Sex mit Demenzkrankem in Lichtenfelser Pflegeheim: Freispruch

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Was hat ein demenzkranker Mann empfunden, als sich eine Frau ihm näherte? Darum ging es in einer Gerichtsverhandlung in Lichtenfels wegen sexuellen Missbrauchs. Foto: Patrick Pleul, dpa
Was hat ein demenzkranker Mann empfunden, als sich eine Frau ihm näherte? Darum ging es in einer Gerichtsverhandlung in Lichtenfels wegen sexuellen Missbrauchs.  Foto: Patrick Pleul, dpa

Eine 56-jährige Bambergerin unterhält eine Beziehung zu einem Pflegeheiminsassen, den Sohn "verstört" das.

Sexueller Missbrauch oder romantische Träumerei? Das, worüber das Schöffengericht im Falle einer 56-jährigen Bambergerin zu befinden hatte, besitzt enormen Strafrahmen: Sechs Monate bis zehn Jahre Haft. Doch der Mittwoch wartete mit einer Seltenheit auf: Freispruch, beantragt sogar von der Staatsanwaltschaft selbst. Der mehrstündige Schöffengerichtsprozess unter Vorsitz von Richterin Ulrike Barausch war wendungsreich und führte in menschliche Tiefen.

Geschlechtsverkehr, mehrfach und mit einem Mann, der dement ist. Das geschah Ende 2015 zwischen einem Bewohner eines BRK-Wohn- und Pflegeheims und der Besucherin aus Bamberg. Das wurde auch nie bestritten. Die Frage, die Richterin Ulrike Barausch mit zwei Schöffen zu ergründen hatte, war, ob der Mann gegen seinen Willen für Sex benutzt wurde und Widerstand hätte leisten können. "Weil er mir so fröhlich und fit vorkam, habe ich mich gefragt: Warum wohnt er hier?", so die Angeklagte zu ihrem ersten Eindruck von dem etwa gleichaltrigen Mann.


Händchenhaltend unterwegs

Begegnet sei man sich im Flur, als die Frau ihre Mutter im Heim besuchte und irgendwann, so die Beschuldigte, sei sie von einem Schlaganfall ausgegangen. Man kam ins Gespräch, sie selbst habe sogar die Muttersprache des Mannes gelernt, es wurden gemeinsame Spaziergänge auf dem Gelände unternommen und irgendwann Händchen gehalten. Sogar zu Weihnachten habe man Zeit miteinander verbracht. Gestützt werden sollte diese Aussage von der Mutter der Angeklagten. "Sie hatten sich lieb und wenn zwei sich liebhaben, kommt das", so die Frau. Und sie lieferte darüber hinaus eine glaubwürdige Charakterzeichnung ihrer Tochter: "Meine Tochter ist ein zurückhaltender Mensch und geht nur schwer auf andere Menschen zu."

Die Begegnungen mit ihr hätten für den Mann immer einen schweren Abschied nach sich gezogen. "Er war immer sehr traurig, wenn ich gegangen bin", erklärte die Beschuldigte. Von der Alzheimererkrankung habe sie erst durch den Sohn des Mannes erfahren. Dann sei sie sofort in eine Bücherei gegangen, habe sich zu dem Thema Wissen angelesen. Das war im August 2015. "Ich habe die Bindung nicht aufgeben wollen", erklärte sie weiterhin und ergänzte: "Ich habe starke Gefühle gehabt."

Von einer Bindung aber sprach der Sohn des vermeintlichen oder tatsächlichen Opfers nicht. "Mein Vater konnte sich nicht einmal erinnern, was er zu Mittag gegessen hatte", erklärte er. Allerdings erklärte er auch, dass er schön fand, wie die Frau sich um seinen Vater kümmerte. Nur als er von den angeklagten Vorfällen erfuhr, hätten ihn diese "verstört". Auf die Frage, ob sein Vater in der Lage und Absicht gewesen sein könnte, eine "intime Beziehung anzusteuern", bekam das Gericht von dem Zeugen ein "Kann ich nicht sagen" zu hören. Aber genau das habe der Mann getan, erklärte die Angeklagte. Sogar Atmosphäre habe er dazu in seinem Zimmer geschaffen, die Rollos runtergezogen und zu streicheln begonnen. Ihren BH soll der Heimbewohner "sogar noch mit einer Hand aufbekommen" haben.

Ein Wendepunkt schien die Aussage einer 54-jährigen Altenpflegerin zu werden, klangen ihre Erinnerungen doch für die Beschuldigte nachteilig: "Er war schon immer a weng verwirrt, wenn die Frau da war und hat gezittert, wenn man ihn ausziehen wollte." Aber sollte diese Verwirrung auch Verstörung bedeuten? Eine weitere Pflegerin erklärte nämlich hingegen, dass der in Obhut genommene Mann sich angesichts der 56-Jährigen gefreut habe, jedoch Verwirrung nach ihrem Weggang zeigte.

Doch viel entscheidender als dies war ihre Antwort auf die von Oberstaatsanwalt Martin Dippold gestellte Frage, ob sie glaube, dass sich der Mann noch hätte gegen etwas zur Wehr setzen können, so ihm dies nicht behagt hätte. Die Frau bejahte und erklärte, dass er einen noch wegschubsen konnte.

Ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Heimbewohner um jemanden handelte, der zum Zeitpunkt des Vorgangs "noch einen natürlichen Willen" gehabt haben dürfte, wenngleich ihm womöglich der Überblick über die Folgen des Tuns verloren war. Zudem mochte eine Sonderform seiner Demenzerkrankung dazu beigetragen haben, dass sein Verhalten missverständlich wurde.
Was die Angeklagte daraus gemacht haben könnte, sei eine "verklärte romantische Liebe", so Staatsanwalt Dippold. Er, der die Anklage zu vertreten hatte, forderte einen Freispruch, weil nichts für Missbrauch sprach. Das bestätigte auch das Urteil, welches u. a. begründete, dass es nie zu einer Herabwürdigung des Mannes gekommen sei. Und somit zu keinem Missbrauch.