Die Hauptbelastungszeugin meldet sich am Mittwoch krank. Dafür taucht ein geheimnisvolles Tagebuch auf.
Am Mittwoch war Ärztetag im Missbrauchsprozess am Landgericht Bayreuth. Zunächst meldet sich die Hauptbelastungszeugin krank, die ihren Vater der mehrfachen Vergewaltigung bezichtigt. Sie wird derzeit in einer psychosomatischen Klinik behandelt und schien schon am Dienstag am Ende ihrer Kräfte. Die 48-jährige Patientin sei nicht vernehmungsfähig, heißt es im ärztlichen Attest. Durch den für sie sehr belastenden Gerichtsprozess sei es zu einer starken körperlichen und psychischen Destabilisierung gekommen.
Schwenn wittert Verrat
Sofort wittert Verteidiger Johann Schwenn Verrat. Die Tochter des Angeklagten spiele Theater, sagt er. Sie verspüre Gegenwind und habe gemerkt, dass sich der Prozess gedreht hat. Der Hamburger Anwalt mutmaßt, dass ihr die Klinik ein Gefälligkeitsgutachten ausgestellt habe. Es wäre nicht das erste Mal, dass Therapeuten "solidarisch" mit dem Patienten sind.
Dass dieser Einwand vom Hamburger Anwalt kommen würde, scheint Vorsitzender Richter Michael Eckstein geahnt zu haben. Er habe bereits den Bamberger Landgerichtsarzt in Marsch gesetzt und ihn gebeten, die Zeugin zu untersuchen.
Nicht gebraucht wird jedenfalls der Chefarzt der Forensischen Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Klaus Leipziger hätte die Aussagefähigkeit der Zeugin beurteilen sollen. Er darf gleich wieder nach Hause gehen.
In der Sache kommt das Gericht also nicht weiter. Keine neuen Erkenntnisse, ob der 71-jährige Angeklagte seine Tochter, seine Ex-Frau und seine beiden Enkelinnen vergewaltigt oder missbraucht hat.
Dafür ist viel Zeit für Theaterdonner. Die Anwälte der Nebenklage und der Anwalt von der Elbe tauschen ein paar Nettigkeiten aus. Frank K. Peter aus Worms, der als Nebenklage-Beistand die Hauptbelastungszeugin vertritt, prangert Schwenns "übliche Drohgebärden" an. Seine Mandantin, so der Rechtsanwalt, möchte sich dem Gericht stellen, "aber es ist schwer für sie auszusagen, wenn der Verteidiger hämisch grinst".
Druck und Stimmungsmache
Auch Rechtsanwalt Wolfram Schädler aus Wiesbaden geht den Hamburger Kollegen hart an. Schwenn versuche durch unterschwellige Stimmungsmache Druck auszuüben, auch auf das Gericht, so der Nebenklage-Beistand der älteren Enkelin. "Das ist nicht hinnehmbar."
Der Vorsitzende glättet die Wogen - er hat neue Erkenntnisse über den Gesundheitszustand der Zeugin. Landgerichtsarzt Martin Weichert - er ist Facharzt für Psychotherapie - habe ihm telefonisch mitgeteilt, dass die 48-Jährige nicht vernehmungsfähig ist. Rechtsanwalt Peter sieht sich bestätigt. Dagegen glaubt der Verteidiger immer noch, dass der Zustand der Zeugin "autosuggestiv" herbeigeführt worden sein könnte.
Die Aufregung hat sich gerade gelegt, als noch ein geheimnisvolles Tagebuch auftaucht. Anwalt Schädler übergibt dem Gericht Schriftstücke seiner Mandantin. Mit den Aufzeichnungen - lose Blätter, die zu einem Tagebuch gehören sollen - könne bewiesen werden, dass sich die inzwischen 26-jährige Enkelin bereits 2010 und 2011 - also lange vor der Anzeige und vor Prozessbeginn - mit dem sexuellen Missbrauch durch ihren Großvater auseinandergesetzt hat. Ein Indiz, das gegen Schwenns Verschwörungstheorie - Frauenclan gegen Familienpatriarchen - spreche.
Was steht da drin?
Was in dem Tagebuch steht, erfährt man zunächst nicht. Auf Intervention der Verteidigung sollen die Aufzeichnungen erst nächste Woche verlesen werden, wenn die Enkelin vor Gericht dazu befragt wird. Am Dienstag ist ebenfalls ihre Mutter geladen. Der zweite Anlauf, um deren Befragung abzuschließen. Dann muss sich die Zeugin auch auf die Konfrontation mit dem Verteidiger einstellen.