Nach der Auflösung des Warschauer Paktes schien die Gefahr eines neuen Krieges in Europa vorüber. Einzig die NATO existiert als Bündnis weiter. Doch liegt darin auch eine Gefahr?
Die NATO nach dem Zerfall der UDSSR
Die Osterweiterung
Die UDSSR unter Putin
Neue Kriegsgefahr in Europa
Als die Ostgrenzen sich öffneten und der Warschauer Pakt aufgelöst wurde, schien es, als ob der Kalte Krieg endgültig vorbei wäre und die Welt aufatmen könnte. Doch das Misstrauen gegenüber Moskau blieb. Immer mehr Länder der ehemaligen Sowjetunion drängten in die NATO. Wie bereits 1955 bei der Gründung der NATO sah Moskau sich bedroht, sogar noch stärker, da sich die Grenze der NATO-Staaten durch die mögliche Aufnahme der ehemaligen Sowjetrepubliken weiter in Richtung Osten verschob. Doch auch die NATO sah sich neuen Herausforderungen gegenüber, als im September 2001 die USA durch einen Terrorangriff schwer getroffen wurden.
Der Zerfall der UDSSR nach dem Ende des Warschauer Paktes
Die UDSSR war im Zerfall. Immer mehr Republiken lösten sich und strebten nach Unabhängigkeit und Freiheit. Bereits 1988 proklamierte Estland seine Souveränität, ein Jahr später folgten Litauen und Lettland. Dies bedeutete zwar nicht die Unabhängigkeit, sondern lediglich den Vorrang der eigenen Gesetze gegenüber denen der unionsweiten Gesetzgebung. 1990 hatten alle Republiken mit Ausnahme von Armenien ihre Souveränität erklärt. Die drei baltischen Republiken – Litauen, Estland und Lettland – beschlossen im selben Jahr den Austritt aus der Union. Als dann Russland am 12. Juni 1990 die Souveränität erklärte, war dies quasi der Todesstoß für die Sowjetunion, denn alle Gremien der Union befanden sich in Moskau. Ohne Russland konnte die Union nicht existieren. Wie sollte es weitergehen? Darüber herrschte Uneinigkeit. Kritiker sahen durch die Unabhängigkeit Russlands die Möglichkeit, die inzwischen unpopuläre Führung Gorbatschows abzuschütteln. Dieser geriet zwischen die Fronten der immer offener auftretenden Opposition um Boris Jelzin, der die Reformen Gorbatschows nicht weit genug gingen und den Konservativen, denen sie zu weit gingen. Dazu kam noch, dass jede der Republiken sich bei der Verteilung von Ressourcen im Nachteil sah. Gorbatschow ließ im März 1991 ein Referendum über den Erhalt der UDSSR abhalten, was von den drei baltischen Republiken sowie Georgien, Armenien und Moldawien boykottiert wurde. In den restlichen Republiken sprachen sich mehr als 77 Prozent für den Erhalt der Sowjetunion aus. Doch damit war das Kräftemessen zwischen Russland und der Sowjetunion nicht beendet. Am 17. April 1991 wurde in Russland das Präsidentenamt eingeführt, in einer Wahl gewann Boris Jelzin diese mit mehr als 57 Prozent. Damit hatte Jelzin mehr Legitimität als Gorbatschow, der als Präsident der UDSSR ein Jahr zuvor durch den Obersten Rat gewählt worden war.
Es wurden Verhandlungen mit Gorbatschow und Russland, der Ukraine, Belarus, Aserbaidschan und den zentralasiatischen Republiken geführt, um einen neuen Unionsvertrag auszuhandeln. Für den Sommer 1991 war die Gründung der Union Souveräner Staaten geplant, eines föderativen Staatengebildes. Jelzin wurde durch einige Politiker des demokratischen Lagers aufgefordert, diesen Vertrag nicht zu unterzeichnen, da man befürchtete, dass Russland sich dann in ständigem Konflikt mit der Unionsregierung befinden würde. Am 19. August, einen Tag vor dem geplanten Vertragsabschluss, kam es zu einem Putschversuch der Hardliner aus der Unionsregierung, um den Erhalt der Sowjetunion zu erzwingen. Der Putsch wurde niedergeschlagen, Boris Jelzin stand auf einmal als Sieger gegenüber Gorbatschow da. Der Staatsrat der UDSSR erkannte am 5. September die Unabhängigkeit der baltischen Staaten an, ohne dass ein vorgeschriebenes Referendum durchgeführt worden war.
