Rachel Garonne versuchte in Willmars herauszufinden,   warum ihre Großeltern das Zertifikat für die Einreise nach Palästina 1937 nicht genutzt hatten.
                           
          
           
   
            Warum haben es die Großeltern nicht mehr geschafft vor  dem Holocaust Willmars zu verlassen? Das Zertifikat für die Einreise  nach Palästina hatten sie bereits, doch aus unbekannten Gründen haben  sie es nicht genutzt. Stattdessen wurden sie deportiert und in Riga  letztlich erschossen. Das Drama ihrer Familie ist für Rachel Garonne  (78) unerklärlich, zumal über dieses Detail der Familiengeschichte nie  gesprochen wurde. Sie hat es erst vor wenigen Jahren erfahren. Doch der Reihe nach. Rachel Garonne wurde in Tel Aviv geboren und ist  dort aufgewachsen. Ihre Vorfahren allerdings stammen aus Willmars.  Es  war im Jahr 2004 da starb ihre Tante Nelli, die Schwester ihrer Mutter  Hertha. Im Nachlass fand Rachel Garonne ein interessantes Detail. 
       
Die  Abschiedsrede vom 1. Oktober 1937 der jüdischen Gemeinde Willmars für  Emanuel Kurzmann, ihren Großvater. Die Gemeinde bedankt sich bei Emanuel  Kurzmann für dessen umfangreiches Engagement als langjähriger Vorstand  der jüdischen Gemeinde und Synagoge in Willmars. In jener Rede wird zum  Schluss jenes Zertifikat für Palästina erwähnt und Emanuel Kurzmann,  seiner Frau Karoline sowie Tochter Hertha eine gute Reise gewünscht. Die  ältere Tochter der Familie, Rachels Tante Nelli, war zu dieser Zeit  schon in Palästina. Doch nur Hertha schaffte es auszureisen. Warum die  Großeltern ihr Zertifikat nicht nutzen konnten, ist das große Geheimnis  der Familie. "Dann haben wir angefangen zu fragen, doch es waren schon  alle tot", bedauert Rachel Garonne, dass sie nun keine Möglichkeit mehr  haben wird, Licht in diese Tragödie der Familie zu bringen. 
Im Sommer diesen Jahres, als feststand, dass sie erneut nach Deutschland  kommen wird, nahm sie Kontakt mit dem Standesamt in Ostheim auf. Sie  wurde an Elisabeth Böhrer aus Sondheim verwiesen, die schon vielen  Menschen jüdischer Herkunft hilfreich zur Seite stand, Stammbäume  erstellte und Details zur Familiengeschichte erforschte. So begleitete  sie auch Rachel Garonne, die in Begleitung ihrer Tochter Inbal Garonne  und ihrer Nichte Shir Gideon, sie ist Pressesprecherin der Israelischen  Botschaft in Berlin, nach Willmars kam. 
Begrüßt wurden die Gäste auch von Bürgermeister Reimund Voß, der sie auf  ihrer Runde durch Willmars begleitete. Elisabeth Böhrer hat sich mit der  Geschichte der Familie befasst und konnte ihnen die Häuser zeigen, in  denen ihre Vorfahren lebten und arbeiteten. Auch die ehemalige Synagoge  war eine Station der Tour durch den Ort. 
Bewegend der Besuch des Friedhofs. "Ich bin sehr froh, dass er so gut  gepflegt wird", sagte Rachel Garonne. Elisabeth Böhrer konnte ihr die  Gräber ihrer Urgroßeltern zeigen. Die drei Frauen nutzten die Momente auf  dem Friedhof für ihre eigenes Erinnern und Gedenken. Rachel Garonne spricht hervorragend Deutsch. Sie wuchs zum einem mit der  Sprache innerhalb der Familie auf. Gleichzeitig war sie als junge Frau,  Anfang der 1960er Jahre, als Botschaftsangestellte in Deutschland tätig.  "Ich habe als fast 20-Jährige Nazis für den Eichmann-Prozess befragt."   Später arbeitete sie in Israel als Reiseleiterin für deutschsprachige  Reisegruppen. Oft sei sie mehrfach in der Woche in Yad Vashem gewesen,  der "Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im  Holocaust". Es ist die bedeutendste Gedenkstätte, die an die  nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert und sie  wissenschaftlich dokumentiert. "Sie können sich vorstellen, wie lange  ich mich schon mit dem Thema beschäftige." So interessierten sich die Gäste aus Israel auch für den "Koffer", der  an die Vertreibung und Deportation der jüdischen Mitbürger aus Willmars  erinnert. Der "Koffer" ist Teil des Projekts "Denkort-Deportationen",  mit dem der Juden aus Unterfranken gedacht wird, die von Würzburg aus in  den Jahren 1941 und 1944 in die Todeslager deportiert wurden. Solch ein  nachgebildeter Gedenkkoffer mit den Namen der deportierten jüdischen  Mitbürger steht auch in Willmars. Er wurde von Schülern der zurzeit im  Willmars untergebrachten Herbert-Meder-Schule erstellt. Verwundert fragte Rachel Garonne, warum nur so wenige Namen darauf  verzeichnet seien. Wie Bürgermeister Voß erläuterte sei nur aufgeführt,  wer deportiert wurde und nicht wer vor der Deportation Willmars habe  verlassen können. Rachel Garonne und ihre Familienangehörigen werden das Geheimnis um das  nicht eingelöste Zertifikat von Emanuel und Karoline Kurzmann wohl nicht  mehr lösen können. Der Pass von Karoline Kurzmann liegt heute noch im  Stadtarchiv in Mellrichstadt. "Es war für meine Tante und meine Mutter  wohl zu traumatisch, um darüber zu sprechen, der Schmerz war zu groß."  
Und wie geht es Rachel Garonne heute damit? "Vergessen darf man nie.  Auch wenn es schon 80 Jahre her ist. Ich habe mich als junge Frau oft  gefragt, wenn ich Deutsche sah: Wer bist du? Was warst du?"