Auch während der Cholera in Hamburg 1892 war Solidarität zu beobachten. "Es gab Bürgerkomitees, die die Gesundheitsfürsorge in die Hand nahmen", sagt der Direktor des Medizinhistorischen Museums der Hansestadt und Professor Philipp Osten. "Die haben Desinfektionskolonnen organisiert und abgekochtes Trinkwasser ausgegeben."
Aufklärung und Transparenz als Gebot der Stunde
Auch Gerüchte und Verschwörungstheorien kennt die Seuchengeschichte zur Genüge. Aufklärung und Transparenz sehen Historiker daher als wichtige Lehren. Beispiel Spanische Grippe, die Schätzungen zufolge im März 1918 zwischen 25 und 50 Millionen Menschen das Leben kostete. "Das Bagatellisieren oder das Wegschauen und Verleugnen einer Seuchengefahr ist ein Problem", sagt der Medizinhistoriker Volker Roelcke. Berichte zeigten, dass die zuständigen Behörden die Gefahr in Amerika, wo die Grippe ausbrach, zunächst ignorierten.
"Erst zwei, drei Monate später, als es eine größere Zahl von Betroffenen gab, haben die Behörden reagiert - aber nicht davon abgesehen, zum Beispiel amerikanische Soldaten nach Europa zu schicken", erklärt der Professor der Universität Gießen.
Und auch die "soziale Distanz" feierte während der Spanischen Grippe schon erste Erfolge. In St. Louis kam es nach Angaben des Münchner Historikers Nicolai Hannig zu Schulschließungen und Isolationen. Eine US-Studie belegte später: Während dort die Zahl der Infizierten nur langsam anstieg, schnellten in Philadelphia, wo es selbst nach den ersten Fällen noch öffentliche Paraden gab, die Zahlen in die Höhe.
Die Vorsorgemaßnahmen, die man damals ergriffen hat, sind recht vergleichbar mit unseren heutigen, sagt Hannig, der zur Geschichte von Naturkatastrophen und ihrer Bewältigung forscht. Er plädiert allerdings dafür, künftig noch genauer auf Probleme zu achten, die erst aus der Vorsorge entstehen - etwa die langfristigen Folgen von Quarantäne und Kontaktverboten für Wirtschaft und Gesellschaft.
Gibt es alle 100 Jahre eine Pandemie?
Nachdem nun einige Gemeinsamkeiten vergangener Pandemien und Seuchen mit dem neuartigen Coronavirus genannt wurden, lässt sich noch einmal auf die interessierende Frage blicken: Wird die Welt alle 100 Jahre von einer Pandemie verwüstet? Im Internet ist die Behauptung zu finden, dass Pandemien in einem 100-jährigen Rhythmus auftreten. Bei der Bewertung dieser Aussage fällt Folgendes auf: Der Abstand der genannten Infektionen entspricht nur ungefähr 100 Jahren. Zudem ist die Auswahl vollkommen willkürlich. Andere verheerende Seuchen fallen unter den Tisch, um den Anschein eines 100-Jahre-Rhythmus zu erwecken.
Der Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven wirft einen Blick auf die Fakten und ist angesichts der 100-Jahre-Theorie skeptisch. "Zwischen den Pandemien traten noch viele weitere Epidemien auf, die hier unterschlagen werden", sagte der Professor der Uni Erlangen-Nürnberg auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Etwa fehlt die Asiatische Grippe. Auch weitere Pandemien wie die Pocken oder Tuberkulose werden nicht genannt.
Dass einige Pandemien zudem im Abstand von circa 100 Jahren auftreten, stimme nur auf den ersten Blick, erklärte Leven. Die erste Cholera-Pandemie datiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf 1817 und nicht auf 1820. Die Spanische Grippe verbreitete sich schon ab 1918 und der Ausbruch des neuartigen Coronavirus begann bereits 2019 in China. "Das heißt, der Ansatz des 100-jährigen Rhythmus ist von Anfang an verfehlt, ungenau und völlig willkürlich. Er erklärt überhaupt nichts", so Leven.