Nun drängte auch die Ukraine auf Autonomie. Bereits am 24. August hatte man die Unabhängigkeit proklamiert, bei einem Referendum am 1. Dezember 1991 stimmten mehr als 90 Prozent für die diese. Die Ukraine war für Gorbatschow die zweitwichtigste Republik für eine neue Konföderation gewesen, jetzt war seine Idee nicht mehr umzusetzen. Er drängte weiter auf eine Einigung mit den Republiken, doch ein Treffen Jelzins mit den Präsidenten der Ukraine und Belarus durchkreuzte seine Pläne. Am 8. Dezember 1991 wurde die Auflösung der UDSSR dort für bereits geschehen erklärt und die Schaffung eines losen Verbundes, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) vereinbart. Am 12. Dezember wurde durch den Obersten Rat Russlands das Abkommen ratifiziert, die russische Delegation aus den beiden Kammern des Obersten Rates der Sowjetunion abberufen. Damit war dieser nicht mehr entscheidungsfähig. Am 25. Dezember legte Gorbatschow sein Amt nieder. Am 26. Dezember erklärte das Oberhaus des Obersten Rates der UDSSR die Existenz der Union für beendet.
Die Auswirkungen des Zerfalls der UDSSR auf die NATO
Im Gegensatz zum Warschauer Pakt blieb die NATO bestehen. Ab 1999 drängten immer mehr Länder, die vormals dem Warschauer Pakt angehörten, in das Verteidigungsbündnis. Waren es von 1952 bis 1999 nur vier Länder, die beitraten, nämlich:
Aktuell sind 30 StaatenMitglied der NATO. Weitere Staaten können aufgenommen werden. Die NATO-Mitgliedschaft ist offen für "jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrages zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen". All diese Staaten traten dem Bündnis aus freien Stücken bei. Einige hielten vorher Referenden ab, die durchweg als Ergebnis eine Zustimmung fanden. In anderen Ländern, wie beispielsweise Bulgarien oder der Slowakei, wurden Regierungen, welche einem Beitritt negativ gegenüberstanden, abgewählt. In Russland wurden diese Beitritte nicht gern gesehen. Vertreter Russlands argumentierten, dass durch dieNATO-Osterweiterung vom Westen gegebene Zusagen nicht einhalten würde. In der Tat hatte es während der Verhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands mündliche Zusagen in dieser Richtung gegeben, wie es aus Zeitzeugenberichten und Gesprächsnotizen hervorgeht. Schriftlich fixiert wurde allerdings nur, dass keine ausländischen Streitkräfte oder Atomwaffen auf dem ehemaligen Gebiet der DDR stationiert würden. Allerdings gibt es Aussagen, wie zum Beispiel des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, nach denen die NATO nicht vorhabe, sich weiter nach Osten auszudehnen. Aber auch hier gibt es weder Verträge noch sonstige schriftliche Zusagen. Andererseits hatte Russland sich 1994 im Budapester Memorandum verpflichtet, gemeinsam mit den USA und Großbritannien, die Souveränität von Kasachstan, Weißrussland und der Ukraine anzuerkennen. Im Mai 1997 unterzeichnete die Russische Föderation die Grundakte über die gegenseitigen Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertragsorganisation und der Russischen Föderation. In dieser Grundakte ist festgehalten, dass die NATO und Russische Föderation sich nicht als Gegner betrachten und die Entschlossenheit zur gemeinsamen Verpflichtung zum Bau eines stabilen, friedlichen, ungeteilten und freien Europas zum Ausdruck zu bringen.
Die Rolle der NATO nach dem Kalten Krieg
Nach dem Zusammenbruch der UDSSR und dem Ende des Kalten Krieges hatte sich die politische Weltlage verändert. Dem musste sich auch die NATO anpassen und entwickelte 1991 ein neuesKonzept. War bis dahin in Artikel 5 des NATO-Vertrages geregelt, dass die NATO nur zur Verteidigung des Bündnisgebietes agieren konnte, so war es ab da möglich, dass auch andernorts Konflikte verhütet oder Krisen bewältigt werden konnten. Das schloss auch Militäreinsätze außerhalb des Bündnisgebietes ein. Doch bereits bevor die neue Doktrin verabschiedet wurde, griff die NATO in den Kosovo-Krieg ein und bombardierte Belgrad. Man hatte zwar im Vorfeld versucht, ein UN-Mandat zu erhalten, dieses war jedoch im Sicherheitsrat durch Russland verhindert worden. Daher war der Angriff ohne dieses Mandaterfolgt, was zahlreiche Kritiker als völkerrechtswidrigbezeichneten.
