Amt für Migration und Flüchtlinge: Im Spagat zwischen Tempo und Sorgfalt

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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, aufgenommen in Nürnberg Foto: Armin Weigel/dpa
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, aufgenommen in Nürnberg Foto: Armin Weigel/dpa
Joachim Burger zieht einen weiteren Asylantrag aus dem Aktenschrank. Foto: Ronald Rinklef
Joachim Burger zieht einen weiteren Asylantrag aus dem Aktenschrank. Foto: Ronald Rinklef
 

In den Augen vieler steht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für einen Staat, der in der Flüchtlingsfrage die Kontrolle verloren hat.

So also geht es zu in einem Amt, das die Öffentlichkeit gern als Hort bürokratischen Phlegmas brandmarkt: Um sieben sperrt Joachim Burger sein Büro auf und nimmt die ersten Akten in die Hand. Unterbrochen von 45 Minuten Mittagspause liegen jetzt neun, oft zehn Stunden Arbeit vor ihm.

Er wird in dieser Zeit die Lebensgeschichten von Menschen hören, die vor Terror und Krieg geflüchtet sind oder sich in Deutschland einfach ein besseres Leben erhoffen. Später wird er darüber befinden, ob sie in Deutschland bleiben dürfen oder das Land verlassen müssen.

Joachim Burger ist Entscheider, sein Büro befindet sich in der Schweinfurter Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).


Gewachsene Bedeutung

In den Augen vieler steht das BAMF symbolisch für einen Staat, der in der Flüchtlingsfrage institutionell und politisch die Kontrolle verloren hat. Aber noch die schärfste Kritik ist von der Einsicht getragen, dass ein effektiv arbeitendes BAMF das Alpha und Omega einer gelingenden Flüchtlingspolitik ist.

Auf zwei Überzeugungen haben sich die Deutschen in Monaten des Diskutierens und Streitens inzwischen verständigt: Flüchtlinge, die keine Bleibeperspektive besitzen, sollen schneller das Land verlassen. Flüchtlinge, die Anspruch auf Asyl haben, sollen schneller arbeiten oder eine Ausbildung beginnen dürfen.

Ob dieser flüchtlingspolitische Konsens Wirklichkeit wird, entscheidet sich maßgeblich in den Büros des BAMF. Er kann es nur dann, wenn dort schneller als bisher über die Anträge der Asylbewerber entschieden wird. Ende Februar stapelten sich dort aber noch immer 393.000 anhängige Verfahren beim BAMF. Hinzu kommen geschätzte 400.000 Asylbewerber, die ihren Antrag noch gar nicht gestellt haben. Bis Juli will BAMF-Chef Frank Jürgen Weise den Antragsstau, den er als "beschämend für Deutschland" empfindet, abgetragen haben.

"Wir werden das nicht ohne neues Personal schaffen", sagt Joachim Burger. Er spricht in diesem Zusammenhang auch von sich, denn Burger arbeitet selbst erst seit neun Monaten als Entscheider. Zuvor war der Verwaltungsfachwirt bei einer Tochtergesellschaft der Post tätig.


Maulkorb für den Personalrat

Sechs Wochen lang ist er von einem erfahrenen Entscheider darauf vorbereitet worden, existenziell wichtige Entscheidungen für fremde Menschen zu treffen. Burger ist in Sachen Asylrecht und Datenverarbeitung unterrichtet worden und hat gelernt, wie er an Informationen zu den Herkunftsländern kommt: "Ich fühle mich meiner Aufgabe vollauf gewachsen."

Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl hält es dagegen für "hoch problematisch", dass die Ausbildung zum Entscheider inzwischen nur noch eine Sache von Wochen ist. "Ohne interkulturelle Kompetenz sollte niemand als Entscheider arbeiten", sagt er. Auch der BAMF-Personalrat Rudolf Scheinost sah sich jüngst herausgefordert die Bedeutung gut ausgebildeten Personals hervorzuheben: Sie, die Mitarbeiter, entschieden "in rechtlich und menschlich sehr häufig schwierigen Fällen über Flüchtlingsschicksale". Seinen Hinweis erläutern darf der Personalrat nicht mehr, die BAMF-Leitung hat ihm inzwischen einen Maulkorb verpasst.


