Es sind Jahreszahlen, die sich scheinbar auf erstaunliche Weise gleichen: Im Jahr 1720 die Pest, 1820 die Cholera, 1920 folgt die Spanische Grippe - und nun 2020 das neuartige Coronavirus. Die Folgen von Covid-19 sind noch lange nicht abzusehen.
Wird die Welt tatsächlich alle 100 Jahre von einer Pandemie heimgesucht? Das wird zumindest in sozialen Medien vorgerechnet. Frühere Pandemien und einige damals getroffene Maßnahmen können mit der heutigen Situation verglichen werden. Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven, Professor der Uni Erlangen-Nürnberg, wirft einen Blick auf die Behauptungen.
Viele geschichtliche Beispiele im Umgang mit Seuchen
Eine ansteckende Krankheit breitet sich aus, eingeschleppt von Reisenden aus Asien. Als eine der ersten ist die Hafenstadt Venedig in Norditalien betroffen. Schon bald erlassen die Stadtoberen Quarantäne-Maßnahmen und riegeln den Zustrom von Fremden und Händlern ab. Was womöglich klingen mag wie ein Szenario aus der aktuellen Corona-Pandemie, ist tatsächlich aber ein Rückblick auf die Pest im 14. Jahrhundert. Kaum eine andere Seuche hat in der Geschichte so viel Angst und Schrecken ausgelöst wie der "Schwarze Tod" und in Europa zig Millionen Menschen dahingerafft.
"Mit Seuchenbedrohungen hat man in der Geschichte bis in unsere eigene Gegenwart immer wieder zu tun gehabt", sagt der Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven. Die Pest, die durch ein Bakterium ausgelöst wird, und das neue Coronavirus lassen sich zwar medizinisch nicht vergleichen. Doch die Geschichte biete ein "Reservoir von Beispielen" im Umgang der Gesellschaften mit Seuchen, erklärt der Professor der Universität Erlangen-Nürnberg.
So war etwa die Bekämpfung der Pest einer der Startpunkte für den Ausbau eines öffentlichen Gesundheitswesens in Europa. "Die Seestädte im Mittelmeer haben, unmittelbar als der Schwarze Tod 1347 aus dem Orient mit Schiffen eingeschleppt wurde, gar nicht reagieren können", erklärt Leven. Todesraten von 30 bis 40 Prozent seien die Folge gewesen. Doch bei Epidemien in den Folgejahren entwickelten Städte wie Florenz, Venedig und Marseille Gegenmaßnahmen: Etwa wurden Waren und Reisende auf vorgelagerten Inseln eine Zeit lang in Obhut genommen. Die Dauer der Internierung variierte, häufig waren es um 40 Tage Quarantäne - abgeleitet von dem französischen Wort "quarante" für die Zahl 40.
Quarantäne als Vorsorge
Häuser wurden versiegelt und Kranke in spezielle Pest-Lazarette gebracht. "Auch dort bestand also so eine Art Ausgangssperre wie heute, bei der die Leute zuhause blieben und das öffentliche Leben erstarrte - wenngleich die Umstände andere waren", sagt Leven. Unmut regte sich über solche Einschränkungen bei der Kirche und der Wirtschaft.
Doch auch Solidarität und Hilfsbereitschaft wurden in Krisenzeiten gelebt. Leven erinnert etwa an den Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo, der bei einer späteren Pest im 16. Jahrhundert die Kranken und unter Quarantäne Stehenden aufrief, die Messe von ihren Fenstern aus zu verfolgen. "Heute sehen wir die Bilder aus Italien, die zeigen, wie Menschen auf ihren Balkonen stehen und singen. Das ist quasi die säkulare Form der damals eingeführten Messen", sagt Leven.
Auch während der Cholera in Hamburg 1892 war Solidarität zu beobachten. "Es gab Bürgerkomitees, die die Gesundheitsfürsorge in die Hand nahmen", sagt der Direktor des Medizinhistorischen Museums der Hansestadt und Professor Philipp Osten. "Die haben Desinfektionskolonnen organisiert und abgekochtes Trinkwasser ausgegeben."
Aufklärung und Transparenz als Gebot der Stunde
Auch Gerüchte und Verschwörungstheorien kennt die Seuchengeschichte zur Genüge. Aufklärung und Transparenz sehen Historiker daher als wichtige Lehren. Beispiel Spanische Grippe, die Schätzungen zufolge im März 1918 zwischen 25 und 50 Millionen Menschen das Leben kostete. "Das Bagatellisieren oder das Wegschauen und Verleugnen einer Seuchengefahr ist ein Problem", sagt der Medizinhistoriker Volker Roelcke. Berichte zeigten, dass die zuständigen Behörden die Gefahr in Amerika, wo die Grippe ausbrach, zunächst ignorierten.