Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern haben am Montag in Nürnberg lautstark auf die Misere in der Altenpflege hingewiesen.
Die Kirche ist voll, obwohl kein Gottesdienst stattfindet. Stattdessen machen sich rund 1500 Altenpfleger am Montag in der Sebalduskirche gemeinsam für eine bessere Pflege stark. Dabei sind die Pflegeverbände durchaus selbstkritisch geworden. Das kommt nicht von ungefähr. Der Ruf der Alten- und Pflegeheime ist verheerend. "Die Menschen beten, dass sie später nicht einmal ins Altenheim müssen. Das ist die Realität", sagt der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern, Leonhard Stärk.
Immer neue Pflegeskandale hätten den Ruf der Branche ruiniert. Dabei dürfte alles noch viel schlimmer sein, wenn das Pflegepersonal nicht versuchen würde, die Engpässe und Missstände mit ihrem persönlichem Einsatz wett zu machen. Der Pflegenotstand sei schon da, obwohl der demografische Wandel noch vor der Tür steht, sagt Stärk und rückt deshalb die Nachwuchssorgen in der Pflege in den Mittelpunkt. "Wir dürfen die Pflegeschüler nicht länger missbrauchen, um Personalengpässe zu stopfen", fordert Stärk.
Auch Dominik Ditl aus Strullendorf klatsch jetzt besonders laut in die Hände. Der 19-Jährige habe schon eine Ausbildungsstelle verlassen, weil die Situation in dem Pflegeheim untragbar gewesen sei. "Ich musste Arbeiten erledigen, die ich noch gar nicht machen durfte", berichtet Ditl und eine Kollegin nickt: "Wir müssen schuften wie die Fachkräfte", sagt Helena Oporowski, die in Ebern im Landkreis Haßberge arbeitet. Selbst in der Ausbildung bleibe keine Zeit für die Pflegebedürftigen. Auch Valentina Hector aus Forchheim fordert: "Wir brauchen mehr Zeit für die Pflege. Das geht nur mit mehr Personal." Dominik Ditl erzählt, wie die Ausbildung in der Realität ausschaut. "Bei meinem früheren Arbeitgeber musste ich zwölf Bewohner morgens im Akkord waschen," sagt der Pflegeschüler während ein junger Kollege nebenan ein Schild mit der Aufschrift "Ausbildung statt Ausbeutung" in den Kirchenhimmel reckt.
Derweil freut sich Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU), dass sich die Träger der Pflegeeinrichtungen mittlerweile "auch selbst an die eigene Nase" packen. Freilich verweist sie auf die Erfolge der Politik. Die Pflegeschüler in Bayern müssten beispielsweise kein Schulgeld mehr bezahlen. Die Bundesregierung habe in dieser Legislaturperiode zudem die Erhöhung der Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte beschlossen. Damit fließen rund 5,6 Milliarden Euro zusätzlich in die Pflegekassen. Gleichzeitig bleibe noch viel zu tun. "Wir müssen auch sagen, dass mehr Qualität mehr kostet", fordert Huml. Die Gesundheitsministerin will aber sicherstellen, dass die Mehrausgaben auch bei den Pflegekräften ankommen und nicht im System versanden. Die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis (SPD) denkt derweil laut darüber nach, wie man schnell mehr Geld in die Pflege stecken könnte. Rund eine Milliarde der Mehreinnahmen durch die Erhöhung der Pflegeversicherung sollten nicht wie vorgesehen in einen Pflegefonds, sondern direkt in die Ausbildung des Pflegenachwuchses fließen.
Politik soll handeln Schwester Roswitha Müller schüttelt derweil mit dem Kopf. "In der Pflege hat Parteipolitik nichts zu suchen", sagt die Ordensschwester aus Nürnberg. Auch auf dem Podium platzt einer Altenpflegerin jetzt der Kragen. "Die Politik redet schon viel zu lange ohne zu handeln", sagt Siglinde Burrack vom Evangelischen Pflegedienst aus München und erntet damit wohl den größten Beifall des Tages. Die gute Stimmung ist schnell verflogen. "Alle schreien nach besserer Leistung, aber niemand will es bezahlen", stellt Leonhard Stärk resigniert fest. Die Misere habe die ganze Gesellschaft verursacht. Viele Menschen wollten heute mit "den Alten" einfach nichts mehr zu tun haben. Ein Ausweg aus dem Pflegenotstand könne deshalb nur gesamtgesellschaftlich gefunden werden. Viele Pflegekräfte fürchten freilich, dass die Probleme auf die sprichwörtlich lange Bank geschoben werden und glauben nicht an schnelle Veränderungen zum Guten. Vielleicht weil die Hoffnung zuletzt stirbt, gehen die frustrierten Pfleger nach der Diskussion in der Kirche auf die Straße, um lautstark auf den Pflegenotstand hinzuweisen. "Die Pflegesituation ist schlecht", sagt der 19-jährige Azubi aus Strullendorf zum Abschied und bläst aus voller Brust in seine Trillerpfeife.