Am 11. September 2001 kam es zu dem wohl folgenreichsten Terrorangriff, den es jemals gegeben hat. Zwei Flugzeuge flogen in die Türme des World-Trade-Centers, ein weiteres in das Pentagon. Eine vierte Maschine erreichte das Ziel, womöglich Camp David, nicht. Mehr als 3000 Menschen starben, die Zwillingstürme stürzten ein. Urheber war die Terrororganisation Al-Qaida unter der Führung von Osama Bin-Laden. Als Rückzugsort wurde Afghanistan ausgemacht. Am 12. September verurteilte der UN-Sicherheitsrat die Terroranschläge. Seine 15 Mitglieder forderten einstimmig, die Täter und die Hinterleute zur Verantwortung zu ziehen. Auch bekundeten sie ihre Entschlossenheit, die "verursachten Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit allen Mitteln zu bekämpfen". Der Sicherheitsrat wies in seiner Sitzung auch darauf hin, dass ein Bündnisfall vorliege, sofern zweifelsfrei feststehe, dass die Anschläge auf die USA vom Ausland ausgeführt worden seien. Am 2. Oktober verkündete der damalige NATO-Generalsekretär Robertson, dass die USA die entsprechenden Beweise vorgelegt hätten. In der Folge beschlossen die damals 19 Mitgliedsstaaten einstimmig und erstmals, dass ein Bündnisfall nach Artikel 5 des Vertrages vorliege. Dazu erkannte die NATO die notwendigen Voraussetzungen für den Bündnisfall als erfüllt an: Die Täter seien Teil des Netzwerkes Al-Quaida gewesen, wodurch feststehe, dass die Angriffe aus dem Ausland gesteuert worden seien. Bereits am 7. Oktober begann die "Operation Enduring Freedom" (OEF). Ziel war es, die Al-Quaida in Afghanistan zu zerschlagen und das Taliban-Regime zu stürzen, beruhend auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, in dem das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung garantiert wird.
Dieser Einsatz beschränkte sich nicht nur auf Afghanistan. Die USA hatten kurz nach den Anschlägen zum "Krieg gegen den Terror" und zur Gründung einer internationalen Anti-Terror-Allianz aufgerufen. Militäreinsätze fanden im Rahmen der OEF in anderen Weltregionen statt, zum Beispiel am Horn von Afrika, in der Sahara und auf den Philippinen. Erst im Dezember 2014 erklärten die USA den Einsatz der OEF in Afghanistan für beendet.
Der Ukraine-Krieg und die Norderweiterung
Mit dem Zerfall der UDSSR schien die Gefahr eines Krieges gebannt zu sein. Doch am 9. August 1999 wurde Wladimir Putin von Boris Jelzin zum Ministerpräsidenten ernannt und damit der zweitmächtigste Mann Russlands. Im beginnenden zweiten Tschetschenienkrieg griff er hart durch und machte sich damit einen Namen. Im Dezember 1999 legte Jelzin sein Amt nieder, Putin wurde zum kommissarischen Staatschef. Die Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 gewann er. Seine erste reguläre Amtszeit war bestimmt durch eine Wiederbetonung der sowjetischen Vergangenheit als Erbe des Nationalstolzes, das erfolgreiche Zurückdrängen der Bedeutung der Oligarchen, den Tschetschenien-Konflikt und den Untergang der Kursk. Von 2004 bis 2008, während seiner zweiten Amtszeit, baute er seine Macht weiter aus. Er entmachtete Gouverneure und förderte die Wirtschaft, was eine relativ stabile Verbesserung der allgemeinen Lebensumstände nach sich zog. Allerdings ging er auch mit rabiaten Mitteln, welche oft gegen die Presse- oder Meinungsfreiheit verstießen, gegen Oppositionelle und Kritiker vor. Laut Verfassung war es ihm nicht möglich, 2008 ein weiteres Mal um das Amt zu kandidieren. So schickte er seinen Dimitri Medwedew ins Rennen, der die Wahl auch gewann und Putin sofort wieder zum Ministerpräsidenten bestimmte. Putin, formal der zweite Mann im Staat, ließ aber nie Zweifel daran aufkommen, wer die Macht in Russland hatte. 2012 trat er selber wieder zur Wahl an, die er auch nach offiziellen Angaben gewann. Demonstrationen gegen Korruption oder Maßnahmen der Regierung wurden gewaltsam aufgelöst. Auch außenpolitisch verschärfte sich unter Putin die Lage. In der ukrainischen Stadt Kiew kam es 2014 zu den Maidan-Unruhen, die zum Sturz des russlandfreundlichen Präsidenten Janukowytsch führten. Putin antwortete darauf mit außenpolitischen Maßnahmen.