Eine Frage der Sicherheit

Bereits im November hatte der Personalrat gerügt, dass die Beschleunigung der Verfahren mit rechtsstaatlichen Standards "nicht vereinbar" sei. In sicherheitspolitischer Hinsicht sät diese Einschätzung Zweifel daran, ob das BAMF die Identität der Antragsteller sorgfältig genug überprüft.

Dass unter den Flüchtlingen Straftäter, vielleicht auch Dschihadisten sein könnten, ist immerhin nicht vollständig auszuschließen. Die zweite Dimension berührt die Frage, ob sich Flüchtlinge auch künftig auf die zustehende individuelle Prüfung ihrer Fluchtgründe zählen können oder ob dieser Rechtsanspruch in der Praxis zunehmend verwässert wird. Die Frage also ist, ob es die Entscheider im Zweifel bei einer Nachfrage belassen, wo sie früher drei oder vier Mal im Gespräch mit einem Flüchtling nachgehakt hätten. Oder grundsätzlicher formuliert: Ob sich in der Asylbürokratie Tempo und Sorgfalt wirklich vereinbaren lassen.

Mesovic gewinnt beim Anblick von Anhörungsprotokolle schon heute bisweilen den Eindruck, dass Entscheider kein wirkliches Interesse daran hatten, den jeweiligen Asylgründen auf den Grund zu gehen. "Es wurde da kaum nachgefragt." Vor allem Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen benötigten aber einen geduldigen Entscheider: "Sonst öffnen sie sich nicht und halten unter Umständen mit ihren Fluchtgründen zurück", sagt auch der Schweinfurter Anwalt Joachim Schürkens.


Fünf Afghanen am

 Tag
In seinen Augen drohen Entscheider derzeit zu Erfüllungsgehilfen der Politik und deren Wunsch nach schnellen Verfahren zu werden. Der Selbstwahrnehmung Burgers widerspricht Schürkens Eindruck fundamental: "Ich lasse mich nicht drängen. Jeder Flüchtling bekommt die Zeit, die er braucht." Das heißt indes nicht, dass sich Burger seine Arbeitstage einteilen kann, wie er möchte. Pro Tag sind drei Ukrainer oder fünf Afghanen bei ihm vorgeladen. "Es ist aber kein Muss, diese Zahlen auch einzuhalten. Es sind Richtwerte", sagt Gira Gehrmann von der BAMF-Pressestelle.

Gerüchte über zentral vorgegebene Erledigungszahlen und Sanktionen für entsprechend säumige Entscheider verweist sie in das Reich der Fabeln. Auch Mesovic kennt diese Gerüchte, allerdings "nur vom Hörensagen". Burger selbst hält sein Arbeitspensum "für gut machbar". Nach den Anhörungen verfasst er Bescheide. Er formuliert diese immer öfter auch an Samstagen, nachdem die Entscheider inzwischen bis zu 40 Überstunden im Monat schieben müssen.

Der Mehrarbeit begegnet Burger mit Lakonie. "Wir haben schon früher Überstunden gemacht. Jetzt bekommen wir Geld dafür."



Das BAMF


Zuwachs Waren es im Oktober 2015 noch 370 Entscheider, stehen dem BAMF aktuell 860 Entscheider zur Verfügung. Zum 30. Juni sollen es 1700 sein.

Dauer Durchschnittlich liegen 5,7 Monate zwischen dem Moment, in dem ein Flüchtling seinen Antrag stellt und der Entscheidung darüber.

Antrag Wie viel Zeit verstreicht, bis ein Asylbewerber nach seiner Ankunft den Antrag überhaupt stellt, erfasst das BAMF allerdings nicht.