Es ist zwar richtig, dass Bayern beim Zubau der PV 2022 den ersten Platz errungen hat. Im Mittelpunkt stehen aber im Ländervergleich die absoluten Zahlen, kritisiert der WWF. Bayern sei flächenmäßig das größte Bundesland. Wo mehr Dächer, sprich mehr Platz ist, sei der Zubau größer. Sieger sind andere, betont die Umweltstiftung. 2021 waren das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern, gemessen an der Landesfläche, die "fleißigeren Solarzubaumeister", schreibt der WWF. Schaut man sich für 2022 den Zubau pro Kopf an, liegen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vorne. "Das reicht für Bayern noch für einen Solar-Platz in der Champions League. Aber den Pokal für die Deutsche Meisterschaft teilen sich andere Bundesländer", schreibt der WWF in seiner Studie. Beim Zubau der Windenergie erreichte Bayern 2021 unter allen Flächenländern den letzten Platz. Wenn man den Zubau der erneuerbaren Energien technologieübergreifend also insgesamt betrachtet und diesen ins Verhältnis zu der Fläche, der Einwohnerzahl oder auch zum Stromverbrauch setzt, dann landet Bayern lediglich im Mittelfeld.
Wind ist nicht das bayerische Ding
Die bayerische Fixierung auf PV bringt Probleme, wie der WWF feststellt. Die Erträge der PV-Anlagen schwanken stark im Tagesverlauf sowie über das Jahr hinweg. Eine starke und einseitige Ausrichtung auf die PV, wie sie in Bayern derzeit vorherrscht, könne vor allem nachts und im Winter zu Engpässen bei der Stromerzeugung und entsprechenden Importbedarfen führen.
Einen Ausgleich könnte die Stromerzeugung aus Wind sein. Während man nach Solaranlagen in Bayern nicht lange suchen muss, sieht man Windräder eher selten. Gut 1.200 Windkraftanlagen drehen sich auf der großen Landesfläche des Freistaats. Auf 10.000 Bayern kommt in etwa ein Windrad. Zum Vergleich: In Niedersachsen stehen pro Einwohner*in etwa achtmal mehr Anlagen als in Bayern. Gemessen an der gesamten bayerischen Stromerzeugung habe die Windenergie nur einen marginalen Anteil von 6,4 %. Problematisch sei dies vor allem deshalb, weil der Zubau bei nahe null sackte. 2022 seien in Bayern nur 14 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 44 Megawatt errichtet worden. Im bereits üppig bebauten und wesentlich kleineren Schleswig-Holstein waren es im selben Zeitraum etwa zehnmal so viele, so der Report.
Warum gibt es in Bayern keine Windräder? Die Ursache sehen die WWF-Experten in der Einführung der sogenannten 10H-Abstandsregelung. Seitdem sind die Investitionen in heimische Windparks eingebrochen. Der Bayerische Rundfunk erklärt die Regelung: Windkraftanlagen müssen mindestens einen Abstand von zehnmal der eigenen Höhe zu Wohngebäuden aufweisen, sofern Kommunen und Bürger vor Ort nichts anderes beschließen. Inzwischen ist die Bauordnung an diesem Punkt etwas entschärft: Unter anderem in der Nähe von Autobahnen, in Wäldern und auf ausgewiesenen Vorranggebieten, auch Windflächen genannt, soll nur noch ein Abstand von 1.000 Metern gelten. Dem steht allerdings eine Regelung des Bundes entgegen, die ab Juni in Kraft ist: In Vorranggebieten untersagt das Wind-an-Land-Gesetz jede Form von Mindestabständen. Wie dieser Regelungswirrwarr sich schließlich auf den Neubau von Windrädern in Bayern auswirkt, bleibt abzuwarten.
Führende Kommunen, Verteilernetze und Strompreiszonen
Genauer angeschaut hat der WWF sich Energie-Vorreiter in den bayerischen Kommunen. Konkret benannt ist Wildpoldsried, das Vorzeige-Energiedorf im Oberallgäu. Elf Windräder sorgen hier für Strom, ein Nahwärmenetz, betrieben mit Pelletheizung und Biogas-Blockheizkraftwerken, sorgt für Wärme. In der Bilanz zeigt sich: Es wird achtmal mehr an erneuerbarem Strom produziert, als die 2.600 Einwohner*innen brauchen. Wunsiedel im Fichtelgebirge, Markt Pfeffenhausen im Kreis Landshut und Fuchstal im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech sind ebenfalls Vorzeige-Energiegemeinden in Bayern, die der Bericht lobend erwähnt.
Als einen bedeutenden Schwachpunkt analysiert der WWF den Zustand der Verteilernetze. Bayern sei ein großer Stromverbraucher und daher heute schon von Stromimporten aus dem Norden Deutschlands abhängig, wo sich schon viele Windräder drehen. Aus diesem Grund sehen Netzausbaupläne schon lange eine bessere Anbindung Bayerns vor. Der Bau der notwendigen Nord-Süd-Trassen hinke jedoch massiv dem Zeitplan hinterher. "Die Verzögerungen sind auch ein Ergebnis der bayerischen Energiepolitik", heißt es im Bericht.
