scheiterns der Koalition.
Ein knappes Jahr vor dem regulären Wahltermin steckt die Koalition tief in einer Existenzkrise, die sie aller Voraussicht nach nicht wird beheben können. Damit hat Piazolo auf einen Schlag mehr erreicht als sein Oppositionsbündnis in den vergangen vier Jahren zusammen, und dies gewissermaßen im Alleingang.
Satte 35 Seiten umfasst der Schriftsatz, mit dem das Innenministerium dem Gericht darlegte, warum es ein Volksbegehren gegen die Studiengebühren, die korrekt Beiträge heißen, nicht zulassen kann. Dieser Einschätzung zugrunde liegt Artikel 73 der Bayerischen Verfassung, in dem in dürren Worten steht: "Über den Staatshaushalt findet kein Volksentscheid statt."
Mal sehen, dachte sich der promovierte Jurist und Politikwissenschaftler, in München Professor für europäische Studien.
Er schrieb in 15 Seiten auf, warum die Beiträge, die den Hochschulen direkt und außerhalb des Staatshaushalts zufließen, eben nicht Teil desselben sind. Also verbiete Artikel 73 das Volksbegehren nicht.
Piazolo ging auf dünnem Eis, denn er selbst, wie auch die Opposition insgesamt, erhob gleich nach dem Urteil die Forderung, dass die den Hochschulen im Falle eines Erfolgs fehlenden Einnahmen sofort und gänzlich ausgeglichen werden müssten - und zwar aus dem Staatshaushalt. Aber: Sechs der acht Verfassungsrichter folgten seiner Argumentation. Nun ist Piazolo fest davon überzeugt, dass er und sein breites Bündnis für die Abschaffung der Studiengebühren, das neben den Oppositionsparteien und Vertretungen der Studierenden auch Gewerkschaften und kirchliche Institutionen umfasst, Erfolg haben werden mit dem Volksbegehren.
Damit, dass das auch vorzeititige Neuwahlen bedeuten kann, hat er nicht gerechnet, als er vor den Verfassungsrichtern stand. Auch jetzt noch sagt er: "Da ist mir zu viel Parteitaktik im Spiel. Es sollte vor allem um Inhalte gehen in der Politik."