In den 70er Jahren versuchte deutsche Rockmusik unter dem Begriff "Krautrock" originell zu sein. Der Lichtenfelser Florian Held hält diese Musik für eine ganz besondere.
Krautrock - das ist nichts zum Essen. Unter diesem Begriff werden zumeist deutsche Bemühungen der 70er Jahre zusammengefasst, in der Rockmusik originell zu sein. Manchmal waren die Bandnamen origineller als die Musik: Kaputter Hamster, Leucozyth oder Floh de Cologne stehen für Rockgruppen, die es nicht, auf gar keinen Fall oder nur beinahe geschafft haben. Aber der Lichtenfelser Florian Held ist Experte für Schallplatten einer Ära abseits des Hitparadengeschmacks.
Experte für Schallplatten Es ist Anfang November, der Mann mit der unvermeidlichen Baseball-Mütze nimmt den Fränkischen Tag mit in einen Raum, in dem Raritäten lagern. Ein Zimmer im Obergeschoss einer Wohnung im Stadtteil Burgberg, schmucklos und mit großem Fenster nach Westen. Zwei Magnetstrahler-Lautsprecherboxen stehen links und rechts vom Schreibtisch, bisweilen auch eine Waschmaschine für Schallplatten.
Büro, Versandraum, Lager - Florian Held fühlt sich hier wohl. Der studierte Politikwissenschaftler ist Jahrgang 1980. Lange hat es ab da nicht mehr gedauert, bis die CD ihren Siegeslauf um die Welt aufnahm. Aber der 34-Jährige hat einen Narren an Schallplatten gefressen, taxiert beruflich von Zeit zu Zeit LP-Werte, kauft an, verkauft, ersteigert, fährt auf Börsen und hält Kontakt zu Sammlern und Liebhabern. Seit ungefähr neun Jahren interessiert er sich für diese Sparte, seit sechs Jahren ist er auf Plattenbörsen unterwegs. Wer sich mit Held über Musik unterhält, stellt bald fest, dass er es mit einem manchmal enzyklopädisch anmutenden Wissen über Rockmusik generell zu tun bekommt. Krautrock war nur die "logische Folge" einer Beschäftigung mit Musik, seit er zehn Jahre alt war.
"Man liest über Musiker in Magazinen, man versucht herauszufinden, wer die beeinflusst hat", sagt der Lichtenfelser, dessen musikalisches Interesse durch Black Sabbath oder Led Zeppelin geweckt und zu Krautrock umgeleitet wurde.
Jazzlastiger Rock "Krautrock kann man analog zu Made in Germany sehen - es war als Abwertung gedacht, hat sich aber zum Gütesiegel entwickelt", erklärt Held. Krautrock, das war oft sehr jazzlastiger Rock mit endlos ausgefeilten Soli an Gitarren und Orgeln von Spitzenmusikern. Jemand, der in dieser Branche auch Gütesiegel verteilt, ist der Musikjournalist Ulrich Klatte. Sein "Krautrock Cosmic Price Guide", ein gebundenes Standardwerk zu Bands, ihren LPs und deren Preisen, hat Held oft zur Hand. Und er kennt die veranschlagten Preise oft erstaunlich gut aus der Erinnerung. 800 Euro hat Klatte für die LP Sub in Concert einer italienischen Band veranschlagt.
Italienische Band und Krautrock - wie geht das? "Es gibt mehrere italienische Bands, die was als Gastarbeiter in Deutschland aufgenommen haben, darum sind sie Krautrock", erklärt Held diese Nische im Krautrockhandel. "Obskuritätsgründe" nennt er, was Plattenpreise hochtreiben kann. Wie bei allen Sammlern geht es um die Frage nach Raritäten, darum, wie hoch die Pressauflage war oder wer sich hinter einem Pseudonym verbirgt. So steckt hinter Paul Nero kein Geringerer als Klaus Doldinger. Und selbst avantgardistische klassische Komponisten wie ein Stockhausen würden mittlerweile unter Krautrock geführt. Aber das Mekka dieser Musikrichtung, der Ort, an dem große Nachfrage herrscht, ist gar nicht Deutschland, weiß Held. "Es war zuerst Amerika, jetzt Russland und China." Im Internet habe er der Versteigerung einer Krautrock-LP beigewohnt, die für 5000 Euro nach Russland ging.
"Aber wenn man Oligarch ist...", deutet er mit einem Schmunzeln an, dass es Sammler mit finanziellen Polstern gibt, für die Geld keine Rolle spielt. Auf Raritäten angesprochen, zeigt er eine LP, auf der Helge Schneider zum ersten Mal zu hören gewesen sein dürfte. "Er hat gesagt: Oh Gott", erinnert sich Held an eine Reaktion Schneiders, als er mal auf dieses Werk angesprochen wurde. Es war in den 70ern und Ikea veranstaltete noch Jazzwettbewerbe. An einem solchen nahm auch Schneider teil und das Ergebnis gelangte auf Vinyl. "Die Platte hat selbst er garantiert nicht", glaubt Held. Zwei, drei Fachzeitschriften pro Monat liest er durch und gelegentlich bekommt er von Menschen zu hören, er solle doch mal in ihren Keller oder auf ihren Dachboden schauen, sie hätten da was. "90 Prozent davon taugt nix", weiß er. Aber ab und an ist eine lohnende und vergessene Scheibe darunter. Vielleicht verkauft er sie, vielleicht behält er sie. Es ist nur eine Frage des Formats: "LPs sind einfach sexier als MP3s."