Eine drastische Folge dieser mangelhaften Infrastruktur: Wegen Netzengpässen stehen heute oft Windkraftanlagen in Norddeutschland still, weil der Strom nicht zu den Verbraucher*innen nach Bayern kommt. Das hat Konsequenzen: Die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen wollen Deutschland in Preiszonen einteilen. Im Norden, wo es viel Strom gibt, sollen die Verbrauchenden weniger für Strom zahlen. Im Süden wäre der Effekt umgekehrt: Wegen der fehlenden Fortschritte beim Wind- und Netzausbau würde der Strompreis steigen. Der Vorschlag findet die Unterstützung der EU-Regulierungsbehörde ACER. Sie will Deutschland in bis zu fünf Strompreiszonen aufteilen. In anderen europäischen Ländern gibt es solche Zonen bereits. Norwegen hat sechs Preiszonen, Italien sieben, und in Dänemark gibt es zwei Zonen. In Schweden setzte Acer vor einigen Jahren eine Teilung in vier Zonen durch, wie der Informationsdienst agrarheute berichtet.
Industriestandort Bayern in Gefahr
"Ohne Netze kann nicht einmal der Ausbau der Solarenergie weiter vorangebracht werden, der in Bayern deutlich besser verläuft als der Ausbau der Windenergie", sagt Viviane Raddatz, Klimachefin beim WWF Deutschland. Die so entstandenen Engpässe sorgten für höhere Systemkosten und verhinderten, dass Strom aus den Windenergieanlagen des Nordens in den südlichen Industriezentren effektiv genutzt werde. Auch das regionale Stromnetz stößt vielerorts an seine Kapazitätsgrenze und verhindert den Netzanschluss neuer PV-Anlagen.
Der bayerische Fokus auf konventionelle Energien und der verschleppte Netzausbau in der Vergangenheit wirken sich zunehmend negativ für den Wirtschaftsstandort Bayern aus. Regional verfügbarer und erzeugter Strom ist ein Standortvorteil, wie Ministerpräsident von Brandenburg, Dietmar Woidke, anlässlich der Bekanntgabe der Ansiedlung von Tesla offen zugibt: "Erneuerbare Energien sind ein Standortvorteil, den wir haben und nutzen wollen. Auch für künftige Ansiedlungen.“ Und er fügt mit Blick auf Bayern hinzu: "Die südlichen Bundesländer bauen darauf, dass ihnen andere Länder den sauberen Strom liefern. Doch wir wollen diesen lieber vor Ort nutzen." Bei der Entscheidung von Intel für die Chip-Fabrik in Magdeburg hat ebenfalls der Aspekt erneuerbare Energie eine wichtige Rolle gespielt. Die Landesregierung plant einen Windpark als Stromlieferant für das Werk. Die Vorteile liegen für Ministerpräsident Reiner Haseloff auf der Hand: "Das würde nicht nur die Versorgungssicherheit und günstige Energiepreise garantieren, sondern auch für noch mehr Nachhaltigkeit sorgen". Intel setze auf grünen Strom – "und damit haben wir als Windkraftland hier in Sachsen-Anhalt ja sehr viel Erfahrung", schreibt der Spiegel.
Dass erneuerbarer Strom inzwischen ein Standortfaktor ist, überrascht nicht. Schon rund um die Debatte zum bayerischen Klimaschutzgesetz im Sommer 2022 warnte Christian Essers, Direktor für Energieeinkauf bei der Wacker Chemie in München: "Statt 10H brauchen wir den Ausbau der Windkraft und der Photovoltaik", sagte der Vertreter der Industrie. Und fügte hinzu: Für die Industrie "ist das eine Überlebenssache". Die derzeit hohen Strompreise wären vermeidbar gewesen, wenn der Ausbau der Erneuerbaren weniger schleppend verlaufen wäre, so Essers Analyse, über die der Bayerische Rundfunk berichtete. Und Lex Hartmann, Geschäftsführer des niederländischen Netzbetreibers Tennet, warnte: Aus BMW könnten, wenn die Versorgungssicherheit nicht mehr zu gewährleisten sei und Strom in Bayern teurer werde als anderswo, irgendwann die "Bremer Motorenwerke" werden.
Fazit
Es ist begrüßenswert, dass Bayern den Wettbewerb bei der Energiewende annimmt und sogar einen Führungsanspruch formuliert. Aber nüchtern betrachtet: Wenn sich die Landesregierung Bayerns als Energiewende-Meister feiert, beruht dies auf verdrehten Fakten. Unterm Strich gefährdet Bayern mit seiner rückwärtsgewandten Energiepolitik seine Wettbewerbsfähigkeit. Industriestandorte hängen stark von der Verfügbarkeit erneuerbaren Stroms ab. Eine Verhinderungspolitik, die sich nicht ehrlich macht, verschärft die Probleme nur. Dem Resümee der WWF-Studie ist zuzustimmen: Klimaschutz und Wirtschaftskraft gehen Hand in Hand.
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