Die Strafkammer unterbricht die Vernehmung der Hauptbelastungszeugin. Über ihren Gesundheitszustand gibt es Diskussionen.
Es ist mucksmäuschenstill im Gerichtssaal. Die Hauptbelastungszeugin im großen Bayreuther Vergewaltigungsprozess muss erneut aussagen. "Mir geht's nicht so gut", erklärt sie. Die Tochter des Angeklagten macht keinen stabilen Eindruck. Laut ärztlichem Attest ist sie vergangene Woche nicht vernehmungsfähig gewesen. Für die erneute Aussage unterbricht sie ihre stationäre Psychotherapie in einer Klinik.
Die 1. Große Strafkammer leistet am Dienstag kriminalistische Kleinarbeit. Fragt nach Details, um Tagesabläufe zu rekonstruieren. Hält der Zeugin ihre eigenen Angaben bei der Polizei vor oder die Aussagen anderer Zeugen. Sie soll sich daran erinnern, was sie vor zwei Jahren bei ihrer ersten Vernehmung gesagt oder gemeint hat. War das so? Stimmt das so? Haben Sie etwas zu ergänzen?
Beisitzender Richter Yves Döll wundert sich, dass die Zeugin bei ihren Aussagen mehrmals nachgebessert habe. Ihr gefällt der Ton der Fragen nicht: "Das hört sich immer wie ein Vorwurf gegen mich an."
Mit versteinerter Miene
Links ihr Anwalt, rechts ein Vertreter der Opferhilfe Oberfranken, der sie betreut - so sitzt die 48-Jährige auf dem Zeugenstuhl. Blicke nach rechts vermeidet sie. Dort hat der Mann Platz genommen, der sie vergewaltigt haben soll. Nur drei Schritte entfernt, hört ihr Vater mit versteinerter Miene zu. Dagegen scheint sein Verteidiger nicht unzufrieden. Rechtsanwalt Johann Schwenn, Hamburg, grinst ein ums andere Mal süffisant.
Die Prozesssituation ist für die Tochter des Angeklagten offenbar sehr belastend. Dazu noch das Scheidungskrieg, der im Hintergrund tobt. "Mein Mann versucht, mich finanziell auszuhungern", sagt die 48-Jährige und bestätigt, dass es immer wieder Ärger gibt. Ihr sei gekündigt worden, sie habe Hausverbot in der Firma bekommen und das Auto abgeben müssen. Sie werde, so die Kauffrau, durch anonyme Anrufe und Klingeln an ihrer Haustür terrorisiert.
Ihr Noch-Ehemann ist genau informiert, was in der Hauptverhandlung vor sich geht. Er lässt den Prozess durch eine Rechtsanwältin beobachten, die fleißig mitschreibt und protokolliert.
Die Hauptbelastungszeugin und Nebenklägerin in dem Verfahren gegen den 71-Jährigen, dem mehrfache Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wird, braucht gestern mehrere Unterbrechungen. Sie spricht mit zittriger Stimme. Mittags ist es ihr zu viel. Ihr Rechtsanwalt Frank K. Peter aus Worms bittet das Gericht um eine längere Pause, die auch gewährt wird.
"Nichts geschlafen"
Doch nachmittags geht nichts mehr. "Ich habe nichts geschlafen und gar nichts", teilt sie mit. Sie könne der Verhandlung nicht mehr folgen. Vorsitzender Richter Michael Eckstein unterbricht die Befragung.
Rechtsanwalt Peter betont, dass nach 14 Vernehmungen an der Aussagewilligkeit seiner Mandantin kein Zweifel bestehen könne. Sie habe aber am Schluss, so sein Eindruck, die Fragen nicht mehr richtig verstanden. In der Mittagspause sei keine Verbesserung ihres Zustands eingetreten.
Alles Theater
Das Verhalten der Zeugin bezeichnet Anwalt Schwenn als "rein taktisch motiviert und Teil des Theaters, das sie von der ersten Aussage bei der Polizei bis jetzt durchzieht". Der Verteidiger bewertet die Antworten der Nebenklägerin als unplausibel, stellt Inkonsistenz der Aussage fest und kritisiert, dass sie permanent etwas nachschiebe. Sie sei eine Lügnerin und habe die Notbremse gezogen, weil es für sie eng geworden ist. "Sie kann nur noch hoffen, dass etwas passiert, dass der Verteidiger gegen einen Baum fährt oder dass ein Richter krank wird", meint Schwenn. Niemand könne mehr ernsthaft glauben, dass der Angeklagte verurteilt wird.
"Freuen Sie sich nicht zu früh - der Prozess ist noch nicht zu Ende", sagt Nebenklage-Anwalt Wolfram Schädler aus Wiesbaden. Dass die Zeugin erschöpft ist, ziehe die Verteidigung nicht in Erwägung.
Seine Ausführungen bringen dem Verteidiger die Ermahnung des Vorsitzenden ein, kein vorgezogenes Plädoyer zu halten. Gleichwohl gibt er Schwenns Antrag statt und stellt der Zeugin den Chefarzt der Forensischen Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth, Klaus Leipziger, zur Seite, wenn sie am Mittwoch weiter befragt wird.