Eine Frau halbiert ihr Gewicht. Wenn das geschehen ist, will sie ihr neues Leben führen. Caroline Ritter-Vogt steht einer Adipositas-Selbsthilfegruppe vor.
"Deutsche Panzer rollen wieder!" - ein Satz, den man Caroline Ritter-Vogt öfter nachrief. Einmal, so sagt sie, sei sie wegen ihres Erscheinungsbildes gar angespuckt worden.
Mobbing kennt die 34-jährige Sachbearbeiterin schon aus einer Zeit, als das Wort noch nicht gebräuchlich war: aus ihrer Kindheit. Sogar die Schule habe sie wechseln müssen, weil Schulkinder auch grausam sein können. Verletzungen, die nicht spurlos an einer Seele vorübergehen.
Auch heute noch wird sie angegafft. Dabei hat sich an ihr schon viel getan, seit sie am 16. August 2016 zur Magenbypass-Operation ins Lichtenfelser Klinikum ging. 55 Kilogramm hat sie dadurch abgenommen - umgerechnet 200 Stücke Butter. Eine anschauliche Umrechnungsformel, wie sie selbst findet.
Doch noch ist die 1,79 Meter große und ca. 150 Kilogramm schwere fröhliche Frau weit von einer Halbierung entfernt, auch wenn sie sich fühle, als ob sie "80 Kilo wiegen würde". Damit ihr das mal gelingt, begab sie sich in eine Adipositas-Selbsthilfegruppe. Nur mal aus Neugierde und zum Schauen, wie sie sagt. Dass sie die Gruppe einmal leiten würde, hatte sie sich bei ihrem Erstbesuch im April 2016 nicht gedacht.
Der ganze Körper ist betroffen
Adipositas (lat. adeps "Fett") nennt die Medizin eine Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit mit starkem Übergewicht, die sich durch eine übergebührliche Vermehrung des Körperfettes kennzeichnet. Mit krankhaften Auswirkungen vor allem auf das Herz-Kreislauf-System. Unter anderem. Mit 32 erfuhr Caroline Ritter-Vogt vom Hausarzt von Diabetes. Anfang 2016 dann deutliche Worte: "Mädchen, mit deinen 40 schaut's schlecht aus, wenn du so weitermachst."
Doch wie konnte es so weit kommen? Von ihrer Oma habe sie immer zu hören bekommen, dass "gegessen wird, was auf dem Teller ist". Da habe die Oma nicht mit sich handeln lassen, und bei ihr wuchs Caroline Ritter-Vogt auf - ein Scheidungskind, auch das gilt als krankheitsbegünstigend.
Außerdem sei Übergewicht in ihrer Familie verbreitet. Und doch, so versichert die 34-Jährige, sei sie "keine übermäßige Esserin". Als sie die an einer ihrer Geburtstagsfeiern aufgenommene Bilder von sich sah, sei der Entschluss gefallen, sich gewichtig zu halbieren. Operativ. Denn "zig Diäten" hätten nie gefruchtet und sei sie nur zehn Meter mit ihrem Hund Gassi gegangen, habe sie das erschöpft. Also versuchte sie es Mitte 2016 mit dem Schwimmen. Die OP tat ein Übriges.
Gruppenleitung übernommen
"Wie die Jungfrau zum Kinde", sei sie, die als Letzte zu denen stieß, die regelmäßig hingehen, Leiterin der Selbsthilfegruppe geworden. Diese eng an die Adipositas-Chirurgie im Lichtenfelser Klinikum gekoppelt, trifft sich dort regelmäßig am zweiten Dienstag im Monat zu zweistündigem Erfahrungsaustausch und gegenseitigem Ermutigen.
Die langjährige Leiterin der Gruppe hatte Caroline Ritter-Vogt einst eröffnet, dass sie schwanger sei und aufhören werde. Verbunden mit einer Frage: Kannst du dir vorstellen, das zu machen?
Seit Januar leitet Caroline Ritter-Vogt mit Mitstreiterin Helen Wiesmann die Gemeinschaft aus bis zu 30 Personen von Mitte 20 bis Mitte 60. Seit wohl bald acht Jahren besteht sie und Operierte seien hier zu 50 Prozent vertreten. Der Rest will sich zu Thema und Begleiterkrankungen informieren. Und OP-Unentschlossene gibt es auch.
Umfangreiche Erfahrungen
Die Themen, zu denen man sich findet, gehören nicht selten zu Caroline Ritter-Vogts Erfahrungswelten, zu denen ihre Notizen ganze Ordner füllen. Zu finden bei ihrem Schreibtisch, von wo aus sie auch per Computer und Facebook Ansprechpartnerin für Antwortsuchende ist. Denn OP-Bewilligungen können sich Jahre hinziehen, so geschehen bei einer Frau aus der Selbsthilfegruppe, die mit Anwalt zwei Jahre darum kämpfe, einen Antrag durchzuboxen. Man muss dabei selbst in Vorleistungen gehen, psychologischen Gutachten gegenüber offen sein, Bewegungs- und Ernährungsprotokolle führen. Hintergrund: OP sind kostenintensiv. Nach einer solchen aber kann es ärgerliche Begleiterscheinungen geben. Beispiel Haarausfall. Welche Kuren, wie damit umgehen?
Doch abseits kosmetischer Belange hat sich die 34-Jährige zu anderen Fragen schlau gemacht. Beim nächsten Treffen werden die Vitamine D, B12 und die Bedeutung von Calcium auf der Gesprächsagenda stehen. "Bei Nachsorge bin ich sehr dahinter", sagt sie und erklärt, dass, so von einem Operierten aus der Gruppe der Wunsch an sie herangetragen würde, sie zu besuchen und dass sie dem auch nachkommen wolle.
Nun aber stehe die Referentensuche für Ernährungsberatung an. Eine Stunde täglich ist sie mit dem Schreiben, mit Recherchen oder dem Trösten auf
www.facebook.com/groups/Adipositas.SHG.Lichtenfels oder
www.adipositas24.de beschäftigt. Oder mit Sitzungsvorbereitungen. Von der Seele geschrieben hat sie sich auch etwas, zu lesen ist es unter www.caroline-halbiert-sich.de. Eine ehemalige Mobberin aus Schulzeiten habe sie vor einiger Zeit einmal getroffen. Die habe sich entschuldigte und gefragt: "Waren wir wirklich so schlimm?"