Ein neues Gutachten zum Missbrauch im Bistum Würzburg wurde nun vorgelegt. Die Zahlen sind teilweise erschreckend: Bei mehreren Hundert Fällen gibt es kaum Anklagen und Verurteilungen.
Die Zahlen sind erschreckend: 51 Beschuldigte, 226 Betroffene, 449 mutmaßliche Taten - das ist das Ergebnis eines Gutachtens über sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen im Bistum Würzburg zwischen 1945 und 2019.
Von den mutmaßlichen Tätern, gegen die es einen plausiblen Verdacht gebe, seien 50 Männer, sagte ein Sachverständiger, der im Auftrag der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs (Ukam) in der Diözese ein Gutachten erstellte. Die meisten Opfer seien Mädchen gewesen, unter anderem missbraucht im Kommunionsunterricht, sagte Gutachter Hendrik Schneider, ein Rechtsanwalt aus Wiesbaden, der eine strafrechtliche und kriminologische Auswertung der Bistumsakten durchführte.
Hunderte Missbrauchsfälle im Bistum Würzburg - kaum Verurteilungen
43 der mutmaßlichen Täter seien Kleriker gewesen, also religiöse Amtsträger in der katholischen Kirche wie Pfarrer, die unter Verantwortung der Diözese Missbrauchstaten begangen hätten. Laut Gutachten gab es damals teils Verschleierungsversuche, auch von Bistumsangehörigen. Rechtskräftig verurteilt worden sei kaum ein Sexualstraftäter: "Die Quote ist verschwindend gering, sie liegt im einstelligen Bereich", sagte Schneider, acht oder neun Prozent.
2018 legte die katholische Kirche die sogenannte MHG-Studie vor, die Tausende Missbrauchsfälle bundesweit auflistete. In dem Gutachten zum Bistum Würzburg sind laut Schneider keine Fälle aufgelistet, die nicht schon bekannt waren. Es sei dabei nichts Neues zutage getreten. "Bis Anfang der 2000er Jahre gab es systematischen Schutz einzelner Kleriker, denen Missbrauch vorgeworfen wurde, und Fälle, in denen die Aufklärung nach heutigen Maßstäben unzureichend erfolgte", sagte Schneider.
Die Strategie des Schutzes der Institution Kirche wandele sich nun langsam zu einer Kultur des Hinschauens. "Mittlerweile hat das Bistum Strukturen geschaffen, um Gefährdungslagen zu vermeiden und auf Missbrauchsverdachtsfälle adäquat zu reagieren." Sexueller Missbrauch sei eine Wunde, die nicht heile, sagte der Würzburger Bischof Franz Jung. "Ohne die Betroffenen und ihre Berichte wären wir nicht in der Lage gewesen, die Aufarbeitung der Missbrauchsverbrechen anzustoßen." Er bitte um Entschuldigung für die Jahre der Untätigkeit der Kirche.
Bistum betont Verbesserungen - und bittet um Entschuldigung
Für das Gutachten hatte der externe Sachverständige 240 Akten des Bistums geprüft, die im Zusammenhang mit Missbrauchsverdacht vorlagen. Vereinzelt seien Strafakten von Staatsanwaltschaften ausgewertet worden und für einzelne Fragen auch Akten des Diözesanarchivs. Ferner seien 30 Menschen befragt worden, darunter aktuelle oder ehemalige Funktionsträger des Bistums, anderer kirchlicher Institutionen, der Strafverfolgungsbehörden, Experten sowie Betroffene. Durch ein Hinweisgebersystem im Internet konnten bisher nicht bekannte mutmaßliche Missbrauchshandlungen anonymisiert mitgeteilt werden.
"Es waren schwierige Zeiten, es war viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt für alle Betroffenen", sagte ein Betroffenenvertreter, der Mitglied der Ukam ist. Aufgrund ungenauer Angaben in Akten wurden für das Gutachten auch Schätzwerte herangezogen: Danach ergäben sich sogar 3.053 Taten für denselben Personenkreis. Bei der ersten Tat seien die Verdächtigen im Schnitt 40,5 Jahre alt gewesen. Mit 62 Prozent sei die Mehrheit der mutmaßlich Geschädigten damals zwischen 6 und 11 Jahre alt gewesen. Dem Bistum wurden die mutmaßlichen Übergriffe durchschnittlich 25,7 Jahre nach Tat bekannt.