1954 hatte Russland die Krim an die damalige Sowjetrepublik Ukraine übertragen, die damit nach dem Zerfall der UDSSR Teil der Ukraine geworden war. Im März 2014 ließ Putin die Krim besetzen und wieder in den russischen Staat eingliedern. Als Begründung hatte er, als er den Russischen Föderationsrat um Erlaubnis zum Truppeneinsatz gebeten hatte, angeführt, dass durch die ukrainische Politik russische Staatsbürger in Gefahr wären. Der Westen verurteilte die Aktion, sah man doch die staatliche Souveränität der Ukraine und die europäische Friedensordnung in Gefahr. Im April 2014 riefen pro-russische Separatisten im Osten der Ukraine zwei selbst verwaltete Gebiete aus und bildeten zwei neue Volksrepubliken, Luhansk und Donezk. Umgehend trat Russland als Schutzmacht auf. 2017 wurden nach einem Dekret Putins die Pässe der Volksrepubliken vom russischen Staat als gültig anerkannt. Im Nahen Osten unterstützte Putin im syrischen Bürgerkrieg Präsident Assad. Nachdem er 2018 erneut gewählt wurde und seine vierte Amtszeit angetreten hatte, wurde 2020 eine Verfassungsänderung durchgesetzt, die es ihm ermöglicht, bei zukünftigen Wahlen erneut zu kandidieren.
Bei alldem war es der NATO nicht möglich, in irgendeiner Form einzugreifen, da die Ukraine nicht Mitglied der NATO war. Somit kam der Bündnisfall nicht in Frage. Putin hat sich immer wieder gegen eine Osterweiterung der NATO ausgesprochen. Er beruft sich dabei auf angebliche Zusagen während der Verhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands. Ferner vertritt er die Meinung, dass Russland 1991 durch die Gründung der Ukraine ausgeraubt worden sei. Er behauptet, es gäbe keine ukrainische Nation, sondern nur eine große russische Nation mit der Ukraine als Teil davon. Und es scheint, als ob er sich durch die weiter nach Osten vorgeschobenen Grenzen mittels der NATO-Beitritte bedroht fühlt. So kam es im Februar 2022 zum Überfall auf die Ukraine. Dies hat nun Folgen, die erneut die weltpolitische Lage verändern könnten. Die sich bisher immer neutral verhaltenden Staaten Schweden und Finnland haben, wohl auch, weil die Möglichkeit einer russischen Invasion besteht, Anträge auf eine NATO-Mitgliedschaft eingereicht. Diese könnten im beschleunigten Verfahren bald angenommen werden. Putin hat daraufhin bereits mit Konsequenzen gedroht. Auch der türkische Ministerpräsident Erdogan stellt sich gegen die Aufnahme der beiden Staaten.
Fazit
Während des Kalten Krieges war die NATO als Verteidigungsbündnis eine Art Garantie für den Frieden. Hatte sie als "Gegner" den Warschauer Pakt, so sieht sich das Bündnis jetzt neuen Herausforderungen gegenüber und wird sogar als "Weltpolizei" bezeichnet, was sie nicht sein kann und nicht sein darf. Durch die zunehmende Zahl der beigetretenen Länder und die Anträge derer, die sich bisher immer als neutral bezeichnet haben, wächst damit auch die Gefahr, dass man als "Unbeteiligter" in einen Konflikt mit hineingezogen wird, wie es 1914 der Fall gewesen ist. Doch die Frage darf gestellt werden: Kann man heutzutage, im Zeitalter von Atomwaffen und Langstreckenbombern, sich als unbeteiligt bezeichnen? Und ist die NATO noch in der Lage, einen Frieden zu garantieren?
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