Er ist nahezu blind, konnte vor zwei Jahren im Nürnberger Hirsch - vom Drogenkonsum gezeichnet - kaum mehr gehen, nicht stehen. Doch seit sein neuer Manager und Co-Gitarrist Paul Nelson vor einigen Jahren den Drogenersatzstoff Methadon bei Johnny Winter sukzessive abgesetzt hatte, kam der Aufschwung.
In Roth musste der Woodstock-Veteran nicht mehr auf die Bühne geführt werden, sondern er ging wieder selbständig forschen Schrittes ans Mikrophon und legte wie in seinen besten Zeiten mit Bruder Edgar (Keyboarder und Saxophonist, zuletzt in der Ringo All Starr Band) als fin-gerflitzender Blues-Derwisch los. Wie Phönix aus der Asche, die Augen meist geschlos-sen, schien sich der Meister des Texas-Blues in eine andere Welt zu beamen.
Johnny Winter galt bereits vor 1968, ehe er mit The Blues Experiment seine erste Plat-te aufnahm, als Gitarren-"Wunderkind" eines vom Rock´n´Roll beeinflussten Blues. Am 23. Februar 69 Jahre alt geworden, sorgte der Albino nun bei den Rother Bluestagen 2013 mit tief in die Stirn gezogenem Cowboyhut, meist auf einem Barhocker sitzend für einen fulminanten Auftakt. Zusammen mit Paul Nelson an der Rhythmusgitarre, Scott Spray am Bass und Tommy Curiale an den Drums hieß das Motto: "Johnny B. Goode"!
Wer sich eben noch im Foyer die faszinierenden Fotos und Gemälde von Miles Davis ansah, eilte sogleich in den nahezu ausverkauften großen Saal der Kulturfabrik in Roth. Dort ist im Eingangsbereich während der Bluestage vom 11. bis 21. April eine sehens-werte Ausstellung mit Bildern des von Duke Ellington als "Picasso des Jazz" bezeichne-ten Universalgenies zu bestaunen, der zwar als begnadeter Jazz-Trompeter in die Ge-schichte einging, aber auch eine Zweitkarriere als bildender Künstler hinlegte.
Das Quartett im Saal steigerte sich im Laufe des Abends in einen wahren Spielrausch. Der Blues des Johnny Winter ist nicht wehleidig, sondern voller Ecken und Kanten mit treibender Kraft, die durch seine drei Mitstreiter noch verstärkt wird - "Got My Mojo Working" als Power-Blues-Rock. Slow-Blues existiert bei diesem wilden Ritt nicht. Es springt der Jack aus der Kiste, wenn Johnny "Jumping Jack Flash" von den Rolling Sto-nes als wildgewordenen Springteufel vom Stapel lässt. Da staunt der Laie, wie schnell die Finger noch immer über das Griffbrett rasen können und der Fachmann wundert sich über die rasanten Grifffolgen und raffinierten Riffs des "Bluesman". Das gleichna-mige Album erreichte 2004 eine Grammy-Nominierung. Winters Stimme wirkte clean wieder erstarkt, Feeling und Timing stimmig. Der Groove der gesamten Band einfach mitreißend! Seine "Roots" (letztes Studioalbum) wurden in der Essenz des elektrifizier-ten Blues greifbar. Eigentlich lässt sich sein Auftritt gar nicht beschreiben. "You can't describe the blues; you just have to feel it!” meint denn auch der Meister, der 2011 in die "Blues Hall of Fame" in Memphis, Tennessee aufgenommen wurde.
Diesmal gab es sogar wieder Zugaben, obwohl Johnny Winter gegen Ende des Kon-zerts bereits mehrmals herzhaft gähnen musste: "Dust My Broom" mit Bottleneck-Slide-Technik und Daumenpick auf der Gibson Firebird zum Abschied. Dieser Auftritt machte Lust auf mehr und gleich am nächsten Tag waren seine 69-er Woodstock-Kollegen von Ten Years After an der Reihe, die allerdings mit Joo Gooch als Ersatz für ihren erst kürzlich verstorbenen Gitarrenhexer Alvin Lee auftraten und ebenso wie er das "Little Schoolgirl" hochleben ließen. Der Blues in Roth geht die nächsten Tage weiter mit sol-chen für Blueskenner interessanten Namen wie Neil Black & The Healers, Willy Michl, The Bluenotes, The Brew, der Boo Boo Davis Band, der Vargas Blues Band, dem viel beachteten Newcomer Ryan McGarvey und etlichen weiteren Blueskünstlern. Johnny Winters Konzert als Videoclip samt Interview und das gesamte Programm der Rother Bluestage bis zum Abschluss mit der Jessy Martens Band am 21. April ist auf der Homepage
www.bluestage.de einzusehen.