Ernährung ist heute eine zunehmend komplexe Angelegenheit. Die Zusammenhänge zu verstehen, transparent zu kommunizieren und nachvollziehbar zu machen, wie die Lebensmittelproduktion und der Konsum auf verschiedenste, teilweise "weit entfernt wirkende" Bereiche und beteiligte AkteurInnen ökonomisch, ökologisch und sozial wirken, wäre ein erster Ansatzpunkt, um KonsumentInnen die Komplexität aufzuzeigen. Bisher appelliert die Kommunikation über Ernährung an die KonsumentInnen, vor allem an die individuelle Verantwortung, sich möglichst gesund zu ernähren. Es muss gelingen, diesen Fokus auszuweiten.
Bleiben wir bei der Ernährung: Was konkret kann ich als einzelner denn tun, um meinen kleinen Beitrag zu leisten?
Eine zentrale Aufgabe jedes einzelnen besteht darin, anzuerkennen, dass Ernährung nicht nur eine private Angelegenheit ist und dass sich einzelne Ernährungsverhaltensweisen kollektiv auf die gesellschaftlichen Verhältnisse weltweit auswirken können.
Mein persönliches Handeln hat also Folgen für Menschen in weit entfernten Ländern?
Klar geht nicht gleich die Welt unter, wenn jemand jeden Tag Fleisch isst oder übermäßig viel Lebensmittel verschwendet, aber in der Summe und im Zeitverlauf wirkt sich das schon deutlich auf die globale Umwelt, die Gesundheit und unser Klima aus. Dann kann unser Ernährungsverhalten dazu führen, dass durch eine steigende Nachfrage hier in anderen Teilen der Welt, wo unsere Lebensmittel produziert werden, Konflikte beispielsweise um Ressourcen oder Landbesitz entstehen. Dies kann so weit gehen, dass den UrproduzentInnen und den umgebenden Gemeinden die Lebensgrundlagen entzogen werden, ökonomisch oder ökologisch. Diese Seite des Ernährungssystems hat dann nichts mehr mit sozialer Gerechtigkeit zu tun und schürt Konflikte, die Frieden destabilisieren oder sogar verhindern können.
Kann ich da schon beim Einkaufen achtgeben, beim Aussuchen der Lebensmittel, beim Zusammenstellen meiner Ernährung?
Ein reflexiver, wertschätzender Umgang mit Lebensmitteln und ein gesundes, kritisches Maß ist eine gute Faustregel, sowohl im Hinblick auf Gesundheit als auch auf Nachhaltigkeit der Ernährung. Die individuelle Ernährung sollte laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung vor allem ausgewogen sein. Wichtig wäre, beim Lebensmitteleinkauf auf Qualität und Vielfalt zu achten und weniger auf Quantität.
Was heißt das konkret?
Ein/e KonsumentIn mit kritischem Qualitätsbewusstsein fragt heute nicht nur nach der Produktsicherheit, sondern auch nach der Herkunft und Produktion der Lebensmittel und nach den Lebensmittelinhaltsstoffen und Verpackungen. Auf diese Kriterien achtzugeben und aus der Vielfalt der regional und saisonal verfügbaren Lebensmittel zu wählen, kann schon einen Beitrag zu mehr globaler Gesundheit und Nachhaltigkeit und damit auch zu mehr Frieden leisten.
Ein wichtiger Punkt ist offensichtlich unser Fleischkonsum, der zu Konflikten anderswo auf der Welt führen kann?
Fleisch ist wohl eines der Lebensmittel, dessen Konsum am meisten polarisiert. Die Fleischproduktion und die intensive Tierhaltung gehen mit erheblichen Klima-, Umweltschutz- und Biodiversitätsproblemen sowie tierethischen Herausforderungen und sozialen und gesundheitlichen Wirkungen einher. Isst die Gesellschaft zu viel Fleisch, verschärfen sich die Probleme in vielerlei Dimensionen. Beispielsweise müssen für eine intensive Tierhaltung woanders Regenwaldrodungen vorgenommen werden, damit - meist unter Einsatz von Pestiziden - in Monokulturen Futtermittel angebaut werden können, die wiederum zur Verseuchung von Grundwasser und Gewässern in der Nähe beitragen, zu Verlust heimischer Artenvielfalt, Ausbeutung von Menschen, die auf den Feldern oder der Industrie arbeiten, sowie mit gesundheitlichen Risiken und sozialen Auswirkungen für diese einhergehen (wie Verarmung der KleinbäuerInnen, Hunger, Landraub). Dies kann schließlich zu Konflikten führen und Frieden destabilisieren.
Wenn ich nun aber nicht auf Fleisch verzichten will - was kann ich dann tun?
Fleisch ist ein Lebensmittel, das tief in westlichen Ernährungskulturen verankert ist und durch zahlreiche Gerichte auch Ausdruck unserer kulturellen Identität ist. Ein gänzlicher Verzicht wird sicher nicht großflächig gelingen und ist aus kultureller, sozialer und ökonomischer Sicht auch nur bedingt sinnvoll. Ein bewusster und moderater Fleischkonsum ist auch laut Planetary Health Diet durchaus in Ordnung - beispielsweise 100 Gramm Rind-, Lamm- oder Schweinefleisch und 200 Gramm Geflügelfleisch pro Woche. Aber hier ist neben dem gesunden, kritischen Maß auch der reflexive, wertschätzende Umgang mit dem Lebensmittel Fleisch relevant sowie ein Bewusstsein für die Qualität des Fleisches im umfassenden Sinne. Darauf zu achten, wo das Fleisch herkommt und sich darüber zu informieren, unter welchen Bedingungen es produziert wird, wäre etwas, was jede/r Fleischesser/in tun könnte. Und wenn diese Bedingungen nicht mit dem Qualitätsverständnis vereinbar sind, können Lebensmittel anderer Qualität gewählt werden oder pflanzliche Alternativen.
Welche Lösung haben wir am Ende?
Die Landwirtschaft und insbesondere die kleinbäuerliche Landwirtschaft sind enorm wichtig für unsere Nahrungsmittelproduktion - und sie erbringen auch wichtige weitere gesellschaftliche Leistungen (beispielsweise Erhalt der Kulturlandschaften, Erhalt traditioneller und regenerativer Anbaumethoden). Die Covid-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben uns gezeigt, wie stark unsere Ernährung in globale Strukturen eingebettet und von ihrem Funktionieren abhängig ist. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, lokale bzw. regionale Ernährungssysteme in ihrer Resilienz zu stärken. Da sind wir in Deutschland noch längst nicht an unsere Grenzen gestoßen - sowohl auf ProduzentInnen-, als auch KonsumentInnen-Seite ist da noch Luft nach oben für innovative Anbaumethoden, Geschäftsmodelle, Vertriebs- und Konsummuster.