Harte Vorwürfe gegen den Tiergarten Nürnberg: Der Verein ProWal beschuldigt ihn, Delfine nicht vor Baulärm geschützt und so mit Lärm gequält zu haben. Nun nimmt der Tiergarten-Direktor dazu Stellung.
Über die neuerlichen Vorwürfe eines Tierschutz-Vereins kann Tiergarten-Direktor Dag Encke nur den Kopf schütteln. "Die Delfine waren und sind während der Pflasterarbeiten, um die es geht, mit sich selbst beschäftigt. Denn die Gruppe zeigt ein ausgesprochen aktives Sozialleben, seit Rocco und Kai, die zwei neuen Tiere aus Harderwijk, hinzu gekommen sind", sagt der Tiergarten-Direktor und fügt hinzu, keine der Delfine habe Stress-Symptome während der Bau- und Reperaturarbeiten gezeigt.
Anders sieht das Andreas Morlok, der 2009 die
Meeressäuger-Umweltschutzgesellschaft ProWalgegründet hat. Morlok wirft dem Tiergarten vor, die anmutigen Tiere vor Pflasterarbeiten nicht geschützt und so mit Lärm gequält zu haben. Sogar eine Anzeige will Morlok gegen den Zoo auf den Weg bringen. Auch darüber kann Encke nur den Kopf schütteln. "Die Pfleger haben keinen Einfluss der Bauarbeiten beobachten können", sagt Encke und verweist auf die dreijährigen Bauarbeiten an der neuen Delfin-Lagune. "Mit Bauarbeiten kennen sich die Tiere inzwischen aus", sagt Encke mit unverhohlener Ironie.
Alte Unterhose gefunden Barfuß ist Morlok schon von seinem Wohnort in Radolfzell am Bodensee nach Nürnberg gewandert, um die Haltung der Meeressäuger in Gefangenschaft anzuprangern. Morlok ist freilich gegen jeden Zoo, der Delfine in Gefangenschaft hält. Kürzlich ist Morlok deshalb erneut nach Nürnberg gereist, um haarklein die Missstände im Tiergarten aufzudecken. Gefährliche Steine liegen am Wegesrand und bedrohen und gefährden seiner Meinung nach die Besucher. Morlok findet auch herumliegende Bonbon-Papiere. Der Tierschützer wittert Gefahr für Tier und Mensch durch die "Müllhalde". Dann der Gipfel: Morlok findet tatsächlich eine alte Unterhose. Was für ein Skandal. Selbst Türgriffe sind bei Morlok versteckte Gefahrenquellen. Die ganze "Recherche" ist im Netz dokumentiert.
Dag Encke kennt dieses Spiel. Über die wahren Motive macht sich der Tiergarten-Direktor keine Illusionen. "Langfristig geht es um eine schleichende Imageschädigung, die bezweckt wird. Denn es ist jedem bewusst, dass kaum ein Mensch sich mit den Inhalten und der Plausibilität der Vorwürfe befasst. Es ist vollkommen ausreichend, wenn immer wieder Schlagzeilen mit negativem Tenor in den Medien gebracht werden. Diese negativen Überschriften bleiben bewusst oder unbewusst im Bewusstsein haften. Das ist uns bewusst, aber auch nicht zu ändern. Jeder Vorwurf, jede Anzeige und jede Kritik wird öffentlich kommuniziert. Die Tatsache, dass bisher alle Anzeigen bei Aufsichtsbehörden und Staatsanwaltschaften als gegenstandslos abgewiesen wurden, spielt dann leider keine Rolle mehr. In vielen Fällen werden auch Anzeigen nur öffentlich angekündigt, dann aber gar nicht erst gestellt, weil das Ziel der öffentlichen Resonanz ja erreicht wurde.
Morlok will Atlantik im Ruderboot überqueren Was das alles mit Tierschutz zu tun haben soll, habe ich bisher noch nicht begriffen", sagt Encke.
Andreas Morlok war für eine Stellungnahme leider nicht zu erreichen. Im Internet schreibt er über sich selbst: "Andreas Morlok, Geschäftsführer von ProWal, führt immer wieder spektakuläre und umweltfreundliche Aktionen durch, um über die Medien eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, damit den gestellten Forderungen ein gewisser Nachdruck verliehen wird." Demnächst wolle der Aktivist (Beruf: Buchautor) den Atlantik im Ruderboot überqueren, um die Wale zu retten.
Hier sehen Sie das Video von Andreas Morlok:
Die Haltungsbedingungen der Zootiere haben sich in den letzten Jahrzehnten ganz erheblich verbessert. Hierzu hat die Kritik von Natur- und Tierschützern einen wesentlichen Beitrag geleistet - wie auch das steigende Naturinteresse der Bevölkerung. An diesem wiederum sind die Umweltschützer - von Verbänden bis zu Filmemachern - nicht unschuldig.
Sicher werden nicht alle Zoodirektoren oder -betreiber die Entwicklung nur mit lachendem Auge begleitet haben. Schließlich kosten die getätigten - und erforderlichen - Maßnahmen einiges. Doch das Wechselspiel aus sachkundiger Kritik, politischem Klima und Besucherinteresse hat sich letztlich positiv ausgewirkt.
Ob allerdings allein die Medien in der Lage gewesen wären, das wachsende Interesse an Natur- und Tierschutz zu befördern, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Die direkte Anschauung - auch und gerade im Zoo - hat seinen nicht zu unterschätzenden Anteil daran. Und so profitieren letztlich alle:
Den Tieren in freier Natur bleiben Lebensräume erhalten, die Wildereibekämpfung erhält breite Unterstützung, der Handel mit geschützten Arten und aus ihnen gewonnenen Produkten wird eingeschränkt. Ohne Berichterstattung und Dokumentation, ohne Zoos interessierte sich kaum jemand für die Problematik.
Die Haltungsbedingungen der Zootiere werden Schritt für Schritt verbessert und modernen Erkenntnissen angepaßt. Sicher kann nicht alles ideal gelöst werden. Doch ein Paradies ist auch die freie Natur nicht.
Den Menschen bleiben - neben der grundsätzlichen Bedeutung der Lebensraum- und Artenvielfalt - Erlebnisräume in der Natur, in Freigehegen und in Tiergärten erhalten.
Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen trägt dazu bei, die zunehmende Belastung mit Abfällen, Giften und zerstörender Nutzung ins Bewußtsein zu tragen.
Zurück zum Ausgangspunkt:
Sachliche Kritik und angemessener Umgang mit ihr ist notwendig und hilft, Mißstände zu beheben. Unsachliche Agitation hingegen schafft sinnlose Fronten.